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Der sogenannte Pflege-Bahr bekommt schlechte Noten von Verbrauchermagazinen. Doch die Branche ist begeistert.
© dpa

Privatanbieter sprechen von Erfolgsmodell: Begeistert vom Pflege-Bahr

125.000 Menschen hatten Ende Mai bereits eine staatlich geförderte Pflegezusatzversicherung abgeschlossen. Die Branche freut sich - und kompensiert damit ihre Probleme mit der privaten Krankenversicherung.

Mit der Zahl der Vollmitglieder geht es bei der privaten Krankenversicherung (PKV) erstmals bergab – doch dem Verbandschef war dieser Einschnitt keine drei Sätze wert. Lieber konzentrierte sich Reinhold Schulte bei der Jahrestagung in Berlin aufs Positive. Bei den Zusatzversicherungen hätten die Privaten 2012 weiter zugelegt – um eine gute halbe Million auf rund 32 Millionen Versicherungen. Und vor allem einen Triumph wollte der scheidende Vorsitzende groß vermelden: Entgegen aller Schwarzmalerei habe sich die staatlich geförderte Pflegezusatzversicherung – kurz Pflege-Bahr genannt – zum „echten Erfolgsmodell“ entwickelt.

Bis Ende Mai, so berichtete Schulte, hätten bereits mehr als 125 000 Menschen die neue, von Schwarz-Gelb propagierte Zusatzversicherung abgeschlossen. Da mit jedem Tag 1000 neue Anträge hinzukämen, liege man inzwischen wahrscheinlich schon bei rund 150 000. Und das, so der Verbandschef, sei „erst der Anfang“. 24 Privatversicherer mit einem Marktanteil von mehr als 80 Prozent hätten die Zusatzpolice bereits im Angebot. Weitere Unternehmen planten noch in diesem Jahr den Einstieg. Offenkundig habe die Debatte über Pflegereformen vielen die Augen dafür geöffnet, dass ihnen ohne zusätzliche Vorsorge im Pflegefall "finanzielle Überforderung" drohe.

Erfreulich sei auch, dass das neue Angebot bei den 25- bis 35-Jährigen so gut ankomme, sagte Schulte. Auf diese Altersgruppe entfielen fast 40 Prozent aller Anträge. 56 Prozent der Antragsteller seien unter 50 und nur 13 Prozent älter als 60 Jahre. Dies widerlege alle Skeptiker, die vermutet hätten, dass dass neue Angebot nur für Alte und Kranke attraktiv sei, weil es, anders als üblich, auf Gesundheitsprüfungen und entsprechende Risikozuschläge verzichtet.

Mit scharfer Kritik reagierte der Verbandsvorsitzende auf Berichte von Verbrauchermagazinen, wonach sich der Pflege-Bahr nicht lohne. Manche hätten als Testmaßstab "eine Art Vollkasko-Schutz in der Pflege" angelegt, obwohl dies nie beabsichtigt gewesen sei, schimpfte Schulte. Und in anderen Tests seien lediglich Tarife für 45- oder 55-Jährige unter die Lupe genommen worden. Gesundheitsminister Daniel Bahr bestätigte, dass es niemals Ziel gewesen sei, die Lücke zwischen den Zahlungen der gesetzlichen Versicherung und den tatsächlichen Pflegekosten komplett zu schließen. Man habe sie nur reduzieren wollen, sagte der FDP-Politiker bei der Tagung. Und auch die Riester-Rente habe länger gebraucht, um sich durchzusetzen.

In der SPD stieß die Branchenbegeisterung auf Skepsis. Die Zahl der Abschlüsse liege in der erwarteten Größenordnung, sagte ihr Sozialexperte Karl Lauterbach dem Tagesspiegel. Viele hätten sich nun eben statt für eine gewöhnliche Zusatzvorsorge für das geförderte Produkt entschieden. Am Ende aber werde der Anteil derer, die zusätzlich vorsorgen, nicht mehr als zehn Prozent betragen. Die wichtigen Probleme der Pflege seien damit nicht ansatzweise gelöst. Und vielen Versicherten werde mit den Zusatzverträgen eine falsche Sicherheit vorgegaukelt. Bei den niedrigen Zinsen stiegen die Pflegekosten viel schneller als das, was die Policen abzudecken imstande seien.

Dass sich die Zahl der privat Krankenversicherten 2012 erstmals um rund 20 000 verringert hat – sie sank auf 8,96 Millionen – führt Schultes Verband auf dreierlei zurück. Zum einen auf den Anstieg von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, wodurch viele einst privat Versicherte „zwangsweise“ in eine gesetzliche Kasse hätten zurückkehren müssen. Zum zweiten auf die verpflichtende Einführung so genannter Unisex-Tarife, die den privaten Schutz insbesondere für Männer verteuert hätten. Und die Restschuld trügen die Medien mit ihrer „überaus kritischen Berichterstattung“. Die Kapitalanlagen der privaten Krankenversicherer jedenfalls seien "stabil", versicherte Schulte. Die Nettoverzinsung habe auch im Krisenjahr 2012 im Branchendurchschnitt 4,2 Prozent betragen. Die Altersrückstellungen seien um weitere zehn Milliarden gestiegen - auf insgesamt 160 Milliarden Euro.

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