DFB-Pokal-Sensation Magdeburg - FC Bayern: "Wir waren zu platt zum Nachdenken"
Der Ex-Magdeburger Dirk Hannemann spricht über den letzten großen Sieg eines kleinen Teams gegen den FC Bayern - und seinen Elfer gegen Oliver Kahn.
Herr Hannemann, Sie haben im Jahr 2000 mit dem damaligen Oberligisten 1. FC Magdeburg den FC Bayern aus dem DFB-Pokal geworfen. Das hat danach kein kleiner Verein mehr geschafft. Wie war es, als Sie im Elfmeterschießen auf Oliver Kahn trafen und das Spiel entscheiden konnten. Mehr Druck kann es doch kaum geben.
Druck würde ich es nicht nennen. Es war bemerkenswert, so einem Torhüter gegenüberzustehen. Aber im Grunde hatten wir, und damit auch ich, nicht viel zu verlieren. Ich habe einfach geschossen. Ohne nachzudenken, wer da im Tor steht.
Sie haben den Ball knallhart in den Winkel geschossen. Das kann auch in den Wolken enden. Warum sind Sie so viel Risiko eingegangen?
Ich war damals ein guter Schütze, konnte sowohl hart als auch platziert schießen. Viele machen den Fehler, und wollen es besonders hübsch machen und sich den Torhüter ausgucken. Ich wollte es einfach zappeln lassen, und das hab ich auch getan. Wie ich schießen würde – das wusste ich schon am Mittelkreis.
Auffällig war, dass Magdeburgs Torhüter Miroslaw Dreszer zwei Elfmeter hielt und die Magdeburger selbst alle sicher verwandelten. Haben Außenseiter im Elfmeterschießen generell einen Vorteil?
Der Dreszer war ohnehin ein guter Keeper, und die Bayern hatten ihn auch ausreichend warmgeschossen. Allgemein würde ich die Frage aber bejahen: Da das Elfmeterschießen ohnehin Kopfsache ist, kann es nur gut sein, mit den Gedanken nur beim Elfer und bei der eigenen Aufgabe zu sein. Und nicht daran zu denken, was es für eine Blamage werden könnte, wenn man nicht trifft.
Vor dem Elfmeterschießen lagen 120 aufreibende Minuten. Wie schafft man es, dem späteren Champions-League-Sieger auf Augenhöhe zu begegnen?
Ganz alleine schafft man das nicht, wenn man als Oberligist den deutschen Rekordmeister rauswerfen will. Es braucht Glück und viele weitere Faktoren. Damals war Giovane Elber gleich zu Spielbeginn einmal frei durchgekommen, doch er verzog seinen Abschluss total. Wenn er den reinmacht, ist der Abend eher vorbei, als er eigentlich angefangen hat. Zudem traf unsere sehr gute Tagesform auf eine nicht so gute der Bayern, das war auch so ein Faktor. Und dann hat es auch noch in Strömen geregnet. Feiner Fußball war auf diesem Rasen kaum möglich.
Wann kam eigentlich der Gedanke: Heute können wir die Bayern schlagen?
Als wir mit 1:0 in Führung gingen, nach einem grässlichen Stochertor, war die Hoffnung natürlich da. Dann haben die Bayern richtig Druck gemacht, ausgeglichen und noch mehr Druck gemacht. Da ist man mit dem Kopf nicht beim Ausgang des Spiels, sondern nur beim Verteidigen. Am Ende des Spiels waren wir fast schon zu platt zum Nachdenken. Vor dem Elfmeterschießen war uns aber die große Chance bewusst: Wir haben gute Schützen und einen guten Keeper. Da kann was gehen.
Immer wenn es Sensationen gibt, fragt man sich: Ist es jetzt die herausragende Leistung des Außenseiters oder die lasche Einstellung des Favoriten.
Wie ich schon sagte: Es sind viele Faktoren. Hätten die Bayern ihren besten Fußball gespielt, wäre es sehr, sehr schwer geworden.
Haben die Bayern Ihr Team unterschätzt?
Vielleicht sind die Bayern in den Bus gestiegen und haben gedacht: Das packen wir schon. Aber dass sie uns unterschätzt haben, nein, das glaube ich nicht. Wir hatten Köln in der ersten Runde rausgehauen, und das souverän. Das war für jeden möglichen Gegner eine Warnung – auch für die Bayern.
Der Fußball hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr professionalisiert. Große Klubs zahlen immer mehr Geld für große Spieler. Gibt es überhaupt noch die reale Chance, dass ein unterklassiges Team die Bayern schlägt?
Bei den Bayern ist es natürlich eine Sache. Aber grundsätzlich sehe ich in der Dritten Liga genügend Teams, die beispielsweise Bundesligisten rausschmeißen können. Magdeburg gegen Augsburg ist für mich ein klares 50:50-Spiel. Die Qualität ist natürlich wie die Trainingsprofessionalität eine ganz andere geworden, eben nicht nur ganz oben, sondern auch in den ersten beiden Liga darunter.
Und bei Teams, die eben nicht im Profifußball spielen und jeden Tag trainieren.
Auch für diese sehe ich grundsätzlich auch eine Chance. Solange es den DFB-Pokal gibt, solange wird es auch Überraschungen und Sensationen geben.
Dirk Hannemann, 47, spielte unter anderem für Hansa Rostock, Tennis Borussia und den 1. FC Magdeburg. Heute trainiert er den Sechstligisten Fortuna Magdeburg und ist in einem Autohaus tätig.
Hannes Hilbrecht