Hertha BSC: Niklas Stark im Interview: „Wir wollen Europa zeigen, dass es Hertha noch gibt“
Herthas Abwehrspieler Niklas Stark spricht zum Saisonart in der Bundesliga über horrende Transfersummen, Führungsqualitäten, seine Ambitionen für die Nationalmannschaft und die Ansprüche der Berliner in dieser Saison.
Herr Stark, wann haben Sie das letzte Mal bei Transfermarkt.de Ihren Marktwert überprüft?
Mein Vater schaut da ab und zu rein und sagt mir dann Bescheid. Das letzte Mal war vor der U-21-EM.
Wissen Sie noch, wie hoch Ihr Marktwert war?
Ich glaube, es waren zehn Millionen.
Inzwischen dürften es ein paar Millionen mehr sein.
Das sind ja nur Richtwerte, die da veröffentlicht werden. Bei den großen Transfers in diesem Sommer waren die angeblichen Marktwerte im Internet ja auch deutlich geringer als das, was letztlich gezahlt wurde. Aber es stimmt schon, dass man bei einem Turnier wie der U-21-EM im Fokus steht, gerade wenn sonst nicht so viel Fußball stattfindet. Wenn man das Turnier dann auch noch gewinnt, ist das sicher nicht abträglich. Aber am Ende ist es nur eine Zahl.
Zumindest Ihr Vater scheint sich dafür zu interessieren.
Weiß ich nicht, aber er findet es ganz cool, denke ich mal, und sagt mir immer Bescheid, wenn er was Neues über mich hört oder sieht. Aber was daraus entsteht, ist dann immer noch etwas anderes.
Was müsste denn der AS Rom bezahlen, wenn er Sie noch in diesem Sommer holen wollte?
Ganz ehrlich, ich habe das auch nur gelesen, genau wie Sie. Als ich auf Instagram nachgeschaut habe, sehe ich plötzlich mein Bild und denke: Hä? Und wenn es um Ablösesummen geht, wäre ich sowieso der falsche Ansprechpartner.
In diesem Sommer wird im Fußball so viel Geld bewegt wie noch nie. Wie nehmen Sie als Teil des Ganzen diese Entwicklung wahr, die für normale Menschen nur noch schwer zu greifen ist?
Aber das war ja vor Jahren auch schon so. Der Mechanismus ist der gleiche geblieben: Man bezahlt eine Ablösesumme, und der Spieler geht. Nur der Markt hat sich so entwickelt, dass jetzt mehr Geld verfügbar ist. Was da jetzt gezahlt wird, das ist schon astronomisch.
Was machen 222 Millionen Euro Ablöse für Neymar mit Ihnen? Saust das an Ihnen vorbei, oder kommen Sie ins Grübeln?
Ich find’s einfach krass. Schon bei Kylian Mbappé, wo anscheinend bei 180 Millionen schon alles klar gewesen sein soll, dachte ich mir: Wow. Diese Zahl war schon extrem. Aber solche Summen scheinen jetzt wohl möglich zu sein.
Glauben Sie, dass das so weitergeht?
Schwer zu sagen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch sehr weit nach oben geht. Vor zehn Jahren hätte aber auch niemand geglaubt, dass mal ein Spieler für mehr als 200 Millionen Euro wechselt. Ich hoffe nur, dass der Fußball nicht darunter leidet.
Sie haben mit der U 21 auf eine andere Art einen aufregenden Sommer erlebt. Hätten Sie trotzdem lieber mit der Nationalmannschaft beim Confed-Cup gespielt?
Im Nachhinein denke ich, dass alles gut gelaufen ist. Beim Confed-Cup hätte ich keine Garantie gehabt, dass ich spiele. Wer weiß also, ob ich mich da so hätte präsentieren können wie bei der U 21.
Wo Sie – auch ohne Kapitänsbinde – eine exponierte Rolle eingenommen haben. Sie waren uneingeschränkter Führungsspieler.
Ja, das ist mein Spiel. Das Spiel von hinten aus aufzuziehen, defensiv wie offensiv, viel zu reden, ein bisschen zu helfen, mal einen Schritt nach links, mal nach rechts. Vieles sieht man von hinten einfach besser, das verlangt auch viel Laufarbeit. Aber das möchte ich ja, der Mannschaft helfen, damit sie gut und kompakt steht.
U-21-Trainer Stefan Kuntz hat Sie als natürlichen Anführer bezeichnet. Wussten Sie das immer schon?
Ich bin da reingewachsen. Schon in der Jugend wollte ich diese Rolle haben, muss ich ehrlich sagen. Meine Trainer haben mich dazu ermutigt. Sie haben gesagt, dass ich das Heft in die Hand nehmen und Präsenz auf dem Platz zeigen soll. Und sie haben mir auch die Binde gegeben.
In der Regel wird man Führungsspieler, weil man ein guter Fußballer ist und mit seiner Leistung überzeugt hat. Bei Ihnen hat man den Eindruck, dass die Rolle Sie zu einem besseren Fußballer macht.
Das kann schon sein. Vielleicht kommen meine Stärken besser zum Vorschein. Ich versuche schon, durch Körpersprache etwas auszudrücken, ich merke es ja an mir, wenn da einer in einen Zweikampf reinrauscht mit Körpersprache, dass ich dann mehr motiviert bin. Deswegen versuche ich das für mein Team auch so rüberzubringen.
"Ich hatte im Sommer Zeit, die Knochen heilen zu lassen"
Aber das muss man auch aushalten. Ihr Mittelfuß zeigte gegen Ende der Vorsaison eine Überlastungsreaktion, bei der EM erlitten Sie einen doppelten Rippenbruch, mit dem Sie – lange unentdeckt – weiter gespielt haben. Wie geht es Ihnen?
Ganz gut. Ich hatte ja im Sommer ein bisschen Zeit, die Knochen heilen zu lassen.
Trotz eines verkürzten Urlaubs?
Ich hatte schon 14 Tage. Wir haben es ganz gut hinbekommen, weil ich danach individuell gearbeitet habe. Jetzt bin ich längst wieder im Mannschaftstraining und habe keine Probleme mehr.
Im vorigen Sommer waren Sie ein bisschen unglücklich, dass Sie auf Olympia verzichten mussten. Aber es hatte den Vorteil, dass Sie die komplette Vorbereitung mitmachen konnten. In diesem Sommer gab es wenig Urlaub und viel körperlichen Stress. Was ist Ihnen lieber?
Gute Frage, ein längerer Urlaub ist schon gut, um nach einer langen Saison mal richtig abzuschalten. Andererseits war es eine geile Zeit bei der EM, eintauschen würde ich die jetzt nicht. Aber jedes Jahr ein Turnier zu spielen, das wäre schon schwierig.
Dummerweise gäbe es nächstes Jahr schon wieder eins.
Ja, dazu würde ich jetzt nicht Nein sagen (lacht).
Sind Sie schon zu Pal Dardai gegangen und haben ihm gesagt, dass Sie lieber in der Innenverteidigung spielen wollen, weil da Ihre Chancen in der Nationalmannschaft größer sind?
Die letzte Saison hat ja gezeigt, dass man sich das nicht aussuchen kann. Wenn es mal irgendwo knapp wird, spielt man da, wo es der Mannschaft hilft. Außerdem ist es doch so, dass in der Nationalmannschaft beide Positionen richtig gut besetzt sind. Es ist eben Deutschland. Der Bundestrainer kann sich aus drei tollen Kadern bedienen, der A-Auswahl, dem Confed- Cup-Team und der erfolgreichen U 21. Es ist richtig Qualität vorhanden.
Das wird schwer für Joachim Löw!
Ich denke, sie werden jetzt etwas länger brauchen bei den Meetings, wenn der Kader zusammengestellt wird. Aber ich glaube, er freut sich eher drüber.
Hat sich über den Sommer auch Ihre Position bei Hertha verändert? Sind Sie in der Hierarchie weiter aufgerückt?
So etwas entwickelt sich mit der Zeit. Bei meinem Wechsel war ich gerade 20, ich kam aus der Zweiten Liga. Da musst du erst mal beweisen, dass du Bundesliga kannst. Das habe ich. Und ich habe oft gespielt. Je mehr Spiele, desto mehr steigt das Ansehen. Da ist es normal, dass man sich im Spiel beispielsweise mal mit Per und Vedad bespricht, was wir ändern, wie wir auf bestimmte Dinge reagieren. Ich denke nicht, dass ich mich in der kommenden Saison verstecken muss.
Würden Sie für sich in Anspruch nehmen, bei Hertha ein Führungsspieler zu sein?
Das ist ein Ziel, ja.
Sie sind es noch nicht?
Ich bin jetzt noch nicht der Führungsspieler, aber ich bin auf einem guten Weg, einer zu werden.
Zuletzt ist immer wieder hinterfragt worden, ob man Führungsspieler überhaupt noch braucht. Wie definieren Sie die Rolle eines Führungsspielers?
Das hat sich verändert. Horst Hrubesch hat mir mal erzählt, wie er in einem seiner ersten Spiele für den HSV als Stürmer über den ganzen Platz nach hinten spaziert ist, um seinen Libero abzuwatschen. Das kann sich heute keiner mehr erlauben, dann stehst du da wie der Depp.
Wie führt man heute?
Wenn es nicht läuft, gibt es vielleicht Spieler, die den Kopf und die Schultern hängen lassen, die nicht mehr denken können als: Ja, es passiert. In einer solchen Situation muss ein Führungsspieler hingehen, das Heft in die Hand nehmen und sagen: Wir machen es jetzt so, gemeinsam. Und dann funktioniert es auch, dann hat man wieder gemeinsam Spaß, jeder kommt in diesen Flow rein, und man kann wieder Fußball spielen.
"Die Lust überwiegt schon, Europa zu zeigen, dass es Hertha aus Berlin auch noch gibt"
Ist da auch ein bisschen Trotz dabei?
Mich nervt es, wenn man den Eindruck im Spiel hat, der Gegner kann mit uns machen, was er will. Das darf nicht sein, und dann will ich etwas dagegen machen.
Worauf greifen Sie zurück?
Auf alles, auf den Matchplan, den der Trainer uns vor dem Spiel mitgegeben hat. Du erinnerst dich daran, wie wir es eigentlich machen wollten. Wenn das Spiel hektisch ist, nimmst du den Ball und beruhigst die Sache wieder etwas. Sprichst deine Mitspieler an: Lasst uns wieder auf Ballbesitz spielen, so etwas eben.
Und das geht so einfach?
Ja, ich sage nur Steven Gerrard.
Steven Gerrard?
Ja. Wie er 2005 ganz allein die Champions League gegen den AC Mailand gewonnen hat. Er macht nach dem 0:3 zur Pause das erste Tor, nimmt die ganze Mannschaft mit, und die kommt wieder in einen Flow.
Das lag aber auch an Dietmar Hamann, der zur Halbzeit beim FC Liverpool eingewechselt wurde.
Für mich ist Gerrard der Held, sorry.
Wie alt waren Sie da?
Zehn oder so. Mein Bruder war für Mailand, ich ein bisschen mehr für Liverpool. Mailand hatte schon eine geile Mannschaft damals. Abnormal, wer da gespielt hat. Stam, Nesta und Maldini hinten, vorne Crespo, Kaka und Schewtschenko noch, das war der Wahnsinn. Nach der Pause, bei 0:3, war ich draußen, mit dem 1:3 bin ich wieder reingegangen.
Hertha spielt in diesem Jahr auch erstmals wieder international. Wie ist Ihr Gefühl: Überwiegt die Anspannung oder die Freude?
So ein bisschen beides. Die Lust überwiegt schon, Europa zu zeigen, dass es Hertha aus Berlin auch noch gibt. Da haben wir richtig Bock drauf, aber man muss auch mit Respekt an die ganze Sache herangehen. Nicht, dass wir nur in der Europa League richtig Gas geben und dann in der Bundesliga durchhängen. Unser Fokus muss der Bundesliga gelten.
Spüren Sie jetzt schon Veränderungen?
Ein bisschen merkt man das jetzt schon. Wir haben bessere Regenerationsmaßnahmen, wir haben Pläne von den Fitnesstrainern, wir bekommen nach den Spielen immer einen Beutel mit entsprechender Nahrung, die zur Regeneration beiträgt.
Inwiefern ist der Respekt vor den Herausforderungen in das Saisonziel eingeflossen, das jeder Spieler formulieren musste?
Natürlich muss man realistisch sein. Man muss aber auch Ziele benennen dürfen, die möglich sind. Ich kann nach Platz sechs in der letzten Saison ja jetzt nicht sagen: Wir wollen nicht absteigen. Das ist nun wirklich nicht das Ziel von Hertha.