Krankenkassenstudie: Ärzte verschreiben oft Arznei ohne Zusatznutzen
Jedes zweite neue Medikament bringt den Patienten keinen Zusatznutzen. Die Ärzte verschreiben sie trotzdem.
Nur jedes zweite der seit 2011 auf den Markt gebrachten Arzneimittel weist einen zusätzlichen Nutzen für die Patienten auf. Doch viele Mediziner scheren sich nicht darum. Sie verordnen auch Medikamente ohne Mehrwert in großen Mengen. Das ist das Ergebnis einer Studie der Krankenkasse DAK-Gesundheit, die am Dienstag veröffentlicht wurde.
Die Vorschrift, dass neue Arznei vor den Verhandlungen über den Erstattungspreis der Krankenkassen auf ihren Nutzen überprüft werden muss, habe sich zwar grundsätzlich bewährt, resümierten die Autoren. Doch das Arzneimittelneuordnungsgesetz (Amnog) offenbare nach vier Jahren auch einige „Schwachstellen“ , die beseitigt werden müssten. Dazu gehöre etwa, dass Informationen über neue Medikamente „offenbar auf dem Weg zu den Ärzten verloren gehen“ , sagte der Bielefelder Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner.
Umsatz trotz Nutzlosigkeit verzehnfacht
Als Beispiel dafür nannte der Wissenschaftler, der auch im Sachverständigenrat zur Begutachtung des Gesundheitswesens sitzt, die Verschreibungszahlen für Fampyra, ein Mittel zur Verbesserung der Gehfähigkeit bei Multipler Sklerose. Dass die Prüfer dem neuen Präparat keinen Zusatznutzen zusprachen, beeindruckte die Ärzte wenig. In den zwei Jahren nach der Negativbewertung verzehnfachte sich dessen Umsatz.
Als nicht nachvollziehbar bezeichnete es der Experte zudem, dass ältere Arzneimittel nach wie vor überhaupt nicht auf ihren Nutzen geprüft werden. Dadurch blieben „zweifelhafte Medikamente“ weiter auf dem Markt.
Auch der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Bundesärztekammer, Wolf-Dieter Ludwig, kritisiert dies. Er schätzt den Anteil der bereits vor 2011 zugelassenen Medikamente ohne Zusatznutzen auf 50 bis 80 Prozent. Dass die große Koalition auf die ursprünglich vorgesehene Nutzenbewertung älterer Mittel verzichtet habe, sei „außerordentlich bedauerlich“. Und auch die neueren Präparate müssten im Abstand von zwei, drei Jahren erneut auf ihren Nutzen hin bewertet werden.
"Wir bekommen mehr Wissen und nutzen es nicht"
Von dem Befund, dass die Erkenntnisse der Bewertung von vielen Ärzten ignoriert werden, zeigte sich Ludwig enttäuscht. „Wir bekommen mehr Wissen und nutzen es nicht“, sagte er. Zurückzuführen sei dies auch auf die vehemente Vertriebspolitik der Hersteller. Unabhängige Arzneiinformationen erreiche „nur einen ganz kleinen Teil der Ärzte“. Die Kammern müssten sich stärker um eine fundierte Fort- und Weiterbildung der Mediziner kümmern, forderte der Experte. Es könne „nicht angehen, dass wir Fortbildungspunkte für gesponserte Veranstaltungen vergeben, von denen wir wissen, dass sie eigentlich nur Marketing sind“.
Zuvor hatte bereits SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach verlangt, den Besuch offensichtlicher Werbeveranstaltungen für die Fortbildungspflicht der Mediziner nicht länger zu berücksichtigen. Das Antikorruptionsgesetz, das die Koalition auf den Weg gebracht hat, greife hier nicht, sagte er dem Tagesspiegel. Nach Angaben der Antikorruptions-Organisation Transparency International sind mehr als 80 Prozent aller Fortbildungsofferten von der Arzneibranche gesponsert.
58 neue Wirkstoffe bewertet
Für ihre Analyse haben die Forscher 58 Wirkstoffe aus 64 Bewertungsverfahren bis Ende 2013 berücksichtigt. Dass man sich auf 44 Erstattungsbeträge einigen konnte, zeige, dass sich das Gesetz „in weiten Teilen eingespielt“ habe, sagte DAK-Chef Herbert Rebscher. Und auch wenn ein Teil der Präparate durch das kostendämpfende Gesetz vom Markt verschwunden sei, führe das bisher nicht zu Engpässen in der Versorgung. Deren Wirkstoffe ließen sich problemlos durch andere Mittel ersetzen. Der Studie zufolge führte das Verfahren in jedem fünften Fall dazu, dass das neue Mittel vom Markt genommen wurde.
„Die Befürchtungen, dass das Amnog eine Innovationsbremse ist, haben sich nicht bewahrheitet“, resümierte Rebscher. Dies bestätigte der Verband Forschender Arzneihersteller. Die Innovationsbilanz sei „so gut wie lange nicht mehr“, sagte Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer. Jedoch sei eine Refinanzierung der Investitionen nicht mehr möglich, wenn die Preise für neue Arznei hierzulande unter den europäischen Durchschnitt sänken. Die Lobbyistin reagierte damit auf Forderungen der gesetzlichen Versicherer, dass die vereinbarten Preise künftig auch rückwirkend gelten sollten. Bisher können die Hersteller für neue Arznei im ersten Jahr nach wie vor jeden Preis verlangen, erst danach greifen die Ergebnisse der Nutzenbewertung.
Linkspartei: Es geht nur ums Sparen
sondern Die Linkspartei bezeichnete die Nutzenbewertung als richtig, kritisierte jedoch die Umsetzung. Es gehe den Kassen nicht um die bestmögliche Versorgung der Versicherten, sondern „vor allem darum, Kosten zu sparen“, sagte Fraktionsvize Sabine Zimmermann. „Was billig ist und wenig taugt, darf trotzdem in der Versorgung bleiben.“ Zudem werde durch die Preisverhandlungen hinter verschlossenen Türen das Vertrauen untergraben, dass der Zusatznutzen tatsächlich ausschlaggebend für den Preis sei.