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In Seattle hat Amazon kürzlich einen Buchladen aufgemacht.
© AFP

Amazon-Deutschland-Chef Kleber im Interview: "Berlin wäre eine gute Stadt für einen Amazon-Laden"

In keiner anderen deutschen Stadt ist Amazon so verbreitet wie in Berlin. Deshalb sei es denkbar hier wie in Seattle einen Laden aufzumachen, sagt Deutschland-Chef Ralf Kleber im Interview.

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Herr Kleber, wann eröffnet Amazon den ersten Laden in Deutschland?

Läden einzurichten, war immer eine Option. Der Schritt, in Seattle eine Buchhandlung aufzumachen, ist insofern gar nicht so revolutionär, wie er jetzt aufgenommen wird. Wir verkaufen online noch viele gedruckte Bücher – und Menschen werden immer auch offline einkaufen. Der Kunde soll die Wahl haben.

In Berlin gibt es reichlich Pop-up-Stores.
Berlin wäre ein Top-Kandidat für einen Laden. In keiner anderen deutschen Stadt haben wir in so vielen Bereichen investiert, sind wir so breit vertreten und haben wir so viel vor. Natürlich haben die Kunden in Berlin schon eine riesige Auswahl an Geschäften – und auch deshalb eine besonders hohe Erwartung.

Ralf Kleber leitet das Deutschland-Geschäft von Amazon.
Ralf Kleber leitet das Deutschland-Geschäft von Amazon.
© Kai-Uwe Heinrich

Sie kommen gerade aus der sogenannten Cyber-Woche, mit haufenweise Sonderrabatten in engen Zeitfenstern. Wie werden derartige Aktionen, gleichsam Kunstprodukte wie Halloween, hier angenommen?
Genau, ein Kunstprodukt, das wir geschaffen haben. Viele haben gesagt, das braucht doch keiner. Aber am Black Friday hatten wir schon im Laufe des Vormittags über eine Million Artikel verkauft.

Geht das zulasten des Weihnachtsgeschäfts?
Nein, wir kennen das ja aus den Vorjahren: Die Deutschen kaufen Weihnachtsgeschenke gern später – im vergangenen Jahr lag der Spitzentag Mitte Dezember.

Wie bedrohlich ist Amazon für den stationären Handel?
Wir arbeiten mit immer mehr kleinen und mittelständischen Händlern zusammen. Karl Loebner etwa ist der älteste Spielwarenhändler Deutschlands mit Sitz in der Nähe von Dresden – er hat fünf neue Mitarbeiter eingestellt, weil er große Mengen über Amazon absetzt.

Es heißt, Amazon zwinge die Händler, dort die günstigsten Preise anzubieten.
Wir zwingen niemanden. Aber Kunden sollen darauf vertrauen können, dass sie bei Amazon ein gutes Angebot finden. Das ist legitim, sonst macht es keinen Sinn für unsere Kunden.

Die Händler zahlen auch noch Provision.
Dafür haben sie andere Kosten nicht, wie die für Marketing oder Zahlungsabwicklung. Das Wichtigste für einen Händler ist, dass sein Produkt gefunden wird.

Was steht auf den Wunschlisten der Deutschen in diesem Jahr ganz oben?
In der zurückliegenden Woche waren der Fire TV Stick, der neue Kindle Paperwhite und das Fire Tablet die Bestseller. Lego Star Wars läuft aber auch super, und Vinylplatten sind wieder sehr gefragt.

Wer packt alles mit an, um den enormen Zusatzaufwand vor Weihnachten zu meistern? Hat Amazon Erfahrungen mit Flüchtlingen?
In der Weihnachtszeit stellen wir zusätzlich zu den 10 000 fest angestellten Mitarbeitern 10 000 saisonale Arbeitnehmer ein. Wir haben frühzeitig den Arm gehoben und darauf hingewiesen, dass wir in Logistikzentren diese Saisonarbeitsplätze bieten. Wir arbeiten mit den Arbeitsagenturen zusammen, um auch Flüchtlinge einzustellen. Aber solche Prozesse dauern leider länger als gewünscht.

Warum es im Streit mit Verdi keine Einigung gibt

 Bei Amazon läuft das Weihnachtsgeschäft auf Hochtouren.
Bei Amazon läuft das Weihnachtsgeschäft auf Hochtouren.
© dpa

Länger als gewünscht zieht sich auch der Konflikt mit Verdi hin. Warum finden Sie keinen Kompromiss?
Wir haben gewählte Betriebsräte und zahlen gutes Geld: im Schnitt 10,40 Euro die Stunde Basislohn, plus Zusatzleistungen. Und wir beteiligen alle, die länger als zwei Jahre dabei sind, mit einem Aktienpaket am Erfolg. Ich glaube nicht, dass man einen Tarifvertrag braucht, um ein guter Arbeitgeber zu sein. 65 Prozent der deutschen Unternehmen haben keinen. Und mal ehrlich: Wenn Glatteis ist, juckt uns das weit mehr, als wenn Verdi zum Arbeitskampf aufruft. Es hat noch kein Paket seinen Adressaten zu spät erreicht, weil gestreikt wurde.

Helfen Drohnen gegen Eisglätte?
In Deutschland sind wir noch nicht so weit, in den USA testen wir fleißig. Die Alternative zum Lastwagen müssen wir alle suchen. Wir kommen gut damit klar, dass wir belächelt werden, wenn am Ende etwas Innovatives steht.

Amazon will einen Teil seiner Waren bald per Drohne verschicken.
Amazon will einen Teil seiner Waren bald per Drohne verschicken.
© dpa

Weit weniger utopisch erscheint heute das Thema Lebensmittellieferung.
Alle unsere Kunden essen und trinken. Wir wissen, dass keiner verhungern wird, wenn Amazon keine Lebensmittel liefert. Die Menschen haben bereits feste Einkaufsquellen. Also müssen wir es schaffen, es ihnen bequemer zu machen als andere. Unser Supermarkt, in dem wir noch keine frischen Produkte anbieten, ist bereits enorm erfolgreich mit mehr als einer halben Million Produkte.

Wie funktioniert das mit der Lieferung von frischen Lebensmitteln?
Für Frischwaren bedarf es einer eigenen Logistik. In Seattle haben wir das sehr lange vorbereitet und verschiedene Wege gleichzeitig eingeschlagen. Amazon Fresh ist ein klassischer Online-Supermarkt. Prime Now liefert die Cola in einer Stunde in die Wohnung. Und ebenso schnell kann man sich Restaurantessen über Amazon kommen lassen.

Der Kunde sitzt also zu Hause auf der Couch, guckt Amazon-Prim-Serien über den Amazon Fire TV Stick und bestellt über Amazon Pizza und Cola?
Er muss nicht zu Hause sitzen – nur zur Lieferzeit erreichbar sein. Die meisten bestellen vom Büro aus oder auf dem Weg nach Hause. Die Vision ist einfach: Der Kunde soll bei uns all das finden, was er sucht.

Wie Amazon Berliner Startups bei der Arbeit hilft

 Bei Amazon läuft das Weihnachtsgeschäft auf Hochtouren.
Bei Amazon läuft das Weihnachtsgeschäft auf Hochtouren.
© dpa

Dafür muss man seine Wünsche kennen. Welche Rolle spielen Big Data und was man daraus machen kann?
Den Kunden zu kennen, ist schwierig. Sie können 100 Bücher gekauft haben und bestellen morgen eine Packung Spaghetti. Darauf können wir nicht kommen. Unsere Statistik sagt uns, welche Produkte zusammen gekauft werden, das nutzen wir für Empfehlungen. Aber das sind simple Algorithmen. Welcher Kunde dahinter steht, ist nicht wichtig.

Sie machen Datenkompetenz aber auch zu Geld, indem Sie Infrastruktur anbieten.
Wir verkaufen keine Daten, aber wir stellen anderen unsere Instrumente zur Verfügung. Wenn ein Kunde wissen will, wie viele seiner roten T-Shirts nächsten Sommer gebraucht werden, können unsere Statistiken bei der Planung helfen.

An wen genau richten sich diese Infrastrukturangebote?
Amazon hat drei Infrastrukturbereiche. Auf der Handelsseite sind unsere Kernklientel die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Menschen, die kreativ sind, bietet Amazon die Möglichkeit, eigene Bücher und Filme zu realisieren. Eine eigene IT-Infrastruktur aufzubauen, ist einer der kostentreibendsten Faktoren für Unternehmen, und es wird immer schwerer, die geeigneten Leute dafür zu finden. Amazon bietet daher Cloud-Infrastrukturen und Services an.

Wer nutzt die in Berlin?
Zalando, Soundcloud, Kempinski, Mytaxi zum Beispiel. Wenn Mytaxi das ganze Jahr über die Rechner- und Prozessorleistung vorhalten müsste, die es in der Silvesternacht braucht, hätten die den Rest des Jahres einen ungenutzten Maschinenpark da stehen.

Apropos Zalando: Mode ist ein Bereich, in den Sie viel investieren. Zalando ist ein sehr umsatzstarker Konkurrent.
Wir konzentrieren uns nicht auf den Wettbewerb, sondern auf den Kunden.

Wie Zalando steht auch Amazon immer wieder in der Kritik. Das fängt an bei Verdrängung, Transport- und Verpackungsaufwand, reicht über Urheberrechtsstreitigkeiten bis zu Steuerschlupflöchern. Die Arbeitsbedingungen stehen am Pranger, unlängst berichteten US-Mitarbeiter von einem System der Kontrolle und Ausbeutung. Was gibt der Konzern der Gesellschaft zurück?
Ich sehe diese Artikel natürlich auch. Amazon ist ein Unternehmen, das sehr viel Reibungsfläche bietet. Wir führen Veränderungen herbei – das wird nicht von jedem geschätzt. Wandel ist auch nicht für jeden eine Chance. In meiner Jugend ging es gegen Einkaufscenter, die auf der grünen Wiese aufgemacht haben, auch die sollten schon die Innenstädte töten. Ich glaube, wir tun als Unternehmen das, was wir tun können. Nur weil wir nicht ständig darüber reden, heißt das nicht, dass wir uns nicht engagieren.

Jetzt ist die Gelegenheit, darüber zu reden.
Wir unterstützen Flüchtlingsprojekte, Lese- und Schreibförderung für Jugendliche, vergeben Preise an selbstverlegende Autoren und vieles mehr. Aber wie Mark Zuckerbergs Beispiel zeigt: Man kann es eh nicht allen recht machen. Vielleicht sollte man es auch gar nicht versuchen.

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