Affäre um Vergabe der WM 2006: "Zwanziger lügt": Günter Netzer droht mit Klage
Günter Netzer will gegen die Anschuldigungen von Theo Zwanziger vorgehen. Der spricht von einem "Schmiergeldteppich" bei der Fifa. DFB-Präsident Niersbach lässt den Sportausschuss warten.
Die wilde Schlammschlacht um die Sommermärchen-Affäre entwickelt sich voraussichtlich zum Fall für die Gerichte. Günter Netzer geht juristisch gegen Theo Zwanziger vor und droht dem früheren DFB-Präsidenten mit Klage. Zwanziger hat nun bis Freitag (14.00 Uhr) Zeit, um Behauptungen zu unterlassen, wonach er von Netzer erfahren habe, dass das Bewerbungskomitee die Stimmen der vier asiatischen Vertreter in der Fifa-Exekutive bei der WM-Vergabe gekauft habe. Zwanziger zeigte sich unterdessen unbeeindruckt von der drohenden Klage und setzte zugleich seinen Nachfolger Wolfgang Niersbach mit weiteren Anschuldigungen unter Druck.
Wenn Zwanziger bei seiner Behauptung gegen Netzer bleibt, soll eine Unterlassungsklage folgen. „Entweder er verpflichtet sich, die Verleumdungen künftig zu unterlassen oder er muss sich vor Gericht verantworten. Die Wahl liegt bei ihm“, sagte Höcker. Zugleich führte Höcker an, dass Netzers Frau bei dem Treffen im Herbst 2012 mit am Tisch gesessen habe und den Inhalt der Unterredung auch bezeugen könne. „Sie kann bezeugen, dass Zwanziger lügt“, sagte der Jurist der „SZ“ und Netzer betonte: „Ich weiß, dass ich solche Verleumdungen leider noch aufwerte, wenn ich den Rechtsweg beschreite. Aber es gibt einen Punkt, an dem man so etwas nicht mehr einfach ignorieren kann. Und der ist jetzt gekommen.“
Niersbach wird vorerst nicht im Bundestag aussagen
Zwanziger blieb aber gelassen. „Es ist sein gutes Recht, seinen Standpunkt auf diesem Wege zu vertreten, wichtiger wäre es allerdings zur Aufklärung beizutragen“, sagte er. Sein Nachfolger Niersbach lässt den drängenden Bundestag unterdessen auf Antworten warten - und geriet durch Aussagen Zwanzigers weiter in die Defensive. „Es war 2002 kein Alleingang von Franz Beckenbauer, die Führungsspitze des OK war eingeweiht, also Wolfgang Niersbach, Horst R. Schmidt und Fedor Radmann“, sagte Zwanziger.
Als Kronzeugen verwendet der frühere Chef des Deutschen Fußball-Bundes den damaligen Organisationskomitee-Vorsitzenden Beckenbauer. Dieser hatte nach seiner Aussage vor den externen DFB-Ermittlern Fehler eingeräumt und das Verhalten anderer Beteiligter „teilweise als unsäglich“ bezeichnet. Niersbach, der vorerst der Einladung des Sportausschusses nicht folgt, behauptet bislang, vor 13 Jahren von einer Zahlung an die Fifa-Finanzkommission noch nichts gewusst zu haben.
Derweil schürte Zwanziger neue Spekulationen um einen Stimmenkauf vor der WM 2006. Er konkretisierte seinen Verdacht eines „Schmiergeldteppichs“ und verweist auf eine mögliche Bestechung des Fifa-Funktionärs Charles Dempsey. Dies lässt sich aus einer Notiz ableiten, die Zwanziger in einem 2012 veröffentlichten Dokument aus dem Verfahren gegen den ehemaligen Rechtevermarkter ISL gemacht hat. Dieses Schriftstück veröffentlichte die „Bild“-Zeitung (Dienstag) nach einem Treffen mit Zwanziger.
Überweisung von 250.000 Dollar mit "Dempsey!" vermerkt
In der Auflistung von Überweisungen, die sich in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Zug aus dem Jahr 2010 findet, steht neben einem Geldtransfer am 5. Juli 2000 über 250.000 US-Dollar die Bemerkung: „Dempsey!“ Dass der Neuseeländer bei der Vergabe einen Tag später in der letzten Runde keine Stimme abgegeben hatte, sicherte Deutschland im Duell mit Südafrika den WM-Zuschlag. Der Deutschen Presse-Agentur bestätigte Zwanziger, dass er die Notiz direkt nach Veröffentlichung vor drei Jahren gemacht hätte.
„Dieser Schmiergeldteppich hat mich 2012 irritiert und zweifeln lassen, ob die Variante Provisionszahlung richtig ist“, sagte der 70-Jährige auf Anfrage. „Ich sah es als meine Pflicht an, diese Ungereimtheiten dem DFB und früheren Mitgliedern des OK zu übermitteln und eine Prüfung anheimzustellen.“ Über einen Verdacht, dass es sich bei dem anonymisierten Zahlungsempfänger „E16“ um Dempsey handelt, hatten Medien bereits in der Vergangenheit berichtet.
Im Zentrum der Affäre und auch der Untersuchung der vom DFB beauftragten Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer steht eine Zahlung von 6,7 Millionen Euro. Diese soll laut Darstellung von DFB-Präsident Niersbach an die Finanzkommission der Fifa gegangen sein. Durch diese Zahlung soll das Organisationskomitee eine Unterstützung in Höhe von 170 Millionen Euro erhalten haben. Zwanziger sprach von einer „schwarzen Kasse“. Den im Raum stehenden Vorwurf eines Stimmenkaufs wies der DFB mehrfach zurück.
Wirtschaftsanwälte bitten um Geduld
Insgesamt mehr als zehn Rechtsanwälte der Kanzlei arbeiten derzeit in der DFB-Zentrale. Mit konkreten Ergebnissen ist nach Auskunft der externen Ermittler aber erst in einiger Zeit zu rechnen. „Wir haben Verständnis für den großen Informationsbedarf, aber bitten auch um Verständnis, dass wir mit Blick auf die Zahl der zu sichtenden Dokumente und zu befragenden Personen dafür einige Wochen benötigen werden“, erklärte Christian Duve von Freshfields Bruckhaus Deringer.
In der Affäre hatte auch der Sportausschuss des Bundestags Aufklärung verlangt und Niersbach zur nächsten Sitzung am 4. November eingeladen. Dazu wird es vorerst nicht kommen. „Der DFB hat mir heute schriftlich mitgeteilt, dass man die Einladung für kommende Woche nicht wahrnehmen könne, da man zunächst die Ergebnisse der externen Prüfung abwarten wolle“, sagte die Ausschussvorsitzende Dagmar Freitag (SPD) am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Eine grundsätzliche Gesprächsbereitschaft hat der DFB aber ebenfalls signalisiert.“
Bei den externen DFB-Ermittlungen hatte der damalige Organisationskomitee-Vorsitzende Beckenbauer am Montag als Erster ausgesagt. Dabei gestand er einen „Fehler“ ein, das OK hätte nicht auf einen Vorschlag der Fifa-Finanzkommission eingehen dürfen, um einen Finanzzuschuss zu bekommen. Auch Zwanziger wird in den kommenden Tagen eigenen Angaben zufolge aussagen. Sponsoren des DFB fordern nun ebenfalls lückenlose Aufklärung. „Über die derzeitigen Vorwürfe bezüglich der WM-Vergabe 2006 haben wir mit den DFB-Verantwortlichen gesprochen“, sagte Ulrike Strauß, Sprecherin des Versicherungskonzerns Allianz (München) der „Sport Bild“ (Mittwochausgabe). „Wir gehen davon aus, dass der DFB die Vorwürfe lückenlos aufklären wird.“ Auch beim Chemie-Konzern Henkel (Düsseldorf) werden die Vorwürfe genau beobachtet. „Wir verfolgen die aktuelle Berichterstattung rund um die Vergabe der WM 2006 sehr aufmerksam“, sagte Henkel-Sprecher Lars Witteck dem Sportmagazin.