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Gespannt entspannt: Claudia Pechstein.
© dpa

Claudia Pechstein: Zwischen Freund und Feind

Seit ihrer Sperre teilt Claudia Pechstein die Welt in Unterstützer und Gegner ein. Um Gerechtigkeit kämpft sie verbissener als um ihre zehnte Olympiamedaille. Die könnte sie am Sonntag gewinnen.

Claudia Pechstein war bestens gelaunt. Zehn Runden hatte sie am Freitag auf dem Eisoval der Adler-Arena hinter sich gebracht, gemeinsam mit Martina Sablikova. Auf dem Weg zur Umkleidekabine herzte Pechstein ihre Eisschnelllaufkollegin aus Tschechien mit einem angedeuteten Schlittschuhtritt Richtung Po. Es war einer dieser Momente, in denen die Sportlerin aus Berlin sehr sympathisch wirkte. Es war einer dieser Momente, in denen alles passte bei der erfolgreichsten deutschen Winterolympionikin. Guter Trainingslauf, gute Stimmung, gute Freundin. Denn das ist Sablikova für Pechstein, auch wenn die Tschechin am Sonntag als Favoritin vor der Berlinerin ins olympische 3000-Meter-Rennen geht (12.30 Uhr, live im ZDF).

Guten Freundinnen gönnt Claudia Pechstein viel. Sie hat einige Freundinnen unter den Eisschnellläuferinnen, mit Bente Kraus und Monique Angermüller, die auch in Sotschi starten, trainiert sie in Berlin. Aber sie hat auch Feinde und denen gönnt sie nichts. Die Berlinerin war in ihrer über zwei Jahrzehnte langen Karriere immer wieder in öffentlichkeitswirksame Konflikte verstrickt. Anni Friesinger oder Gunda Niemann-Stirnemann waren prominente Gegnerinnern von Pechstein. Beim Wort „Zickenkrieg“ weiß jeder, wer gemeint ist. „Obwohl Zickenkrieg kein schönes Wort ist“, wie sie selbst sagt.

Inzwischen gehen ihr die Gegnerinnen aus, die Erfurterin Stephanie Beckert war eine Gewichtsklasse zu leicht. Es gab mehrere Streitpunkte, unter anderem ging es um Anspielungen von Beckerts Vater, der Pechstein mit dem Wort Doping in Verbindung gebracht hatte. Pechstein erstattete Strafanzeige. Im Team laufen die beiden seit dieser Saison nicht mehr zusammen. Müssten sie in Sotschi auch nicht, das deutsche Verfolgungsteam hat sich nicht qualifiziert.

In ihrem Buch „Von Gold und Blut“ hat Pechstein über Stephanie Beckert geschrieben: „Meine Faust will unbedingt in ihr Gesicht.“ Von diesem drei Jahre alten Satz rückt sie auch heute nicht ab, sie schwächt ihn nur ab. „Meine Faust will manchmal auch in andere Gesichter. Jeder kann doch mit irgendwelchen Leuten nicht.“ Aber an sich sei sie ja ein freundlicher Mensch, auch wenn sie Stephanie Beckert sieht: „Ich versuche dann, Frau Beckert zu grüßen, aber sie grüßt selten zurück.“

Wegen schwankender Blutwerte sperrte sie die ISU für zwei Jahre

Es gibt für Pechstein inzwischen aber eine wichtigere Auseinandersetzung als den Wettkampf mit ihren Konkurentinnen. Sie findet manchmal am Telefonhörer statt, manchmal in einer Sporthalle, aber manchmal auch im Gerichtssaal. Auf der einen Seite stehen Funktionäre und Verbände, auf der anderen sie mit ihrem Lebensgefährten Matthias Große und ihrem Manager Ralf Grengel. Es ist ihr Kampf um persönliche Gerechtigkeit.

Große und Grengel unterstützen sie bei ihren öffentlichen Auftritten. Große ist vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) offiziell als nominierter Betreuer von Pechstein in Sotschi am Start. Eine sportliche Qualifikation dafür besitzt er im Grunde nicht, und die Akkreditierungen für das deutsche Team waren knapp. Aber der Verband wollte sich offenbar nicht noch einmal mit ihr anlegen, und DOSB-Generalsekretär Michael Vesper sagte, Große habe schließlich Betreuungsaufgaben für das Eisschnelllaufteam übernommen. „Es geht nicht darum, dass wir ihn als Freund akkreditieren.“

Große selbst wirkt nicht wie ein Mann, der bei wichtigen Entscheidungen von Zweifeln geplagt ist. Vor allem nicht, wenn er die Rolle als Pechstein-Unterstützer einnimmt. Und die nimmt ihn ein. Werden ihm Funktionäre oder andere Menschen aus dem Sports zum ersten Mal vorgestellt, fragt er schon mal zur Begrüßung: „Freund oder Feind?“

Die Feinde des Pechstein-Clans sind abseits der Eisfläche nicht immer so klar auszumachen, zumal es sich auch um Organisationen handeln kann: In Hamar begann vor fünf Jahren Pechsteins persönlicher Horrortrip. Wegen schwankender Blutwerte war die Allround-WM in Norwegen für sie vorzeitig vorbei, die Internationale Eislauf-Union ISU sperrte sie für zwei Jahre und brachte sie damit auch um einen Start bei den Winterspielen von Vancouver 2010. Seit jenem Vorfall kämpft sie gegen die ISU. Vor allem aber kämpft sie um ihren Ruf. Denn unabhängige Hämatologen haben ihr nahezu zweifelsfrei bescheinigt, dass eine von ihrem Vater geerbte Blutanomalie ihre Werte zum Schwanken bringen und kein Dopingmittel. Sogar der Anti-Doping-Hardliner Werner Franke verkündete unlängst: „Pechstein hätte nie gesperrt werden dürfen.“

Über 3000 und 5000 Meter zählt Pechstein zum Favoritenkreis

Pechstein verlangt vom Weltverband eine Entschädigung für ihre verlorenen Jahre. Aber alles Geld kann ihr nicht das wiedergeben, was ihr genommen wurde. „Vancouver wurde mir gestohlen“, sagt sie. „Ich arbeitete daran, dass ich mir das wiederhole.“ Und das werde ganz sicher über Sotschi hinausgehen.

Pechstein kann darauf pochen, im Recht zu sein. Dazu mit 500 negativen Dopingkontrollen im Rücken. Aber die Unschuldsvermutung hilft auch einem Unschuldigen oft nicht, wenn er einmal – auch zu Unrecht – in die Nähe einer Unregelmäßigkeit gekommen ist. Gerecht ist das sicher nicht. Aber wer seine Welt in Gute und Böse teilt und den Bösen erst verzeiht, wenn sie Buße tun, muss mit negativen Reaktionen rechnen. Von der ARD etwa fühlt sich Pechstein ungerecht behandelt und spricht daher mit dem Sender nicht mehr. Die müssten sich erst entschuldigen, sagt sie. Diplomatie wäre womöglich ein probateres Mittel. Aber mit Diplomatie will sie nicht kämpfen.

Am Sonntag hat sie ihren ersten großen Auftritt in Sotschi. Über 3000 Meter zählt sie mit Martina Sablikova (Freundin) und der Niederländerin Ireen Wüst (Feindin) zum Favoritenkreis, eine Medaille ist möglich. Es wäre eine unglaubliche zehnte olympische Medaille für die Sportlerin bei ihrer sechsten Olympiateilnahme – mit 41 Jahren. Andere im fortgeschrittenen Alter erfolgreiche Sportler erfreuen sich beim Publikum schon wegen ihrer Leistung großer Popularität. Pechstein könnte prima eine Art Jimmy Connors des Eisschnelllaufs abgeben. In seiner frühen Karrierephase gab der Amerikaner den Unsympathen, in seiner späten wurde er zum Star des Tennis. Aber so eine Rolle kann Pechstein nicht spielen. Zwei große Medaillenchancen hat sie in Sotschi, über 5000 und 3000 Meter. Wäre sie in Vancouver dabei gewesen, wäre sie vielleicht gar nicht am Start in Sotschi. „Aber nun habe ich diesen Kampf zu führen.“

Pechsteins Kampf gegen ihre Feinde. Thomas Bach, heute Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, einst Präsident des DOSB, gehört auch zu dieser Gruppe, nach einem Streit mit Pechstein noch vor Vancouver. Was wäre nun, wenn Bach ihr am Freitag eine Medaille umhängen würde? „Wer mir die Medaille umhängt ist mir dann egal“, sagt sie. „Hauptsache, es hängt mir jemand eine Medaille um.“ Sie lacht, sie wirkt ganz sympathisch. Das ist Claudia Pechstein ja auch. Unter Freunden.

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