Abfertigung am Flughafen BER: Am Boden geblieben
Die Abfertigung von Flugzeugen und Passagieren ist ein knochenharter Job. In Berlin sowieso. Am Wochenende gibt es einen weiteren Belastungstest.
Flughäfen sind besondere Orte. Laut und trubelig, manchmal hektisch und meistens voller Menschen. Die Arbeitsbedingungen in den grell beleuchteten Hallen und auf dem Vorfeld sind speziell. „Wir lassen hier viel Gesundheit liegen“, sagt Razan Kocer, Betriebsrat bei der Wisag, die am BER Passagiere abfertigt. Bandscheiben und Knie sind stark belastet, wenn das Gepäck geschleppt und verstaut wird. Der Lärm auf dem Vorfeld ist extrem, gearbeitet wird Tag und Nacht bei Wind und Wetter. Und es sind nicht zuletzt die Bodendienstleister, die den Ärger der Passagiere abbekommen, wenn es drunter und drüber geht am Flughafen. Wie am vergangenen Wochenende.
„Der Berliner fährt in den Herbstferien eine Woche weg“, berichtet Kocer aus seiner Erfahrung am Flughafen. Das bedeutet: In den kommenden Tagen kommen viele zurück und andere starten. „Es wird mindestens genauso voll wie vergangene Woche“, glaubt Kocer. Dafür sei die Infrastruktur mit den engen Abfertigungsinseln nicht ausgelegt.
Wisag verliert Easyjet an Swissport
Kocers Firma hat bis September mit knapp 1000 Beschäftigten die meisten Passagiere am BER abgefertigt. Dann jagte der Branchenprimus Swissport der Wisag den größten Kunden ab: Seit Oktober kümmert sich Swissport um Easyjet. Auch das ist ein Grund für das Chaos in der vergangenen Woche: Swissport hat zwar Personal von der Wisag übernommen, war aber trotzdem nicht gut vorbereitet.
„Trotz unseres hohen Qualitätsanspruchs ist es in den ersten Tagen unserer neuen Abfertigungstätigkeit leider zu Flugverspätungen gekommen“, sagt Swissport-Sprecher Stefan Hartung auf Anfrage. Bei Easyjet heißt es, man sei von Swissport darüber informiert worden, dass man „Schwierigkeiten gehabt habe, den vereinbarten Personalbestand am Flughafen BER aufrechtzuerhalten“.
[Wenn Sie die wichtigsten Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Zustätzliches Personal eingeflogen
An diesem Wochenende soll das anders sein. „Wir haben umgehend reagiert und aus mehreren Ländern zusätzliches Personal nach Berlin geschickt, um vor Ort zu helfen“, sagt Hartung. Ferner seien die Schichtpläne angepasst und alles in allem die „Kapazitäten im Hinblick auf das kommende Wochenende nochmals verstärkt worden“.
[Lesen Sie zudem zum Thema BER: 70.000 Passagiere erwartet – So bereiten sich Flughafen und Airlines auf den Rekord-Ansturm vor (T+)]
Man erwarte eine „weitgehend verzögerungsfreien Abfertigung“. Das hatte der Weltmarktführer allerdings auch schon zu Beginn der Easyjetabfertigung und damit unmittelbar vor den Herbstferien erwartet und zuversichtlich „die Passagiere unserer Kundenairlines zum Start der Herbstferien am Flughafen in Berlin“ begrüßt. Dann schlug die BER-Wirklichkeit erbarmungslos zu, und ein bisschen Schadenfreude kann sich Wisag-Betriebsrat Kocer nicht verkneifen. Zu wenig Personal für zu viele Flüge – das sei absehbar gewesen.
400 Euro mehr Lohn
Die Wisag, ein Gebäude- und Industriedienstleister mit knapp 50 000 Beschäftigten, hadert einmal mehr mit dem schwierigen Geschäft als Bodendienstleister für die Fluggesellschaften. Zumal in der Pandemie kaum Geld zu verdienen ist mit Check-in und Koffertransport, Flugzeugreinigung- und Abfertigung. Und die Zeiten, wo die Malocher im Flughafenkeller für kleines Geld Koffer schleppten und die Unternehmen fette Gewinn einfuhren, sind auch vorbei. Ohne eine halbwegs anständige Bezahlung macht kaum noch jemand den Knochenjob. Die beachtlich gestiegenen Löhne drücken auf die Profitabilität, denn in einem Dienstleistungskonzern wie der Wisag macht das Personal rund drei Viertel der Gesamtkosten aus.
Vor fünf Jahren bekam ein Abfertiger auf dem Vorfeld einen Stundenlohn von 8,30 Euro, erzählt der Berliner Verdi-Sekretär Enrico Rümker. Anfang 2022 werden es 14,25 Euro, das Monatsbruttogehalt liegt dann mit knapp 2350 Euro rund 400 Euro über dem Niveau von Anfang 2020. An dieser Stelle gab es kürzlich ein paar Ruckeleien mit Swissport, dem größten Flughafendienstleister der Welt, der vor 25 Jahren durch eine Ausgründung der Swissair entstand und nach diversen Eigentümerwechseln heute einem halben Dutzend Finanzinvestoren gehört. In der Züricher Zentrale stellte man die im Tarifvertrag stehende Erhöhung zum 1. Januar kommenden Jahres in Frage – es geht um 175 Euro zusätzlich im Monat. Doch sowohl die Wisag als auch die Aeroground als dritter Dienstleister am BER standen zu ihren Verpflichtungen aus dem Tarifvertrag – und Swissport schloss sich dann an. Ohne deutliche höhere Löhne, das versteht man auch in der Schweiz, kann man die Beschäftigten am Flughafen nicht halten.
Gegenbauer steigt aus
In der Regel sind auf den deutschen Flughäfen zwei Dienstleister mit der Abfertigung von Passagieren und Flugzeugen beschäftigt, in Berlin sind es drei, weil sich der Flughafen davon eine höhere Qualität verspricht. Derzeit läuft das Ausschreibungsverfahren der Bodenverkehrsdienste durch die Flughafengesellschaft. Und obgleich die Arbeitsbedingungen am BER schwierig sind, bewirbt sich angeblich ein halbes Dutzend Unternehmen um die Lizenz zur Abfertigung für die kommenden sieben Jahre. Die Wisag ist auch dabei.
Swissport ist Weltmarktführer
Gegen den Rat von Wisag-Gründer Claus Wisser hatte dessen Sohn Michael 2008 die Globe Ground übernommen, die als Tochter der Flughafengesellschaft und der Lufthansa die Bodendienste in Berlin erledigte. Auch die Berliner Gegenbauer-Gruppe war interessiert – winkte aber ab wegen der Preisvorstellungen der Lufthansa. Globe Ground landete also bei der Wisag respektive Michael Wisser. Und der zahlte unter anderem deshalb Lehrgeld, weil die Billigflieger die Abfertigungsgebühren drückten. Und weil in Berlin die Verhältnisse noch verrückter sind als anderswo. Die Aeroground, eine Tochter des Flughafens München, nahm der Wisag den Großkunden Air Berlin ab. Die Wisag wiederum drückte mit Billigpreisen die Acciona aus dem Markt. Swissport verbündete sich mit Gegenbauer, um gemeinsam auf dem neuen BER<TH>gegen die Konkurrenz anzutreten. Doch als 2015 die chinesische HNA bei Swissport einstieg, war das Werner Gegenbauer nicht geheuer; er stieg aus.
Der Branchenriese kann es auch allein und hat inzwischen Aeoroground und Wisag zehn Fluggesellschaften am BER abgenommen. Mit Abstand der dickste Fisch ist Easyjet. Gleichzeitig mit dem BER<TH>hat Easyjet auch die Verträge mit Swissport für die Flughäfen Genf und Basel verlängert. Anders als in Berlin funktioniert dort die Abfertigung.