Dieselgate: Autolobby im Reality-Check
Beim Fachgespräch bei der grünen Bundestagsfraktion bemüht sich die Autolobby um Schadensbegrenzung, und die Umweltverbände haben es "schon immer gewusst".
Ulrich Eichhorn, Geschäftsführer beim Verband der Automobilindustrie (VDA), hat es in der grünen Bundestagsfraktion nicht leicht. Die hatte am Dienstag zu einem Fachgespräch über den Abgasskandal eingeladen, und Eichhorn musste sich einiges anhören. Zum Beispiel, dass nicht nur VW die Abgasgrenzwerte weder beim klimarelevanten Kohlendioxid (CO2) noch bei Luftschadstoffen wie Stickoxiden (NOx) einhalte. Eichhorn bemühte sich um Schadensbegrenzung und sagte, es liege „ein Regelverstoß eines Herstellers in den USA“ vor. Und der „am meisten geschädigte ist Volkswagen“.
Dieser Bewertung mochte sich Reinhard Kolke nicht anschließen, der beim Autoverband ADAC das Technikzentrum leitet. Und zwar vermutlich genau deshalb. Der ADAC hat im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) zwischen 1996 und 2008 Messungen gemacht. Dass die im Labor gemessenen Abgaswerte nichts mit denen im realen Verkehr zu tun haben, weiß der ADAC seit 2003. Trotzdem sei er „erschrocken“ gewesen, als er von einer Abschalt-Software erfahren habe, mit der VW in den USA die Grenzwerte unterlaufen habe, sagte Kolke.
Die Schadstoffwerte gehen nicht zurück
Martin Schmied, Leiter der Verkehrsabteilung im UBA, beschrieb, dass der NOx-Ausstoß der Neuwagen nach der EU-Abgasnorm Euro 5 höher ausgefallen sei als noch mit Euro 4. 60 Prozent der verkehrsnahen Messstellen für Luftschadstoffe weisen seit Jahren um ein Vielfaches erhöhte Werte auf, die „nicht zurückgehen“. Es könne kaum um ein Problem gehen, „das nur VW betrifft“, sagte er dem Tagesspiegel im Anschluss an die Veranstaltung.
Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), beklagte die „falsche Kumpanei“ zwischen Politik und Autoindustrie, die dazu geführt habe, dass auf Hinweise der DUH oder des ökologischen Verkehrsclubs VCD auf die Diskrepanz zwischen Laborwerten und realen Straßenwerten „nie eine Reaktion folgte“.
"Natürlich gibt es Einflussnahme der Wirtschaft"
Das hat Gertrud Sahler, Abteilungsleiterin Umwelt und Gesundheit im Bundesumweltministerium, vor ein paar Tagen bei einer Veranstaltung des Verkehrsverbands Pro Schiene, bei der es darum ging, warum der CO2-Ausstoß im Verkehr steigt statt sinkt, so formuliert: „Natürlich gibt es Einflussnahmen der Wirtschaft. Wer das bestreitet, lebt nicht in der Wirklichkeit.“ In Brüssel hat das mehrfach bewirkt, dass die Grenzwerte für den CO2-Ausstoß von Neufahrzeugen immer höher ausgefallen sind, als es für den Klimaschutz dienlich gewesen wäre. Und es habe wohl auch dazu geführt, dass die dauerhafte massive Überschreitung von NOx-Grenzwerten keinerlei Konsequenzen für die Autoindustrie gehabt habe, wie der frühere UBA-Abteilungsleiter Axel Friedrich anmerkte.
Hohe Stickoxid-Werte sind gesundheitsschädlich
Dabei sind die Folgen für die Gesundheit nicht trivial. Darauf wiesen Schmied und Resch hin. Zwischen 300 000 und 400 000 Menschen sterben in der EU jedes Jahr vorzeitig wegen der Luftverschmutzung, hat die Weltgesundheitsorganisation ermittelt. NOx löst Atemwegserkrankungen aus, es ist ein Vorläuferschadstoff, aus dem sich bodennahes Ozon entwickeln kann und NOx ist an der Bildung von Feinstaub beteiligt, der Lungenkrebs verursachen kann. Dazu kommt, dass NOx bei den aggressiven eingeschleppten Ambrosia-Pflanzen weitere Allergene anschaltet, hat die Helmholtz-Gesellschaft herausgefunden. Die Pflanze ist für Allergiker ein großes Problem. Martin Schmied sagte am Dienstag: "Den größten Schaden hat nicht VW. Den größten Schaden haben die Menschen, die an den Straßen leben, wo die NOx-Werte seit Jahren nicht sinken."