Start-up-Szene in der Hauptstadt: „Berlin muss einen anderen Fokus setzen“
Die hochgelobte Start-up-Szene in Berlin verkennt das Riesenthema Industrie 4.0. Eine Position des Generalbevollmächtigten der Investitionsbank Berlin (IBB) und Aufsichtsratsvorsitzenden der IBB Beteiligungsgesellschaft.
Berlin ist unbestritten die Gründerhauptstadt Nummer eins in Deutschland. Alle 20 Stunden gründet ein IT-Unternehmen in der Stadt. Dennoch hat Berlin keine Chance, ein zweites Silicon Valley zu werden. Kein Standort kann sich mit dem kalifornischen Start-up-Koloss südlich von San Francisco vergleichen, dessen Entwicklung mit der Einrichtung eines Industrie- und Forschungsparks in den 1950er Jahren begann und mit Aufträgen aus dem Pentagon über die Jahrzehnte hochgezogen wurde. Heute beherbergt das „Valley“ die wichtigsten Weltkonzerne der digitalen Wirtschaft.
Den Vergleich mit New York hingegen braucht Berlin nicht zu scheuen. In New York haben sich inzwischen rund 7000 Hightech-Firmen mit 100 000 gut bezahlten Jobs etabliert. In Berlin sind allein in der Digitalwirtschaft mehr als 60 000 Menschen beschäftigt, in allen Zukunftsclustern zusammen sind es inzwischen sogar 480 000 Menschen. Bei Beschäftigtenzahlen kann Berlin also gut mithalten – weniger indes bei den Finanzierungsbedingungen für die jungen Unternehmen.
In Berlin wurde 2014 knapp eine Milliarde Euro investiert
Im Jahr 2014 wurde in den USA Venture Capital (VC) in Höhe von rund 49,3 Milliarden Dollar (das waren gut 40 Milliarden Euro beim Wechselkurs Ende 2014) in 4361 Unternehmen investiert. Davon gingen 57 Prozent in das kalifornische Silicon Valley (28,1 Milliarden Dollar) und knapp zehn Prozent nach New York (4,3 Milliarden). Zum Vergleich: In Berlin wurde 2014 insgesamt knapp eine Milliarde Euro investiert, davon 136 Millionen Euro für IT und Internet-Start-ups. Rund 40 Prozent aller Venture-Capital-Transaktionen fanden in Berlin statt.
Angel- und Venture-Capital-Finanzierungen sind Teil eines Start-up-Biotops, die mit diesem auch wachsen. Im Silicon Valley und New York konnten sie sich mit vielen erfolgreichen Exits in den vergangenen Jahren gut ernähren und sind deshalb in der Lage, die „lokale“ Nachfrage nach Frühphasenfinanzierung komfortabel abzudecken. Das Berliner Angel- und VC-Angebot ist hingegen noch jung und hat noch keine große Tiefe erreicht. Deshalb stammen nur gerade einmal 17 Prozent der investierten Mittel von Investoren vor Ort.
Berliner Szene stark auf B2C konzentriert
Auch ist die Höhe der Investitionen der Venture-Capital-Geber mit 1,8 Millionen Euro pro Unternehmen noch eher bescheiden. In den USA sind es deutlich mehr: im Schnitt 11,3 Millionen Dollar (9,3 Millionen Euro) pro Transaktion, in Kalifornien sogar umgerechnet 12,8 Millionen Euro und in New York acht Millionen Euro. Die wichtigste Herausforderung des Digitalstandorts Berlin ist derzeit aber nicht die Finanzierung, sondern die richtige Positionierung. Während das Silicon Valley klar erkennt, dass die großen Wachstumschancen in der Digitalisierung der Produktionsprozesse, Stichwort Industrie 4.0, liegen, ist die Berliner „Szene“ weiterhin sehr stark auf B2C (Business to Customer), auf Plattformen, Produkte und Spiele für Konsumenten ausgerichtet. Das erstaunt angesichts des Riesenthemas, das sich mit dem Thema Industrie 4.0 anbahnt und das die deutsche Industrie stark verunsichert.
Einerseits lockt der Einsatz des „Internets der Dinge“ in der Produktion mit großen Produktivitätsgewinnen, andererseits droht es mit gewaltigem Fehlinvestitionspotenzial. Die Unternehmen suchen deshalb dringend nach sektor- oder unternehmensspezifischen Lösungen – nur leider nicht unbedingt in Berlin, sondern im Silicon Valley. Erst kürzlich hat Airbus angekündigt, dort 150 Millionen Dollar in Start-ups zu investieren. Geradezu pilgerzugartig reist auch der deutsche Mittelstand ins Valley, um nach gangbaren Wegen Ausschau zu halten.
Mehr Kooperation mit der Industrie nötig
Berlin hat klar erkannt, dass es mehr tun muss, um sich als Ort für 4.0-Lösungen zu empfehlen. Das Potenzial dazu hat die Stadt mit ihren Universitäten, Forschungseinrichtungen, ihrer Start-up-Szene und der Präsenz von vielen in dem Gebiet tätigen Konzernen wie SAP, Siemens, Bosch, Telekom und Cisco. Was ist zu tun? Wir brauchen vor allem mehr Kooperation zwischen der „etablierten“ Industrie, den Start-ups und der Wissenschaft. Die Industrie sollte sich stärker öffnen und einbringen, die Start-ups aus ihren Produktnischen heraustreten und gemeinsam mit anderen jungen Unternehmen und Forschungsinstituten an Lösungen arbeiten. Auch ist die neue Berliner Start-up Unit ein wichtiger Schritt.
Die IBB wird dies mit ihren Angeboten unterstützen. Wir wenden uns mit diesen nicht nur an die Start-up-Unternehmen, sondern auch an die mittelständische Industrie, die wir bei der Digitalisierung des Produktionsprozesses mit unserem geplanten Förderprogramm für den Mittelstand unterstützen wollen.
Der Autor ist der Generalbevollmächtigte der Investitionsbank Berlin (IBB) und Aufsichtsratsvorsitzender der IBB Beteiligungsgesellschaft.
Matthias von Bismarck-Osten