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Berlin ist die "Tattoo-Hauptstadt der Welt“, sagt Szene-Kenner Daniel Krause. Über 900 Tattoo-Studios gibt es an der Spree, rund 7000 Tätowierer arbeiten in Berlin.
© dpa

Gesundheitsstandards in Tätowierstudios: An Schweinehäuten geübt

Berlin ist die Hauptstadt der Tätowierer. Jeder kann ein Studio aufmachen. Das merkt man. Viele Tattoos misslingen, einige sind krebserregend.

Bis zu sieben Nadeln stechen gleichzeitig zu, 1000 bis 1300 Mal in der Minute treffen sie auf die Haut und reißen sie auf. Blut fließt. Es tut weh. Das klingt nach Folter, doch das Leid ist selbst gewählt. Neun Millionen Bundesbürger haben sich bereits tätowieren lassen, zahlen dafür, dass ihr Körper verletzt, umgestaltet wird. Weil sie sich danach schöner finden, individueller, weil es immer mehr tun. Erst die Angst, dann der Schmerz, dann die Endorphine. Für viele ist es eine Sucht. Das Geschäft brummt. 2,8 bis drei Millionen Tattoos kommen jedes Jahr neu hinzu. Der Körperschmuck hat das Knast-, Rotlicht- und Gaunermilieu längst hinter sich gelassen. Schüler, Studenten, Angestellte – in den Tattoo-Studios trifft man sie inzwischen alle, vor allem die Jungen. Und vor allem in Berlin. Über 900 Tattoo-Studios gibt es an der Spree, rund 7000 Tätowierer arbeiten hier. „Berlin ist die Tattoo-Hauptstadt der Welt“, sagt Daniel Krause.

Laien als Tätowierer: ein bisschen an Orangen und Schweinehäuten geübt

Krause muss es wissen. Er ist Berlins bekanntester Tätowierer. Vier Läden hat er hier. Doch man kennt ihn über die Grenzen der Stadt hinaus. In der RTL-Serie „Berlin Tag & Nacht“ hat er mitgespielt, auch heute taucht Krause noch regelmäßig im Fernsehen auf. Er hat Bücher geschrieben („Goodbye Arschgeweih“), wird bei Tattoo-Messen gern in die Jury geholt. Keine Frage, Krause, Jahrgang 69, ist erfahren, weiß, was läuft. Und das, was er sieht, gefällt ihm nicht. Laien, die ein wenig an Orangen oder Schweinehäuten geübt haben und sich dann am lebenden Menschen versuchen. Die sich eine Tattoo-Maschine bei Ebay kaufen und dann in Friedrichshain oder Neukölln einen Laden aufmachen. Mit Erfolg: „Da kommen sofort Leute“, weiß Krause. Viele dürften das später bereuen. Denn um einen Tattoo-Laden zu betreiben, braucht man nur einen Gewerbeschein, sonst nichts. Weder müssen Tätowierer nachweisen, dass sie Ahnung haben von dem, was sie tun, noch müssen sie in Sachen Hygiene Bescheid wissen. Sie brauchen auch keinen Bluttest vorzulegen, obwohl sich HIV oder Hepatitis C übers Blut verbreiten und so auf den Kunden überspringen können. Auch ein Erste-Hilfe-Kurs ist nicht nötig, obwohl immer mal wieder Tätowierwillige im Studio zusammenklappen, weil der Stress zu viel für sie ist. Das Bundeswirtschaftsministerium, das für das Gewerberecht zuständig ist, will daran nichts ändern. Die Gewerbeordnung sei nicht der richtige Weg, um die Allgemeinheit vor unzuverlässigen Gewerbetreibenden zu schützen, erklärt das Ministerium auf Anfrage.

Krause: „Wenn Blut spritzt, braucht man Regeln“

Krause will das nicht akzeptieren. Deshalb hat er mit Kollegen einen Verband gegründet, den Bundesverband Tattoo. Der setzt sich für mehr Verbraucherschutz ein. „Wenn Blut spritzt, braucht man Regeln“, sagt der Berliner. Und strenge Kontrollen. Mindestens einmal im Jahr sollte das Amt bei jedem Studio vorbeischauen. Doch die Realität sieht anders aus. Tätowierstudios werden in der Regel alle zwei Jahre kontrolliert, lässt Neuköllns Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey wissen. So oft wie Friseurläden. „Jeder Bockwurstverkäufer wird schärfer kontrolliert“, ärgert sich Krause. Doch bei der Politik findet er bislang wenig Gehör. „Die Politiker haben keine Termine für uns“.

Doch das könnte sich nun doch zumindest bei einigen ändern. „Tätowierstudios sollten verbindliche und einheitliche Hygienevorschriften einhalten“, fordert etwa Renate Künast. Besonderen Handlungsbedarf sieht die Ex-Verbraucherministerin bei den Tätowierfarben. „Hier gibt es bislang keine ausreichenden Hinweise, wie die einzelnen Stoffe, die durch die Tätowierung in die Haut gebracht werden, wirken“, sagte Künast dem Tagesspiegel am Sonntag. Die Grünen-Politikerin, die den Verbraucherausschuss des Bundestags leitet, plädiert für eine Positivliste, wie sie auch das Bundesinstitut für Risikobewertung vorschlägt. „Es muss klar geregelt werden, welche Farbmittel benutzt werden dürfen!“

In manchen Tattoo-Farben sind krebserregende Stoffe und Schwermetalle enthalten

Doch davon ist man weit entfernt. In Deutschland regelt seit 2008 eine Verordnung aber zumindest, was nicht in den Farben stecken darf. Damit ist die Bundesrepublik weiter als viele andere EU-Länder – und die EU-Kommission. Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU), der nicht nur für Essen und Trinken, sondern auch für den gesundheitlichen Verbraucherschutz zuständig ist, hat nun Angst, dass schädliche Farben über Importe aus Drittländern nach Deutschland kommen und in deutschen Tätowierstudios landen. Im Februar hat der Politiker deshalb EU-Verbraucherkommissarin Vera Jourova einen Brief geschrieben und EU-weite Sicherheitsregeln angemahnt. In Europa steht Schmidt damit nicht allein. Bei einem Treffen von Vertretern der Mitgliedsstaaten in der vergangenen Woche haben sich alle Länder für strengere Regeln ausgesprochen, nur Zypern nicht, Lettland hat sich enthalten.

Dennoch zögert die Kommission. „Die Kommission hat noch keine Position bezogen“, sagte ein Vertreter der EU-Kommission dem Tagesspiegel am Sonntag. Man wolle zunächst die Beratungen einer Expertengruppe abwarten, die sich mit dem Thema beschäftigt. Die will bis März nächsten Jahres liefern, bis dahin, das ist klar, tut sich nichts. Dabei gibt es schon jetzt Handlungsbedarf. Zwar habe man in den vergangenen Jahren Verbesserungen festgestellt, sagt Neuköllns Bürgermeisterin Giffey, aber von einzelnen Verwendern würden noch immer Farben aus Drittländern bezogen, die aufgrund mangelnder Kennzeichnung und nicht zugelassener Inhaltsstoffe beanstandet werden müssen. Krebserregende Stoffe stecken darin, etwa polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, und Schwermetalle wie Nickel, die Allergien hervorrufen können.

Zwei Drittel der Tätowierten klagen über gesundheitliche Probleme

67 Prozent der frisch Tätowierten haben nach einer Internet-Befragung der Uni Regensburg aus dem Jahr 2010 Probleme mit Entzündungen, Schwindel, Fieber oder Übelkeit. Bei sechs Prozent verschwinden Juckreiz oder Schwindel auch nach längerer Zeit nicht. Martin Miehe kennt solche Probleme rund um Tattoos gut. Entzündungen, Infektionen, Allergien sieht der Hautarzt in seiner Praxis in Berlin-Tegel immer wieder. Doch nicht nur das: Vor allem die großflächigen Tattoos, flügelschwingende Drachen oder mächtige Löwen, machen dem Dermatologen das Leben schwer. Sie bedecken so große Hautpartien, dass eine vernünftige Hautkrebsvorsorge gar nicht mehr möglich ist. Die Patienten treiben dagegen oft viel profanere Probleme um: Wenn auf dem Unterarm per Tattoo „Maria“ die ewige Liebe geschworen wird, der junge Mann jetzt aber mit Anna zusammen ist. Oder die Tätowierung so schlecht gemacht ist, dass sie nun weg soll. Was tun, um nicht bei Pfuschern zu landen oder krank zu werden? „Achten Sie darauf, dass der Tätowierer neue Nadeln nimmt und Handschuhe“, warnt Dermatologe Miehe. Tätowierer Krause wird skeptisch, wenn im Laden Hunde herumliegen, Kippen brennen und es muffig riecht. Solche Studios sollte man meiden, rät er. Doch vor allem bei jungen Leuten, die knapp bei Kasse sind, stößt er auf taube Ohren. „Wer keine 200 Euro für einen geilen Totenkopf hat, holt sich eben einen für 50 Euro“, weiß Krause. Wer auf dem Schulhof als cooler Checker gelten und die Girls rumkriegen will, hat lieber ein schlechtes Tattoo als gar keins.

In zehn, zwanzig Jahren ist der Trend vorbei

Am Trend zum Tätowieren, glaubt Krause, wird sich in den nächsten Jahren nichts ändern. Die Wende kommt später. „Wenn die jungen Mädchen in zehn oder 20 Jahren ihre Mütter mit den Tattoos vor dem Spiegel sehen, ist der Trend vorbei.“

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