Energiewende: Arme helfen Armen
Das Umweltministerium finanziert den Stromspar-Check noch bis 2019, um Haushalte mit geringen Einkommen zu entlasten. Langzeitarbeitslose beraten Hartz-IV-Empfänger auf Augenhöhe - und mit Erfolg.
Dieter Düwel muss in Neukölln immer etwas mehr Zeit einplanen. Der Stromsparhelfer, der im Auftrag von Caritas und dem Bundesverband der Energieagenturen (eaD) arme Haushalte beim Energiesparen berät, braucht etwa eine halbe Stunde, um die Lage zu überblicken. Dann hat er die Stromrechnung gesehen, sieht wo Elektrogeräte auf Stand-by stehen, hat eine Ahnung bekommen, wie viel Strom der Kühlschrank und womöglich der Durchlauferhitzer verbraucht. „Dann wird noch ein türkischer Mokka getrunken und sehr süßes Gebäck gegessen. Und das dauert dann noch mal eine halbe Stunde“, erzählte er Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) am Montag bei der Caritas in Berlin-Mitte. „Ist immer noch gesünder als der Schnaps, den die Postboten früher immer trinken mussten“, sagte Hendricks. Düwel lachte, meinte aber, dass er dann auch heikle Themen ansprechen könne, wie etwa den Rat geben, „den Fernseher nicht von morgens um sechs bis nachts um zehn Uhr laufen zu lassen – als Babysitter“. Hendricks meinte dazu: „Das wäre sowieso besser, wenn es nicht so wäre.“
Düwel ist einer von bundesweit 4600 ehemaligen Langzeitarbeitslosen, die seit 2008 zu Energiesparhelfern weiter gebildet worden sind. Aktuell sind 1200 Berater in 190 Städten und Gemeinden unterwegs. Beim zweiten Besuch bringt er eine Kiste mit, die den Kunden beim Stromsparen helfen soll. Darin gibt es einen Mehrfachstecker mit einem Ausschaltknopf gegen Stand-by-Verluste, es gibt LED-Leuchten, die gegen alte Glühbirnen ausgetauscht werden können, und es gibt Hilfen, um den Wasserdurchfluss im Badezimmer zu mindern. Wenn das Duschwasser mit Strom gewärmt wird, macht sich das schnell bemerkbar.
150 Euro im Jahr sparen die Haushalte im Schnitt
Professor Georg Cremer, Generalsekretär der Caritas, wies darauf hin, dass das Programm inzwischen 211 777 Haushalte erreicht habe. Im Schnitt sparen die Haushalte nach der Beratung rund 150 Euro im Jahr an Stromkosten. Knapp 400 000 Tonnen Kohlendioxid haben diese Haushalte dem Klima damit bereits erspart. Außerdem sei es vielen Stromsparhelfern gelungen, über diese Tätigkeit wieder einen Job im ersten Arbeitsmarkt zu finden. Denn über ihre Hausbesuche könnten sie wieder Selbstvertrauen und Kompetenz entwickeln. Tatsächlich arbeiteten viele Stromsparhelfer als „niedrigschwellige Sozialarbeiter“, die einmal in einem Haushalt auch auf andere Hilfsmöglichkeiten hinweisen könnten, etwa auf die Schuldenberatung der Caritas. Martina Geisler, die in Wilmersdorf als Stromsparhelferin unterwegs ist, sagt: „Viele ältere Leute freuen sich über Besuch – und haben dann auch ein bisschen mehr zu erzählen. Da muss man ein Ohr dafür haben.“ Sie sehe aber, dass sie ihre Ratschläge auch gerne annähmen. Beim zweiten Besuch sehe sie oft schon ein Ergebnis, berichtete sie. Wer mehr Einblick in die Arbeit der Energieberater gewinnen möchte, den lässt der Regisseur Carl A. Fechner in seinem aktuellen Kinofilm „Power to Change“ daran teilnehmen. Er hat mit der Kamera den Berliner Sparsparhelfer Lutz Machalewski begleitet. „Unsere Stromsparhelfer fühlten sich bei den Dreharbeiten wie Hollywood-Stars“, sagte eine Caritas-Mitarbeiterin.
Das Umweltministerium fördert den Stromspar-Check bis 2019
Am Montag übergab Hendricks einen weiteren Förderbescheid. Das Programm soll bis 2019 weiter aus Mitteln des Umweltministeriums gefördert werden. Langfristig sollten Kommunen oder Stadtwerke die Beratung übernehmen. Cremer sagte: „Das ist keine Aufgabe, die ein Wohlfahrtsverband unbedingt erfüllen müsste.“ Ziel sei eine deutliche regionale Ausweitung. Zudem würden bisher lediglich zehn Prozent der Haushalte erreicht, denen mit dieser Art der Energieberatung geholfen werden könnte. Michael Geisler, Vorsitzender des eaD betonte, dass die Energiewende nur gelingen könne, „wenn die Mehrheit der Bevölkerung selbst davon profitiert“. Die armen Haushalte beim Energiesparen zu unterstützen sei aber auch sozialpolitisch geboten. Schließlich sei der Strompreis für die Haushalte um rund 50 Prozent gestiegen. Hendricks ergänzte, dass die Kommunen über Einsparungen bei den Unterbringungskosten ja auch ihre Haushalte entlasten könnten, „auch wenn das nicht das wichtigste an diesem Projekt ist“. 52 Millionen Euro hätten der Bund und die Kommunen durch Einsparungen bei den Nebenkosten nach der Beratung bereits eingespart, sagte sie.
Zusätzlich zur Beratung können die Stromsparhelfer ihren Kunden einen Gutschein über 150 Euro als Zuschuss zu einem neuen energiesparenden Kühlschrank anbieten. 20 000 Gutscheine hat das Umweltministerium finanziert, doch bisher sind nur knapp 5000 abgerufen worden. Der Grund: Selbst mit diesem Zuschuss sind neue Kühlschränke für die meisten Hartz-IV-Empfänger zu teuer. „Inzwischen sinken die Preise etwas, seither werden mehr Gutscheine abgerufen“, sagt Nicola Buskotte von der Caritas. Als der Zuschuss eingeführt wurde, lag der Regelsatz für Hartz IV bei rund 300 Euro. Mit einer höheren Fördersumme wäre er vom Regelsatz abgezogen worden. Allerdings haben die Stadtwerke Münster eine Zusatzförderung dafür aufgelegt. Bis zu 200 Euro kann eine Vier-Personen-Familie dort beantragen, wenn sie einen Stromliefervertrag mit den Stadtwerken Münster abschließt. Das findet die grüne Energieexpertin Julia Verlinden vorbildlich. Sie forderte eine Erhöhung des Bundeszuschusses auf 200 Euro, schließlich sei auch der Regelsatz inzwischen gestiegen. Im Umweltministerium heißt es dazu jedoch, über eine Erhöhung werde nicht nachgedacht. Der Kühlschranktausch sei auch nur ein „ganz kleiner Teil“ des Stromspar-Checks.
Dagmar Dehmer