Weiterbildung rund ums Tier: Auf den Hund gekommen
Physio- und Verhaltenstherapie, Akupunktur und Ostheopathie: All das gibt es auch für Tiere. Immer mehr Menschen leben davon, Vierbeiner zu behandeln.
Ausgerechnet Blutegel. Wenn man an berufliche Selbstverwirklichung denkt, kommen einem viele Begriffe in den Sinn – der Gedanke an Blutegel gehört eher nicht dazu. Für Stefanie Kampf schon: „Die Blutegel haben kleine Sägezähnchen. An den Enden sehen sie dadurch ein bisschen aus wie Blumen mit drei Blättern. Damit sägen sie sich durch die Haut. Wenn sie zubeißen fühlt sich das an, als würde man eine Brennnessel berühren“, erzählt die 40-Jährige voller Begeisterung. Sie hat gerade gelernt, wie man Patienten mit Blutegeln behandelt, bei Arthrose, Schwellungen, Blutergüssen und Schmerzen. „Blutegel haben einen ganz tollen Speichel, der ist durchblutungsfördernd, entzündungshemmend, Schmerzlindernd und abschwellend. Speziell gezüchtet sind sie ein zugelassenes Arzneimittel“, erklärt Stefanie Kampf. Schon die Art der Therapie klingt außergewöhnlich – noch außergewöhnlicher ist, dass ihre zukünftigen Patienten nicht zwei, sondern vier Beine haben werden: Kampf macht eine Ausbildung zur Tierheilpraktikerin, Tierosteopathin und Tierphysiotherapeutin an der ATM - Akademie für Tiernaturheilkunde. Die Therapie mit den Blutegeln ist nur ein kleiner Teil der Ausbildung.
Aber wie kommt man mit Ende dreißig dazu, sich für so einen ungewöhnlichen Beruf zu entscheiden? Die gelernte Reiseverkehrskauffrau arbeitete lange als Marketingassistentin, dann als Assistenz der Geschäftsführung in einer Werbeagentur. „Ich habe viel zu viel gearbeitet. Irgendwann war ich ziemlich unglücklich in meinem Job und wurde auch noch krank. Nach dem zweiten Bandscheibenvorfall stand ich kurz vor einer Querschnittlähmung.“ Knapp ein halbes Jahr lang versuchte sie, den Mut zu finden, ihren Job in der Agentur zu kündigen, wagte es aber nicht: „Mit Ende dreißig hat man ja totale Existenzängste bei so einem Schritt.“ Sie hatte noch keine Idee, was sie stattdessen machen könnte. Eine Freundin fand die tierische Ausbildung im Internet, schickte ihr den Link zu der Schule: „Ich wusste sofort: Das ist es. Ich kriegte Gänsehaut bis in die Zehennägel.“ Die Nachricht der Freundin hatte sie bei einem Spaziergang mit ihrem Pitbull Scully bekommen. Noch unterwegs meldete sie sich an. Kurz darauf kündigte sie ihren Job. Seit eineinhalb Jahren ist sie jetzt dabei – und wesentlich glücklicher mit ihrem Leben. Zwei bis drei Jahre dauert ihre Ausbildung, je nachdem, wie man die Kurse auswählt.
„Die meisten, die bei uns eine Ausbildung beginnen, sind reifere Persönlichkeiten und haben sich den Schritt gut überlegt. Für die Mehrzahl unserer Auszubildenden ist es die Zweit oder Drittausbildung – sogar über 60-Jährige sind dabei“, sagt Michael Haas, Studiendirektor am Institut für Tierheilkunde (IFT), das ebenfalls Aus- und Weiterbildungen zu den Themen Tierphysiotherapie, Tierheilpraktiker, Tierosteopathie, Tierverhaltenstherapie, Tierakupunktur und Tierhomöopathie anbietet. Er selbst hat Jura studiert, kam dann aber vor mehr als 15 Jahren zur Akupunktur im Veterinärbereich – durch Praktika. Ausbildungen in diese Richtung gab es damals noch nicht. Seit 15 Jahren bietet das IFT aber schon Ausbildungen für Menschen an, die mit Tieren arbeiten wollen. Es begann mit Verhaltenstherapie für Hunde. Inzwischen beschäftigt das Institut 40 Dozenten, darunter auch Tierärzte.
Einzige formale Voraussetzung für die Ausbildungen ist entweder ein mittlerer Schulabschluss oder ein Hauptschulabschluss plus Berufsausbildung. Tatsächlich hätten die Teilnehmer aber fast alle langjährige Erfahrung mit Tieren, etwa als Hundehalter, sagt Haas. Wenn man Verhaltens- oder Physiotherapeut für Pferde werden wolle, sei viel Erfahrung mit Pferden Voraussetzung.
Viele kämen aus Leidenschaft zu dem zweiten Beruf. „Dabei geht es oft um Selbstverwirklichung und darum eine bessere Work-Life-Balance zu erreichen“, sagt Haas. Einige geben wie Stefanie Kampf ihren alten Beruf ganz auf, andere, „fahren ihren Hauptberuf zurück“ und der tierische Beruf wird ein zweites Standbein: „Wir haben etwa Lehrer, die ihren sicheren Beamtenstatus nicht ganz aufgeben wollen, eine erfolgreiche Juristin, die aber auch mit Pferden arbeiten möchte, aber auch Bürokauffrauen, für die sich die Arbeit mit den Tieren als Nebenerwerb lohnt, weil sie mit ein paar Behandlungen im Monat so viel verdienen wie als Angestellte im Hauptberuf.“
Das Gute an der Sache: Die Selbstverwirklichung mit Tieren ist kein brotloses Hobby, sondern ein „Markt, der stark im Kommen ist“ , sagt Haas. Die Pferdeverhaltenstherapie etwa sei ein „ganz neuer Zweig“, der aber immer stärker nachgefragt werde. „Die Hundeverhaltenstherapie ist nicht so neu. Vor zehn bis 15 Jahren konnte man sich aber auch noch nicht vorstellen, dass dieses Berufsbild so einen Bedarf hat und dass man damit Geld verdienen kann“, sagt Haas. Früher hätten sich vor allem solche Menschen Hunde und Pferde zugelegt, die sich mit ihnen auskannten. Heute kauften sich viele ein Tier, ohne viel über die Haltung zu wissen. Sie brauchen dann oft Verhaltenstherapeuten, die ihnen helfen, etwa wenn ein Pferd beißt, steigt und tritt. „Das Tier wird für viele Menschen immer mehr zum Kindersatz – im positiven Sinne. Es ist Familienmitglied und braucht die beste Fürsorge, die man bekommen kann. Da wird auch mal auf den Urlaub verzichtet für eine Behandlung des Tieres beim Physiotherapeuten“, sagt Michael Haas. Schon vor einigen Jahren zeigte eine Studie, dass an die Hundehaltung der Deutschen mehr als 100 000 Arbeitsplätze geknüpft sind – von der Verkäuferin in der Hundeboutique bis zum Tierarzt. Ein Umsatz von fünf Milliarden Euro wurde mit Produkten und Dienstleistungen rund um den Hund damals gemacht. Heute dürfte es noch viel mehr sein – es kommen immer neue Berufsbilder hinzu, etwa die Tierphysiotherapie, die stark im Kommen ist. Tierkliniken und größere Tierarztpraxen beschäftigten heute Physiotherapeuten, sagt Haas: „Noch vor fünf Jahren haben Tierärzte gesagt, Physiotherapie für Tiere ist quatsch.“ Heute sei sie etabliert. Als Tierphysiotherapeut, sei es heute leicht, auch als Angestellter unterzukommen. Man muss sich also nicht mehr unbedingt selbstständig machen.
Immer mehr Humanphysiotherapeuten würden inzwischen aufs Tier umsatteln. Bis zu einem Viertel der Teilnehmer in den Kursen am IFT seien Physiotherapeuten, die sich umorientieren wollten, sagt Haas. Der Beruf könne lukrativer mit Tieren sein, denn Ärzte verschrieben immer weniger Physiotherapie oder Massagen für Menschen. Auch der Fachbereichsleiter Physiotherapie am IFT habe vorher eine Praxis für Menschen geleitet.
Stefanie Kampf ist zuversichtlich, dass sie mit ihrem neuen Beruf bald Geld verdienen kann. Sie lernt auch, Katzen und Pferde zu behandeln. „Ich bin zwar schon immer geritten, mein Herz ist aber eher bei den Hunden.“ Sie will eine Praxis eröffnen und sich dort auf Hunde spezialisieren – in einem Haus, das sie von ihrem Großvater geerbt hat. Es soll eine Gemeinschaftspraxis mit anderen Spezialisten werden. Eine Mitstudentin etwa will eine Nagersprechstunde anbieten.
Zurzeit übt Stefanie Kampf aber noch hauptsächlich mit den Hunden ihrer Mitschüler und mit ihrer Pitbullhündin Scully: „Sie ist schon 14 und hat Arthrosen und starke Verspannungen am Rücken und im Kreuz. Wenn ich bei ihr Blutegel einsetze, merkt man, dass sie eine kleine Memme ist: Sie piept und versucht wegzulaufen. Aber wenn der Egel erstmal an der richtigen Stelle ist, legt sie sich hin und schläft.“
Frauchen hat dann Zeit zum Lernen: „Es ist wirklich viel Stoff. Wir müssen etwa auf molekularer Ebene erklären können, was welche Medikamente im Körper des Tieres machen.“ Sie ist deshalb froh, dass sie sich voll und ganz auf die Ausbildung konzentrieren kann: „Viele machen das neben dem Beruf. Ich wüsste gar nicht, wie ich das schaffen sollte. Das ist so viel, dann bräuchte ich wesentlich länger, vielleicht vier Jahre.“
AUS- UND FORTBILDUNGEN RUND UMS TIER:
Das Institut für Tierheilkunde (IFT) in Viernheim in Hessen bietet bietet Ausbildungen zum Tierphysiotherapeut, Tierheilpraktiker, Tierosteopath, Tierverhaltenstherapeut, Tierakupunkteur und Tierhomöopath
an – sowie Fortbildungen in diesen Bereichen. Interessenten können an einem unverbindlichen und kostenlosen Probe-Seminartag teilnehmen, Anmeldung unter Tel.: 06204-913364, weitere Informationen unter www.ift-info.de
Insgesamt 22 Ausbildungsgänge bietet die ATM Akademie für Tiernaturheilkunde an, etwa zum Tierphytotherapeuten und zum Hundegesundheitstrainer an – als Fernstudium mit Präsenzunterricht. Praktika finden im Schulungszentrum der ATM in Bad Bramstedt in Schleswig-Holstein statt, Seminare in 14 deutschen Städten meistens an Universitäten an Wochenenden. Infos unter Tel. 04192-899772, www.atm.de.
Das Bildungswerk für therapeutische Beruf (BTB) bietet einen Lehrgang zum Thema Tierhaltung/Tierpsychologie an
Ausbildungsdauer: 12 Monate, der Lehrgang kann berufsbegleitend absolviert werden.
Informationen: www.btb.info/tierhaltung_tierpsychologie oder unter Te. 0800-282 282 Zielgruppe. Zur Zielgruppe gehören auch, „Tierarzthelferinnen, die in der Tierarztpraxis eine Tierhaltungsberatung als Service anbieten wollen“.
EXISTENZGRÜNDUNG
Unterstützung und Beratung zum Thema „Der Hund als Beruf“ bietet Dagmar Ruth Vogel als eine Art Coach. Infos: www.hundebusiness.de. dma
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