Wegen zu vieler Rücksendungen: Amazon und andere Versandhändler sperren Kundenkonten
Jeder zweite Artikel retour: Mehrere Versandhändler, darunter Amazon, sperren die Konten von Kunden, die zu viel umtauschen. In keinem europäischen Land wird soviel zurückgeschickt wie in Deutschland.
Die Jeans doch zu eng, der Schal zu grell, das Buch zu anspruchsvoll: Rücksendungen sind im Versandhandel längst an der Tagesordnung. Gerade in Deutschland, meinen Konsumexperten, sei die Umtauschmentalität wegen der langjährigen Erfahrung im Kataloggeschäft sehr ausgeprägt. „Die Rückgabeoption ist fester Teil des Geschäftsmodells vieler Händler“, sagt Niklas Reinecke vom Handelsinformationsdienst Planet Retail. „Wir wollen, dass Kunden Waren anprobieren können wie im stationären Handel auch“, erklärt Boris Radke vom Modeportal Zalando. Der Händler Amazon wurde jetzt von Verbraucherschützern abgemahnt, weil er Kunden den Zugang sperrte, die „zu häufig“ Bestelltes zurücksandten.
„Rein rechtlich darf sich ein Händler aussuchen, mit wem er Geschäfte macht“, sagt Georg Tryba, Versandhandelsexperte von der Verbraucherzentrale NRW. „Aber Amazon hat den Kunden ohne jede Vorwarnung die Beziehung gekündigt. Auch in den Vertragsbedingungen findet sich kein Hinweis auf Sanktionen.“ Die Betroffenen erhielten schlicht eine Mail: „Wir müssen Sie darauf hinweisen, dass wir aufgrund der Überschreitungen der haushaltsüblichen Anzahl von Retouren in Ihrem Kundenkonto leider keine weiteren Bestellungen entgegennehmen können“. Zudem deaktivierte das Unternehmen die Accounts bei anderen Seiten, so dass Besteller auch die Videoplattform Lovefilm.de nicht mehr nutzen konnten, die zum selben Konzern gehört. Wie viele Kunden so aussortiert wurden, ist nicht bekannt. Es sollen zahlreiche gewesen sein.
Nicht nur Amazon sperrte Accounts
Schätzungen zufolge geht im Durchschnitt jeder sechste Artikel, der in Deutschland bestellt wird, an den Absender zurück. In einigen Branchen ist die Quote besonders hoch: Beim Kleidungs- Outlet „Dress for less“ beträgt sie nach eigenen Angaben 40 Prozent. Zalando spricht von 50 Prozent. „Die Warengruppe Bekleidung, Textilien und Schuhe verzeichnet die meisten Rückgaben“, heißt es beim Bundesverband des Versandhandels. Häufig werden mehrere Größen zur Auswahl bestellt.
Mit seiner Maßnahme steht Amazon offenbar nicht allein. Bei einer Umfrage gaben auch die Firmen Tchibo, Schwab und Sheego an, Kunden schon die rote Karte gezeigt zu haben – allerdings mit Ansage. Amazon habe den Vorgang bewusst als breitgestreute Abschreckung gestaltet, meint Verbraucherschützer Tryba. „Da wird Druck ausgeübt, der vielleicht andere Kunden davon abhält, von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch zu machen.“
Ikea, Saturn und Mediamarkt schließen Kontosperrungen dieser Art aus. Das Schuhhaus Görtz behält sich vor, auffallend umtauschfreudigen Kunden die Möglichkeit der Zahlung nach Rechnung zu verwehren. Tatsächlich mache die Zahlungsart einen Unterschied, heißt es beim Branchenverband. Wer in Vorleistung treten muss und zur Zahlung via Bankeinzug oder Bezahldiensten wie Paypal aufgefordert wird, bestellt weniger leichtfertig und gibt das Teil seltener zurück.
Um Rücksendungen vorzubeugen, bemühen sich Anbieter inzwischen, ihre Internetseiten zu optimieren. „Hochaufgelöste Bilder, die sich gut vergrößern lassen, helfen, ein besseres Gefühl für die Beschaffenheit des Materials zu vermitteln“, sagt Reinecke von Planet Retail. Im Online-Store von H&M können Kunden Fotos von sich selbst hochladen und das digitale Ich einkleiden. „Es macht keinen Sinn, Kleidungsstücke im Internet schöner darzustellen, als sie sind“, sagt Radke von Zalando. Auch wer Kundenrezensionen zulasse, helfe, ein möglichst umfassendes Bild zu geben. „Wenn man da einen Prozentpunkt rausholt, ist der schon Geld wert“, sagt Radke.
Kriminelle Energie bei den Kunden nimmt zu
All dies schützt aber nicht vor gezieltem Missbrauch. Kunden bestellten gehäuft Klamotten in großem Umfang und schickten sie nach einer Weile getragen zurück, klagen Händler. Manchmal kämen auch leere Kartons zurück, Kunden behaupteten dann, der Artikel sei unterwegs gestohlen worden. „Das Gegenteil zu beweisen, ist oft schwer“, sagt Verbraucherschützer Tryba. Nicht einmal ein Prozent, heißt es bei Zalando, machten die Missbrauchsfälle aus. Geprüft werden muss aber trotzdem jedes einzelne Teil. 15 Euro kostet eine Rückgabe den Händler im Schnitt. Bei der Firma, die für Otto die Retouren abwickelt, sind das 50 Millionen Rücksendungen im Jahr.
Kein Wunder, dass da mancher zu erstaunlichen Mitteln greift: Der Kleidungsanbieter Bon Prix verspricht jedem, der einen bestellten Artikel nicht zurückschickt, eine Gutschrift von drei Euro.
Nicht vergessen werden sollte bei all dem allerdings, dass der Online-Handel auch Dank großzügig eingeräumter Rückgaberechte floriert. 2013 verzeichnete der Handelsverband HDE im Internet ein zweistelliges Umsatzwachstum, Tendenz weiter steigend. 2014 könnte nun ein Gesetz gekippt werden, das Rücksendungen für Waren unter 40 Euro grundsätzlich kostenlos macht. Faktisch aber bieten die meisten Händler schon jetzt einen kostenlosen Retourenservice, der weit über die gesetzlichen Verpflichtungen hinausgeht. So weitete Amazon die Rückgabefrist vor Weihnachten von 30 auf 60 Tage aus (14 sind Pflicht), Zalando nimmt noch nach 100 Tagen Ware zurück. Das ermuntert wohl zum Ausprobieren.