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Alte Zeiten: Heribert Bruchhagen (m., heute Vorstand von Eintracht Frankfurt) trifft 1975 für DJK Gütersloh gegen den Spandauer SV. SSV-Keeper Ulrich Bechem ist machtlos.
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Aus für den Spandauer SV: Zumindest die Bratwurst war besser als bei Hertha

Schlechtester Zweitligist aller Zeiten, skurille Personalien - und nun das Aus: Der Spandauer SV hat Zweitliga-Geschichte geschrieben und musste sich nun nach 120 Jahren zurückziehen. Ein Rückblick.

Das Aufregendste am Spandauer SV war die Bratwurst. Damals, Mitte der Siebziger Jahre, als im allgemeinen Berliner Empfinden McDonald noch als schottischer Kuhhirte durchging und es der SSV irgendwie in die Zweite Fußball-Bundesliga geschafft hatte. Die Spandauer waren 1975 eher zufällig Berliner Meister geworden und in der Aufstiegsrunde genügten dann zwei Siege über den VfB Oldenburg und ein Remis gegen Westfalia Herne. Das war ein schöner Erfolg, aber sportlich und wirtschaftlich doch mindestens zwei Nummern zu groß für die Feierabendfußballer, die tagsüber alle im Arbeitsleben standen.

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Für die Zweite Liga mussten sie ihren engen Platz auf dem Gelände der Schultheißbrauerei an der Neuendorfer Straße räumen und ein paar hundert Meter weiter ins Stadion am Askanierring ziehen. Damit war der Heimvorteil dahin. Schon das erste Spiel gegen die auch nur mit übersichtlichem Talent gesegnete Union aus Solingen ging 2:7 verloren, und der SSV behauptete bis zum letzten Spieltag den letzten Platz. Mit 8:68 Punkte bei zwei Siegen und 115 Gegentoren aus der Saison 1975/76 ist der SSV bis heute der schlechtes Zweitligist aller Zeiten, sozusagen das Pendant zu Tasmania 1900 eine Liga höher. Und doch war für uns fußballbegeisterte Schulkinder ein Besuch am Askanierring eine schöne Alternative. Für wenig Eintrittsgeld spielten dort Mannschaften wie Borussia Dortmund oder Arminia Bielefeld in geradezu intimer Atmosphäre, denn mehr als 2000 Zuschauer kamen eigentlich nie. Und die Bratwurst war entschieden besser als bei Hertha im Olympiastadion.

Immerhin zwei Siege - gegen namhafte Gegner

Nach einem 0:3 vor 30 000 Zuschauern im Dortmunder Westfalenstadion, es war die 14. Niederlage im 14. Saisonspiel, wollte es der SSV noch einmal wissen und verpflichtete einen Nationalspieler. Sein Name war Helmut Kosmehl und sagte uns vor allem deshalb nichts, weil er sonst Handball spielte. Bei seinem Debüt gegen Wattenscheid 09 sprang Kosmehl eifrig über den Platz, und seine Mitspieler hüteten sich, ihm den Ball zu geben. Vielleicht waren die Wattenscheider beleidigt, dass sie sich mit einem Handballspieler abgeben mussten, jedenfalls gaben sie sich keine große Mühe und gönnten dem SSV beim 1:1 den ersten Punkt.

Es soll an dieser Stelle nicht unterschlagen werden, dass es auch zwei Siege zu feiern gab, gegen durchaus prominente Konkurrenz. Am 14. Februar 1976 gewann der SSV 1:0 über Bayer Leverkusen, woran sich dort heute keiner mehr erinnern mag. Und für der VfL Osnabrück ist das 0:1 in Spandau auch ein eher zu nachvernachlässigendes Ereignis in der Vereinschronik. Am Ende lief der SSV jedenfalls zwanzig Punkte hinter dem Vorletzten DJK Gütersloh ein und kehrte zurück in die Amateuroberliga Berlin.

Nach 1994 ging es bergab

Zerzaust, aber keineswegs bekehrt für die Zukunft. Als im kommenden Jahr der Berliner Meister BFC Preussen weitsichtig auf die Teilnahme an der Aufstiegsrunde verzichtete und die Amateure von Hertha BSC nicht durften, sprangen die Spandauer als Drittplatzierter gern ein, aber Bremerhaven 93 und der 1. FC Bocholt verhinderten Schlimmeres. Ein weiteres Mal kam der SSV nicht in die Verlegenheit. In der Folge konzentrierte der Klub sich auf seine großartige Jugendarbeit, er gehörte zu West-Berliner Zeiten zum Establishment der Oberliga und schaffte 1994 sogar die Qualifikation zur neu gegründeten Regionalliga.

Danach aber ging es bergab. Der alte Vereinsplatz an der Neuendorfer Straße musste dem Wohnungsbau weichen. Der SSV litt unter seinen Schulden, er pendelte zwischen unteren Ligen und spielte zuletzt siebtklassig in der Landesliga. Nach 13 Niederlagen in 13 Spielen war für Sonntag eigentlich das Spiel gegen die zweite Mannschaft von Viktoria 89 angesetzt, aber dazu kommt es nicht mehr. Am Freitag zog der Vorstand seine Mannschaft vom Spielbetrieb zurück. 120 Jahre nach seiner Gründung ist der Spandauer SV nur noch Geschichte, ohne Gegenwart und wahrscheinlich auch ohne Zukunft.

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