Celonis-Chef Bastian Nominacher: Auf dem Weg zum neuen SAP?
Nach einer neuen Finanzierung ist die Münchner Software-Firma elf Milliarden Dollar Wert – und damit eines der größten Start-ups Europas. Ein Porträt.
Im oberbayerischen Forstern endete 2017 eine 125-jährige Tradition. Die Bäckerei in dem kleinen Ort im Speckgürtel von München wechselte den Besitzer, nach fünf Generationen gab es in der Familie Nominacher keinen Nachfolger. Sohn Bastian beschäftigte sich lieber mit Computern und daran war der Bäckermeister selbst schuld. „Mein Vater hat mich eigentlich dazu gebracht, weil der auch viel selbst gebastelt und programmiert hat“, sagt Nominacher.
Inzwischen ist der 36-jährige Co-CEO in einer der vielversprechendsten deutschen Softwarefirmen. Investoren haben gerade eine Milliarde US-Dollar in das Unternehmen gesteckt – eine der höchsten Summen hierzulande. Die wenigsten dürften von Celonis gehört haben, denn genutzt wird die Software nicht von Privatkunden, sondern von Unternehmen. Coca Cola, Bosch, AstraZeneca, Telekom, Dell, L’Orèal, Lufthansa, Vodafone, Siemens – die Liste ist lang. 1300 Mitarbeiter arbeiten für Celonis, Nominacher nennt sie in seinem bayerischen Akzent wie bei US-Techfirmen üblich, Celonauten.
Vor zehn Jahren wurde die Firma in Nominachers Wohnung gegründet. Das Startkapital kam aus dem staatlichen Förderprogramm Exist. Danach wollten Investoren lange nichts von der Idee wissen. Fünf Jahre finanzierte sich Celonis selbst, denn im Unterschied zu vielen anderen Start-ups erzielten die Münchner schon früh Einnahmen.
Manche Geldgeber werden ihre Zurückhaltung nun bedauern, denn jetzt steht Celonis nach dem schwedischen Zahlungsdienst Klarna an zweiter Stelle der wertvollsten Start-ups Europas. Elf Milliarden Dollar beträgt der Firmenwert. Während Gründer davon träumen, ein „Unicorn“ zu erschaffen, ein Einhorn, wie Firmen genannt werden, die mit einer Milliarde bewertet werden, ist Celonis nun gar das erste deutsche Decacorn. So heißen Start-ups mit einer Bewertung von mehr als zehn Milliarden im Fachjargon.
Schon in der zehnten Klasse mit IT-Nebenjob
Nominacher wollte so früh wie möglich mit Computern arbeiten. Er fing schon nach der zehnten Klasse bei einem IT-Systemhaus an. Nach zwei Jahren beschloss er, das Abitur nachzumachen und studierte Wirtschaftsinformatik und Finanzmathematik an der TU München. Dort lernte er seine Mitgründer Alexander Rinke und Martin Klenk kennen. Gemeinsam arbeiteten sie bei einer studentischen Unternehmensberatung an der Uni. Ein erstes Projekt war beim Bayerischen Rundfunk, der seine IT-Service-Prozesse verbessern wollte. Die Studenten sind mit den klassischen Unternehmensberatermethoden daran gegangen, um herauszufinden, wo es bei den Arbeitsabläufen hakt. „Aber wenn man zehn Leute interviewt, bekommt man zwölf Meinungen“, sagt Nominacher. „Das muss irgendwie besser gehen, dachten wir uns.“
Sie kamen schnell darauf, dass alle relevanten Abläufe in den IT-Systemen gespeichert werden. Die Frage war, wie man diese Daten einfach analysieren kann. Aus dem Studium kannten sie dazu erste Veröffentlichungen zum so genannten Process Mining von der TU Eindhoven. Es gab aber noch keine richtige Software dafür. „Wir haben dann einfach die wissenschaftlichen Artikel genommen, uns wochenlang hingesetzt und eine Implementierung der beschriebenen Algorithmen gemacht“, erinnert sich Nominacher.
Das Ergebnis waren Grafiken, die Prozessabläufe in Pfaden zeigten. Als Röntgenbilder für Geschäftsprozesse beschreiben die Gründer ihre Technologie. Auf den Bildern stellten sie fest, dass es sehr häufig „Ping-Pong-Tickets“ gab. Der streikende Drucker wird beispielsweise als Netzwerkproblem eingestuft, obwohl nur ein Softwareupdate fehlt. Um das einzuspielen, fehlen dem Netzwerkadmin aber die Rechte. So werden Zuständigkeiten hin- und her gespielt. „Wir konnten dann die Durchlaufzeit von fünf Tagen auf einen reduzieren“, sagt Nominacher.
„Im Bereich Kundenservice haben wir sehr viele Nutzer“, sagt Nominacher. So hat der Fahrdienstvermittler Uber dort mehr als 10 000 Mitarbeiter, die monatlich Millionen Beschwerden bearbeiten. Oft beantragen sie beispielsweise die Rückerstattung einer Kostenpauschale im Falle einer Fahrtstornierung. Eine Analyse mit Celonis ergab, dass die Uber-Mitarbeiter so viel Zeit mit der Bearbeitung dieser Anfragen verbrachten, dass es kosteneffizienter wäre, Kunden den Betrag von fünf Dollar einfach generell gutzuschreiben.
Vergleich zu SAP
„Die Probleme wie Ping-Pong-Prozesse sind oft ähnlich und auch nicht neu“, sagt Nominacher, „mit Celonis gibt es nun aber die Möglichkeit, sie schnell zu erkennen und abzustellen.“ Denn Celonis hilft nicht nur bei der Analyse von Prozessen, sondern gibt auch Handlungsempfehlungen. Dieser Bereich soll weiter gestärkt werden. Seit einem halben Jahr bietet das Unternehmen daher ein so genanntes Execution Management System an, dass bei einer datenbasierten Unternehmenssteuerung helfen soll.
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Immer mal wieder werden Vergleiche zwischen Celonis und SAP gezogen. Nach dem weltweiten Siegeszug der Walldorfer könnte Celonis wieder eine ähnliche Erfolgsgeschichte im Bereich Unternehmenssoftware gelingen. Die Beziehung der beiden ist komplex. Denn viele der Daten, die Celonis analysiert, stammen aus SAP-Systemen. Um besser daran andocken zu können, hat Celonis einigen Aufwand getrieben. So ist einer der Gründer 2013 extra zum Neujahrsempfang des Golfclubs am Berliner Wannsee gefahren. Stundenlang wartete er dort vor dem VIP-Bereich, bis endlich SAP-Gründer Hasso Plattner herauskam. Er schaffte es, ihn von Celonis zu überzeugen und gelangte in ein Förderprogramm des Konzerns. Schrittweise wurde die Partnerschaft ausgebaut, bis SAP die Software direkt mit an seine Kunden verkaufte.
Auch über eine Übernahme wurde spekuliert. Doch stattdessen hat SAP Anfang des Jahres den Berliner Celonis-Konkurrenten Signavio gekauft. Eine Milliarde Euro kostete die Übernahme. Mithilfe von Signavio will SAP nun selbst entsprechende Produkte anbieten. Damit werden die beiden Firmen von Partnern immer mehr zu Konkurrenten.
Um seine Position weiter zu halten, wäre ein Börsengang von Celonis ein nächster möglicher Schritt. „Das kann langfristig eine sinnvolle Option für uns sein“, sagt Nominacher. Und würde zu seiner Vision passen, ein langfristig erfolgreiches Technologie-Unternehmen aufzubauen. Dafür hat Celonis nun Carlos Kirjner als Finanzchef angeheuert. Auch den kennt vermutlich kaum jemand, dafür seinen bisherigen Arbeitgeber: Google. Dort leitete Kirjner die Finanzen der Kerngeschäftsbereiche.