Worklifebalance: Auszeit für den Chef
Teilzeit und Karriere galten lange als unvereinbar. Doch nun entscheiden sich auch Führungskräfte für verkürzte Arbeitszeiten. Wie das funktionieren kann.
Es ist Montag. In den Büros der Deutschen Bahn im Frankfurter Gallusviertel herrscht Hochbetrieb. Die Software-Architekten des Unternehmens arbeiten hier fieberhaft an einer Umstellung interner Systeme. Konzentriert sitzen die IT-Spezialisten vor ihren Rechnern. Ihr Chef hingegen, Ingo Schiemann, ist zuhause geblieben. Wie an jedem Montag. An seinem freien Tag übt er für den Chor oder er kümmert sich um ein soziales Projekt, das er betreut: „Zum Ausgleich“, wie er sagt.
Schiemann ist einer der wenigen Führungskräfte in Deutschland, die in Teilzeit arbeiten. Seit 2004 praktiziert er die Vier-Tage-Woche und ist hochzufrieden. „Vor allem schaffe ich es tatsächlich, meine 32 Wochenstunden einzuhalten“, sagt er, „das ist für manche kaum zu glauben, aber es klappt.“ Der gebürtige Berliner führt eine Abteilung von 36 Mitarbeitern. Schiemann ist zum Beispiel verantwortlich, wenn die Deutsche Bahn online ihr Zahlungssystem umstellt. Er koordiniert und organisiert die Arbeitsprozesse, er unterstützt die berufliche Entwicklung der Mitarbeiter und optimiert Betriebsstrukturen. Und das alles in Teilzeit.
Einige Großunternehmen bieten nicht nur ihren Mitarbeitern verkürzte Arbeitszeiten an, sondern inzwischen auch ihren Top-Managern. Neben der Deutschen Bahn unterstützen auch die Telekom, Bosch und die Allianz Teilzeitmodelle für die Führungskräfte. Dahinter steckt, dass sie ihren Managern eine ausgewogenes Verhältnis von Arbeit und Freizeit ermöglichen wollen – auch zur Prophylaxe von Burnout. Die gesellschaftliche Diskussion des Phänomens hat ein Umdenken angestoßen. Das Bild des erfolgreichen Managers, der so gut wie immer im Einsatz für sein Unternehmen ist, hat einen Knacks bekommen. Leistungsstärke und Belastbarkeit werden nicht mehr so unkritisch über eine 60-Stunden-Woche definiert.
Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein Argument für das Modell. Denn Frauen und auch immer mehr Männer sind generell weniger bereit, sich zwischen Kind und Karriere zu entscheiden. Teilzeit ist für sie eine Möglichkeit, beides zu verbinden.
Derzeit sind Führungskräfte in Teilzeit aber noch Exoten: Bei den männlichen Chefs sind es zwei Prozent, die nicht Vollzeit arbeiten. Bei den weiblichen Führungskräften 14 Prozent. Und das, obwohl sich nach einer Studie der Unternehmensberatung Bain & Company von 2011 etwa 94 Prozent der weiblichen und 78 Prozent der männlichen Spitzenkräfte für derartige Modelle interessieren. In vielen Köpfen aber scheint Teilzeit noch unvereinbar mit einer Erfolgskarriere zu sein. Das gilt sowohl für die Arbeitgeber als auch für die Angestellten.
Oft nehmen Manager solche Modelle nicht in Anspruch
Auch BMW Berlin bietet mittlerweile Führung in Teilzeit an. In der Hauptstadt-Niederlassung aber nutzt das Modell derzeit niemand. Die Akzeptanz von Teilzeit schließe alle Beteiligten ein, betont Sprecherin Romy Ertl. Eine andere familienfreundliche Alternative ist bei BMW eher verbreitet: die Telearbeit, bei der vom heimischen Computer aus Berufliches erledigt wird. Und auch Sabbaticals, längere Auszeiten, die durch vorher angesammelte Überstunden oder Lohnverzicht ausgeglichen werden, nehmen die BMW-Mitarbeiter häufig in Anspruch. Die Führungskräfte des Auto- und Motorradbauers allerdings nutzen alle Varianten nur vereinzelt. „Es ist einfach üblich, sich in den Top-Positionen voll und ganz dem Unternehmen zu widmen“, sagt Ertl.
Ingo Schiemann hat den Schritt in die Teilzeit nicht bereut. Er hat sich nie Kommentare anhören müssen, ist nie komisch angeguckt worden, weil er nur vier Tage in der Woche anwesend ist. Ob ein solches Modell funktioniere sei eine Frage guter Organisation: Schiemann verteilt in seinem Team die Verantwortung auf mehrere Schultern. Das Ergebnis sei ein gestärktes Gruppengefühl und eine weniger hierarchische Struktur.
„Eine gute Vertretung ist die Voraussetzung“, sagt Schiemann. Üblicherweise vertritt ihn eine Kollegin, der er „hundertprozentig“ vertraut. „Ich bin auch kein Standby-Manager“, sagt er. Montags schaltet er das Smartphone aus. Im Notfall ist er zwar privat zu erreichen – in acht Jahren aber ist er nie angerufen worden. Dienstagmorgens dann bekommt er ein Briefing von seiner Vertretung, die die Arbeitsprozesse nicht an ihn übergibt, sondern auch an diesem Tag weiter begleitet. Die Verantwortung konzentriert sich nicht explizit auf den Chef.
Gernold Frank, Experte für Personalentwicklung an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW), sieht das als einen Schlüssel zur Durchsetzung von Teilzeitmodellen: „Warum muss immer nur eine Person auf den Entscheider-Posten sitzen?“, fragt er. Die Fixierung auf eine Person bewirke, dass Manager und Führungskräfte zu Workaholics werden, die erleben, dass es ohne sie nicht geht. Es wäre es an der Zeit, ein so genanntes „Top-Sharing“ in Führungspositionen zu praktizieren, schlägt der Personalexperte vor: Für Entscheider-Posten gäbe es dann mehrere Angestellte.
Wie das gehen soll? Frank gibt ein Beispiel: Ein Marketing-Chef bei einem großen Unternehmen sei zumBeispiel nicht mehr für den ganzen Markt in Deutschland zuständig, sondern nur noch für einen Bereich. Die Aufgaben werden bis in die höheren Posten kleiner gehalten und verteilt. Und man vertritt sich gegenseitig an den Tagen, an denen die Kollegen nicht da sind.
„Das ist erst einmal teurer für die Unternehmen“, sagt Frank, „ich bin aber sicher, dass es auch eine gesündere Personalentwicklung zur Folge hätte.“ Mehr Angestellte auf den entscheidenden Positionen wie auf den Nachrückerpositionen heiße auch, die Qualitäten der Mitarbeiter genauer herausarbeiten zu können.
„Wie die Unternehmen aber derzeit strukturiert sind“, sagt Frank, „ist es doch klar, dass die Führungskräfte um ihre Posten bangen, wenn sie die Arbeitszeit verkürzen.“ Generell habe Teilzeitarbeit noch einen schlechten Ruf. Auch die Befürchtung, solche Stellen könnten nur auf dem Papier existieren und seien im Alltag dann doch Vollzeitjobs, sei nicht von der Hand zu weisen.
Bei Ingo Schiemann trifft das nicht zu. Er fühlt sich entlastet. „Schon den Sonntag kann ich viel entspannter angehen“, sagt er. Auch weil er weiß, dass er sich darauf verlassen kann, dass in dem Frankfurter DB-Büro auch ohne seine permanente Anwesenheit weiter an der Stabilität der neuen Software gearbeitet wird. Die Abläufe funktionieren reibungslos – auch montags.
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