Deutsche Bahn: Aus der Spur
Die Deutsche Bahn wird umgebaut, doch das Programm „Zukunft Bahn“ steckt in der Gegenwart fest – vor allem im Güterverkehr.
Das liest man nicht oft bei der Deutschen Bahn: „Wenn Dinosaurier reisen“, überschrieb der Staatskonzern in dieser Woche eine Mitteilung. Gemeint waren nicht das Fahrzeug oder die Passagiere – sondern „Sue“, das Skelett des berühmtesten T.Rex der Welt. Schenker, die Speditions-Tochter der Bahn, transportiert das Knochengerüst in 40 Kisten von Kanada in die USA, zu einer Sonderausstellung im Santa Barbara Museum of Natural History.
Zum Fossil ist nach Auffassung mancher Beobachter auch die Güterverkehrssparte der Bahn selbst geworden – zumindest die auf der Schiene. Seit Jahren defizitär, mit sinkenden Marktanteilen und Gütermengen konfrontiert, bereitet DB Cargo mit weltweit gut 30 000 Beschäftigten der Konzernführung größte Sorgen. Der Bereich war wegen hoher Abschreibungen auch maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Bahn 2015 erstmals seit zwölf Jahren einen Verlust von 1,3 Milliarden Euro schrieb.
Für Aufregung sorgt aktuell vor allem die Ankündigung des Konzerns, bundesweit 215 von 1500 Verladestationen zu schließen, davon allein sechs Güterverkehrszentren in Berlin und 27 Verladestellen in Brandenburg. Viele Stationen sind ineffizient oder kaum noch in Betrieb. Bei seiner Sitzung am übernächsten Mittwoch (8. Juni) erwartet der Aufsichtsrat dennoch Vorschläge des Vorstands, wie aus dem drastischen Sparkurs eine Wachstumsstrategie werden soll.
Am 8. Juni will die Gewerkschaft vor dem Bahn-Tower demonstrieren
Die interne Mittelfristplanung der Bahn, die der Konzern offiziell nicht bestätigt, sieht vor, dass der Schienengüterverkehr ab 2018 wieder wachsen und ein Jahr später operativ Geld verdienen soll. Im Aufsichtsrat ist man skeptisch: „Woher sollen die Kunden plötzlich kommen, die jetzt zu den privaten Bahn-Wettbewerbern abwandern?“, fragt ein Mitglied. Die Eisenbahngewerkschaft EVG ist derweil alarmiert und warnt vor dem Verlust von 3000 Jobs. Am 8. Juni hat die EVG zu einer Demonstration vor dem Berliner Bahn-Tower eingeladen.
Den Versuch von Bahn-Chef Rüdiger Grube, mit eisernem Sparen im Güterverkehr auf der Schiene wieder Fuß zu fassen, bewerten Beobachter kritisch. Die Fehler werden dabei nicht nur im Management gesehen, sondern auch bei der Politik. Obwohl Prognosen von einem steigenden Transportaufkommen in Deutschland ausgehen, bekommt DB Cargo immer weniger davon ab – trotz hoher Rabatte. „Die Sparpläne sind eine heftige Klatsche für die Verkehrspolitik“, sagt Matthias Gastel, bahnpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Statt mehr Güter auf der Schiene und weniger auf der Straße zu transportieren, passiere das Gegenteil. „Die Trassenpreise im Bahn-Netz explodieren, die Lkw-Maut wird gesenkt und der Verkehrswegeplan des Bundes ist ein Straßenbauprogramm“, kritisiert Gastel. Zugleich werde der Test von Lang-Lkw auf zusätzliche Straßen und Bundesländer ausgeweitet.
Ein hausgemachtes Problem sehen Experten in der Komplexität, die die Bahn aufgebaut hat. Schiene und Straße, Luft- und Seefracht – überall auf dem Globus mischen DB Cargo und DB Schenker im Logistikgeschäft mit. Hinzu kommt der Personenverkehr. Der gesamte Bahn-Konzern macht knapp die Hälfte seines Umsatzes (40 Milliarden Euro) im Ausland. Gleichzeitig betont Bahn-Chef Rüdiger Grube, wie wichtig ihm das „Brot-und- Butter-Geschäft“ ist – die Eisenbahn in Deutschland. „Die Auslandsgeschäfte binden enorm viel Managementkapazität“, sagt Christian Böttger, Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Technik in Berlin. „Es liefe besser bei der Bahn, wenn sich Grube nicht mit dem Schiffsverkehr in den USA oder der Minenlogistik in Australien beschäftigen müsste.“
Billigflieger und Benzinpreis machen der Bahn zu schaffen
Bei der Eisenbahn in Deutschland gäbe es genug zu tun. Denn Grubes Programm „Zukunft Bahn“ steckt auch beim Personenverkehr in der Gegenwart fest. Die Rahmenbedingungen bremsen den Schienenkonzern: Billigflieger weiten ihre Dumpingstrategie aus, der Fernbus hat sich etabliert, die Spritpreise bleiben niedrig, neue Angebote wie digitale Mitfahrbörsen machen der Bahn zu schaffen.
Deren Gegenmittel, mit Billigtickets Fahrgäste auf die Schiene zu locken, wirkt allenfalls kurzfristig. Die Zahl der Passagiere stieg 2015 auf einen Rekord von 132 Millionen, Umsatz und Gewinn pro Fahrgast aber gingen zurück. „Die Politik freut sich, wenn es mehr Bahn-Reisende gibt“, sagt Tom Reinhold, Verkehrsexperte bei der Beratungsgesellschaft Oliver Wyman. „Aber der Konzern übertreibt es. Die Bahn muss aufpassen, dass sie bei der Preisgestaltung nicht in einen Teufelskreis gerät und Einnahmen verliert.“ Grube betont, dass die Bahn für ihre oft genervten Kunden attraktiver werden will – pünktlicher vor allem. Aber: 2015 war nur jeder dritte Zug im Fernverkehr pünktlich. 80 Prozent sollen es 2016 werden. Im April ist der Wert wieder auf 78,5 Prozent gesunken – eine Folge des Streckenausfalls zwischen Hannover und Kassel, rechtzeitig zur Hannover Messe. „Wir behalten die 80 Prozent fest im Blick“, betont eine Sprecherin. Berater Reinhold findet die Zielmarke nicht ambitioniert genug und hält dem Vorstand vor, eigenen Ansprüchen nicht zu genügen: dem Konzern eine „Performance-Kultur auf allen Ebenen“ zu verpassen. Reinhold: „Die Bahn braucht einen Quantensprung.“
Die umstrittene Abschaffung von Nacht- und Autozügen zum Jahresende hält er für sinnvoll. „Die sind gnadenlos unwirtschaftlich.“ 2015 fuhren Nachtzüge ein Minus von 31 Millionen Euro ein. Ein Gegenkonzept, das sich rechnen soll, wollen Verkehrsexperten am Dienstag in Berlin präsentieren. Das Bündnis „Bahn für alle“ hat ein europaweites Nachtzug-System entworfen – der Titel: „LunaLiner“.