Digitaler Wandel: Ausbildung ist nicht auf der Höhe der Zeit
Ein Report zeigt: Fast die Hälfte aller Auszubildenden wird nicht auf die Digitalisierung vorbereitet. Ihre Zufriedenheit sinkt auf einen Tiefstwert.
Sonja will ihr Smartphone nicht mehr benutzen. Zumindest nicht bei der Arbeit. Die junge Frau macht eine Ausbildung zur Elektronikerin und müsste ständig erreichbar sein, ständig mit ihrem eigenen Handy telefonieren und neulich, da wurde ihr sogar ein Arbeitsauftrag über WhatsApp geschickt. Sie würde ihren Job und ihr Privatleben gerne trennen, aber das sei nicht möglich. Ob das rechtens sei, fragte sie die Gewerkschaft. Ist es nicht. Und es ist nicht das einzige Problem, das in deutschen Betrieben existiert, wenn es um digitale Fragen in der Ausbildung geht.
80 Prozent der Azubis sagen zwar, dass Digitalisierung und Automatisierung als wichtig oder sehr wichtig angesehen werden. Doch nur knapp die Hälfte sieht sich darauf vorbereitet, Technologien später nutzen zu können. Je länger sie im Betrieb sind desto skeptischer werden sie diesbezüglich. Während im ersten Lehrjahr mehr als drei Viertel optimistisch sind, was ihre Vorbereitung auf die digitale Arbeitswelt angeht, sind es kurz vor der Abschlussprüfung noch 60Prozent. All das geht aus dem diesjährigen Report des Deutschen Gewerkschaftsbundes hervor, für den rund 16000 junge Frauen und Männer befragt wurden.
„Diese Zahlen machen uns Sorge“, sagte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack bei der Vorstellung der Ergebnisse. Die Auszubildenden von heute seien immerhin die Fachkräfte von morgen. Sie müssten gerüstet sein für neue Techniken und sich wandelnde Tätigkeitsprofile. Aus anderen Untersuchungen sei ersichtlich, dass es kaum einen Beruf geben dürfte, der sich im Zuge der Digitalisierung nicht verändern wird oder der sich nicht schon jetzt verändert hat. Eine Ausbildung auf der Höhe der Zeit sei deswegen dringend notwendig.
Berufsschulen sind unmodern ausgestattet
Die Realität sieht jedoch anders aus. Die Nutzung von Apps, um beispielsweise zu lernen oder um das Berichtsheft zu füllen, ist noch nicht weit verbreitet. Nur 23 Prozent der Befragten gaben dies an. Eine Ausnahme stellen Bankkaufleute sowie Fachinformatikerinnen und Fachinformatiker dar. Von ihnen gaben 59 beziehungsweise 48 Prozent an, Apps in der Ausbildung zu gebrauchen. Angehende Fachinformatiker bekommen außerdem überdurchschnittlich häufig technische Geräte wie ein Smartphone, Tablet oder Laptop zur Verfügung gestellt. Insgesamt trifft dies nur auf gut ein Viertel zu. Aus Sicht des DGB müssten Unternehmen für die Geräte aufkommen. Ein verpflichtender Privatkauf wie im anfangs beschriebenen Fall dürfe nicht sein.
Die Umfrage zeigt, dass sich Azubis in großen Konzernen digital qualifizierter fühlen als jene in kleinen Betrieben mit fünf oder zehn Mitarbeitern. Doch nicht nur die Betriebe hinken dem Wandel hinterher. Auch die Berufsschulen tun sich schwer. Nur ein Drittel der Auszubildenden beurteilt die digitale Ausstattung dort als sehr gut oder gut. Jeder Dritte sieht sich durch den Unterricht außerdem nur ausreichend oder mangelhaft auf den Umgang mit digitalen Medien und Technologien gerüstet.
Erhebliche Investitionen in die teils maroden Schulen seien aus Sicht der Gewerkschaft vonnöten. Dazu gehörten Sanierungen der Gebäude sowie die Bereitstellung digitaler Lernmedien. Die DGB-Bundesjugendsekretärin Manuela Conte fordert in dem Kontext außerdem „besser qualifiziertes Lehrpersonal und Breitbandanschlüsse“. Die Mittel aus dem Digital-Pakt von Bund und Ländern sollten auch an den beruflichen Schulen ankommen. Die Berufsschulen müssten im theoretischen Unterricht mit der realen Entwicklung in den Unternehmen Schritt halten können.
Viele Azubis müssen Überstunden machen
Generell ist die Zufriedenheit der deutschen Auszubildenden auf einen Tiefstwert gesunken. In dem Report, den der DGB seit 13 Jahren veröffentlicht, sind erstmals weniger als 70 Prozent der Befragten mit dem, was sie lernen, „zufrieden“ oder „sehr zufrieden“. Vor zehn Jahren waren es mehr als 75 Prozent. Mehr als ein Drittel klagte über regelmäßig anfallende Überstunden. Fast jeder achte Jugendliche unter 18 Jahren muss verbotenerweise mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten – vor einem Jahr war es nur jeder zehnte. „Die Ausbildungsbetriebe müssen sich an geltende Gesetze halten“, mahnte Conte. Die jungen Menschen dürften nicht „als billige Arbeitskräfte missbraucht werden“.
Allerdings gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen: Industriemechaniker, Verwaltungsfachangestellte, Mechatroniker und Industriekaufleute sind überdurchschnittlich zufrieden. Hotelfachleute, Friseure, Verkäuferinnen, Fleischer und Bäckerinnen bewerten ihre Betriebe als besonders mies. Die Digitalisierung mache die Ausbildungsinhalte für Betriebe „anspruchsvoller“, entgegnete der Handwerksverband auf die Kritik. Gleichzeitig könne Ausbildung nur funktionieren, „wenn auch die Azubis ihrerseits zum Gelingen beitragen“.
Marie Rövekamp