Uniper-Vorstandschef Andreas Schierenbeck: „Beim Wasserstoff wünsche ich mir Farbenblindheit“
Uniper will bis 2035 CO2-neutral werden. Helfen soll dabei auch die neue Wasserstoffkooperation mit dem Turbinenhersteller Siemens. Ein Gespräch mit Uniper-CEO Andreas Schierenbeck.
Herr Schierenbeck, viele Energieversorger haben jetzt Vorsichtsmaßnahmen wegen der Coronakrise ergriffen. Wie arbeiten Ihre Kraftwerker derzeit?
Wir waren früh dran. Zeitig haben wir in den Kraftwerken keine Besucher mehr zugelassen und die Zulieferer eingeschränkt. Schichtwechsel finden ohne direkten Kontakt statt, viele Mitarbeiter waren schon sehr früh im Homeoffice. Wir haben – auch deshalb – Stand heute zwölf bestätigte Coronavirus-Fälle im Unternehmen. Das ist vergleichsweise wenig.
Uniper hat eine neue Kooperation mit Siemens im Bereich der Wasserstofferzeugung angekündigt. Was genau haben Sie vor?
Wir wollen in der europäischen Stromerzeugung bis 2035 CO2-neutral werden. Wir setzen auf Wasserstoff in unserem Handelsgeschäft, aber natürlich auch bei unseren Anlagen. Wir wollen das Gas klimafreundlicher machen. Für uns war es da eigentlich nur logisch, uns mit Siemens, das den Großteil unserer Turbinen liefert, zusammenzutun. Siemens kennt unsere Gasturbinen und ist langjähriger Partner von Uniper und hat führend die Erzeugung von Wasserstoff im Portfolio.
Wollen Sie selbst groß einsteigen in die Wasserstofferzeugung?
Wenn wir unsere Wirtschaft dekarbonisieren wollen, werden wir gewaltige Mengen Wasserstoff benötigen. Die werden nicht nur aus Deutschland kommen, sondern zum Teil importiert werden müssen. Wir führen ja heute schon 70 Prozent unseres Primärenergieverbrauchs ein. Ich halte es für ein Ding der Unmöglichkeit, diese Energiemengen durch deutschen Wasserstoff zu ersetzen. Aber natürlich werden wir auch in Deutschland Wasserstoff herstellen. Wir brauchen es als Speichermedium, um die Verbrauchsspitzen zu glätten, und als Element für die Sektorkopplung, zum Beispiel, um den Transportsektor klimafreundlicher zu machen.
Wird Uniper seinen CO2-Ausstoß über den Zukauf von Zertifikaten kompensieren, um Klimaneutralität bis 2035 zu erreichen?
Der Einsatz von Wasserstoff in unseren Kraftwerken leistet seinen Beitrag zum Ziel der Klimaneutralität. Dann wird vermutlich aber auch CCS, die Abscheidung und Verpressung von CO2, eine neue Zukunft haben in Deutschland oder ganz andere Technologien. Bis 2035 ist ja noch ein bisschen hin. Wenn das alles nicht funktioniert, werden wir auch auf Zertifikate setzen. Das ist aber nicht unsere bevorzugte Variante.
Die Politik hat umfassende Unterstützung für die Wasserstoffstrategie in Aussicht gestellt. Wohin sollen die Milliarden Ihrer Meinung nach fließen?
Ich wünsche mir beim Wasserstoff eine gewisse Farbenblindheit. Damit meine ich, dass abgesehen vom grauen Wasserstoff, bei dessen Erzeugung CO2 freigesetzt wird, alle übrigen Farben gleichbehandelt werden sollten. Ich sehe kein Problem darin, wenn LNG oder Pipeline-Gas dekarbonisiert und damit Wasserstoff produziert wird. Dann brauchen wir natürlich auch eine Anschubfinanzierung.
Würden Sie denn für eine projektgebundene Förderung plädieren oder für eine Art staatlichem Wasserstoffmarkt, ähnlich zum EEG?
Man wird beides brauchen. Es spricht zum Beispiel nichts dagegen, vorzuschreiben, dass es einen gewissen Anteil von Wasserstoff im Gasnetz braucht, also eine Quote.
Wir haben jetzt viel über Klimaneutralität gesprochen. Nun gilt Uniper aber derzeit eben auch als Buhmann der Umweltszene, weil das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 im Sommer ans Netz gehen soll. Können Sie den Ärger der Klimaschützer nachvollziehen?
Nein, wenn man sachlich-faktisch argumentiert, nicht wirklich. Datteln 4 wird unterm Strich Emissionen einsparen. Das passiert dadurch, dass wir unsere übrigen Steinkohleanlagen vom Netz nehmen. Diese machen insgesamt eine höhere installierte Leistung aus und haben auch einen höheren CO2-Ausstoß. Damit ist das zu rechtfertigen. Ich erwarte, dass man die Effizienz eines Kraftwerks wie Datteln 4 in der Argumentation berücksichtigt.
Datteln 4 geht ans Netz – die anderen Uniper-Steinkohlekraftwerke sollen das kompensieren. Werden die Kraftwerke stillgelegt oder gibt es auch welche, für die eine Umstellung auf Gas infrage kommt?
Bei einigen Anlagen werden wir tatsächlich prüfen, ob sich ein Umbau lohnt. Technisch ist das praktisch ein Neubau. An vielen Standorten befindet sich schon jetzt ein Gasnetzzugang. Einen ganz konkreten Fall gibt es schon: Aus dem Steinkohlekraftwerk Scholven wird ein GuD-Kraftwerk für die chemische Industrie.
Werden Sie den Kohleersatzbonus nutzen, den das BMWi in Aussicht stellt?
Wir werden das auf jeden Fall prüfen. Wenn uns das hilft, dann nehmen wir ihn in Anspruch.
Also kann Uniper doch auf staatliche Unterstützung zählen, obwohl Datteln 4 ans Netz gehen darf? Das war eigentlich anders geplant.
Datteln wurde mal gebaut für einen Betrieb von 40 bis 50 Jahren. Nun wird es nicht mal die Hälfte sein. Wir gehen davon aus, dass Datteln 4 das letzte laufende Kohlekraftwerk in Deutschland sein wird. Dass das dennoch nicht das Geschäft des Jahrhunderts ist, liegt auf der Hand.
Ist denn ein längerer Betrieb von Datteln 4 von den politischen Rahmenbedingungen her überhaupt möglich? Wenn man sich die verbleibenden Gigawattzahlen für Stein- und Braunkohlekapazität nach 2030 anschaut, kommt man zu dem Schluss: 2033 oder 2034 ist Schluss mit der Steinkohle.
Erst einmal gilt: Das Kohleausstiegsgesetz ist ja noch nicht komplett verabschiedet. Wir haben mit dem derzeitigen Gesetzesstand die fragwürdige Situation, dass die Braunkohlekraftwerke – also jene mit dem höchsten CO2-Ausstoß – am längsten laufen sollen – ein Punkt, der Greenpeace und andere Umweltschutzorganisationen interessieren müsste. Ich glaube, dass der Kohleausstieg am Ende durch den CO2-Preis im Europäischen Emissionshandel entschieden wird und durch die Gaspreise. Dadurch werden die Braunkohlekraftwerke deutlich früher als vorgesehen aus der Merit-Order verdrängt.
Der Stromverbrauch geht wegen der Coronakrise zurück. Kohlekraftwerke leiden darunter besonders, weil sie vergleichsweise teuer produzieren, Gaskraft steht dagegen weiter gut da. Wie wirkt sich das bei Ihnen geschäftlich aus?
Richtig, in der derzeitigen Marktsituation wird vor allem die Auslastung der Kohlekraftwerke leiden, wenn der Stromverbrauch niedriger bleibt oder sogar weiter sinkt. Auch der Gaskraft geht es ja noch nicht wirklich gut. Unser hochmodernes Gaskraftwerk in Irsching ist nach wie vor in der Reserve und nicht am Markt, weil die politischen Rahmenbedingungen einen wirtschaftlichen Betrieb nicht zulassen – auch ohne Corona. Gaspreis und CO2-Preis können die Situation aber auch wieder ändern. Wir bei Uniper haben aber ohnehin einen Großteil unserer Stromproduktion langfristig abgesichert. Kurzfristige Verwerfungen berühren uns deshalb kaum.
Der finnische Versorger Fortum ist bei Ihnen nun Hauptaktionär. Anfangs hatten Sie sich über zu wenig strategische Klarheit beklagt. Haben Sie die inzwischen – und ist das der Grund für Ihre CO2-Reduktionsziele?
Wir haben für Uniper eine klare strategische Richtung vorgelegt und diese wird auch von Fortum unterstützt. Allerdings ist ein Mehrheitsaktionär kein Alleinaktionär, wir haben natürlich das Interesse aller Anteilseigner zu berücksichtigen. Aber ich gehe fest davon aus, dass wir auch mit Unterstützung unseres Hauptaktionärs nun unseren klaren Weg in die Zukunft verfolgen können.
Uniper unterstützt – auch finanziell – den Bau der energie- und außenpolitisch umstrittenen Pipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland. Erdgas in riesigen Mengen auf Jahrzehnte: Wie passt das zur Dekarbonisierung, die Sie anstreben?
Eine 80-prozentige Umstellung von Nord Stream 2 auf Wasserstoff ist möglich. Wichtiger ist aber: In Europa leeren sich viele Gasfelder, zum Beispiel in den Niederlanden und in Norwegen. Gleichzeitig erwarten Fachleute, dass der Verbrauch in Europa um bis zu 150 Milliarden Kubikmeter pro Jahr steigen kann. Wir brauchen das Gas – auch zur Senkung der Emissionen, in den nächsten 10 bis 20 Jahren vermutlich dringend. Und Diversifikation bei den Bezugsoptionen ist immer ein Vorteil.
Die deutsche Grundstoffindustrie spricht sich zum Teil für einen staatlich regulierten Strompreis aus, um insbesondere im Vergleich zu China und den USA noch konkurrenzfähig produzieren zu können, zum Beispiel vier Cent pro Kilowattstunde. Unterstützen Sie das?
Ich sehe das nur zu einem kleinen Teil als Marktfrage. Warum ist Strom denn hierzulande besonders teuer? Vor allem aufgrund staatlicher Eingriffe an vielen Stellen. Aus meiner Sicht bietet der direkte und indirekte Staatsanteil ausreichend Spielraum für Lösungen. Letztlich ist das Anliegen berechtigt: Das Wachstum von Volkswirtschaften hängt nachweislich stark mit dem Zugang zu günstiger Energie zusammen. Ich würde eine Initiative in dieser Richtung weiter unterstützen, gebe aber auch zu bedenken, dass eine moderate Entlastung für die Industrie bereits im Kohlekompromiss angestrebt wurde. Die Regierung hat das aber nicht umgesetzt.