Dominic Thiem und die Kritik an der Adria Tour: „Wir haben Fehler gemacht, aber kein Verbrechen begangen“
Dominic Thiem ist der Favorit beim Tennisturnier in Berlin. Doch der Österreicher geriet zuletzt arg in die Kritik wegen der unsäglichen Adria Tour.
Wie ein Verbrecher sieht Dominic Thiem nicht aus. Zwar trägt der 26-jährige Österreicher am Montagvormittag eine Maske über Nase und Mund, als er die Tennishalle auf der Anlage des LTTC Rot-Weiß Berlin betritt. Aber damit ist er in diesen Zeiten nur einer unter vielen. In den vergangenen Wochen kam sich der drittbeste Tennisspieler der Welt zuweilen aber schon so vor, als sei er zur Fahndung ausgeschrieben. Und das alles, weil auf der von Novak Djokovic organisierten Adria Tour im Juni die Hygieneregeln prominent ignoriert wurden.
„Natürlich haben wir dort Fehler gemacht und vielleicht ein bisschen den Bezug zur Realität verloren, aber es hat niemand ein Gesetz gebrochen“, erzählte Thiem nun in Berlin 24 Stunden vor seinem ersten Match am Dienstag gegen den Südtiroler Jannik Sinner (16 Uhr, live bei Eurosport) und fügte an: „Als wir zur Adria Tour kamen, herrschte dort wieder so etwas wie Normalität. Und plötzlich haben wir uns von der Euphorie der Fans anstecken lassen.“
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Das Problem: Normal ist während einer Pandemie automatisch immer auch riskant und so infizierten sich vier Tennisprofis inklusive Organisator Djokovic mit dem Coronavirus. Dominic Thiem kam wie Alexander Zverev mit dem Schrecken davon, doch während der Deutsche in Berlin fehlt, ist Thiem nicht abgetaucht.
Präsent war er schon in der vergangenen Woche in Kitzbühel bei den von ihm selbst veranstalteten „Thiems7“ so. Obwohl Thiem das Thema für sich ganz gern abhaken würde, wird er davon doch immer wieder eingeholt. Die Kritik sei „ein bisschen viel“ gewesen, sagte er, „wir haben ja kein Verbrechen begangen.“
Zuletzt kam sie auch wiederholt aus den eigenen Reihen. So hatten sich Thiem und Nick Kyrgios über die sozialen Netzwerke eine veritable Schlammschlacht geliefert. Der Australier, der wegen neuer Infektionen in seiner Heimat nicht nach Berlin reisen konnte, sprach Thiem und Zverev das „intellektuelle Niveau“ ab, um die Zusammenhänge zu verstehen. Thiem meinte dazu am Montag leicht genervt: „Gewisse Meinungen, vor allem aus Australien, sind entbehrlich.“
Nur 480 von 800 Plätzen sind am Montag in Berlin besetzt
Das Turnier in Berlin will sich komplett anders als die Adria Tour präsentieren, beinahe schon klinisch rein soll es zugehen. Auf der Anlage sind am Montag von den 800 für Zuschauer zugelassenen Plätzen zunächst nur wenige besetzt, später werden offiziell 480 Besucher vermeldet. Dafür läuft drumherum der Cluballtag so weiter, als wären ein paar Meter weiter nicht mal eben diverse Topstars der Szene unterwegs. Kinder trainieren auf den Sandplätzen des LTTC Rot-Weiß, tollen auch schon mal wild durcheinander. Dass die Welt momentan allerdings durchaus ein wenig aus den Fugen geraten ist, davon künden an diesem sonnigen Tag in Berlin-Grunewald die obligatorischen Warnhinweise an jeder Ecke.
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Dass Dominic Thiem in Berlin noch einmal über die Stränge schlägt, darf praktisch als ausgeschlossen gelten. Zu fokussiert ist er auf seine Karriere. In der schien er in dieser Saison so richtig durchzustarten. Bei den Australian Open stand er Anfang des Jahres im Finale, unterlag Djokovic nur knapp in fünf Sätzen. Zuvor hatte er auch bei den ATP-Finals in London das Endspiel erreicht. Als reiner Sandplatzspezialist geht Thiem schon lange nicht mehr durch, auch wenn er auf dem eher langsamen Aschebelag seine größten Erfolge errungen hat.
Doch die coronabedingte Turnierpause hat den Niederösterreicher in seinem Aufstieg gestoppt, er hätte allen Grund deswegen zu hadern. Stattdessen sagt Thiem: „Man kann das sowieso nicht ändern und es gibt mit Sicherheit Spieler, die es schlimmer erwischt hat als mich.“ Außerdem gebe es wichtigere Dinge als Tennis. Für seinen Besuch in Berlin gilt das allerdings nicht, hier konzentriert sich Thiem ausschließlich auf seinen Job. Dass er von der Stadt, die er „sehr, sehr geil“ findet, nicht viel zu sehen bekommt, muss er verschmerzen. Zumal er erst einmal in Berlin war. „Vor vier Jahren habe ich mir hier das Fußballspiel Hertha gegen Mönchengladbach angeschaut“, erzählt er.
Diesmal bekommt Thiem neben dem Steffi-Graf-Stadion immerhin noch ein bisschen was vom Flughafengelände Tempelhof zu sehen, wo es am Freitag im Hangar 6 weitergeht. Innerhalb einer Woche wird Thiem dann auf Sand, Rasen und Hartplatz gespielt haben. „Eine Herausforderung“, nennt er das, wobei das Sammeln von Spielpraxis im Mittelpunkt steht. Im Hinblick auf das, was vielleicht noch kommt in dieser Saison.
Das könnte eine Menge sein, wenn die US Open und die French Open 2020 wirklich noch stattfinden sollten. Allerdings steht insbesondere die US-Tour „auf wackligen Beinen“, wie Thiem sagt. Sollte gespielt werden können, glaubt er aber daran, dass es vor Ort tatsächlich „sicher“ wird. Und dank der Erfahrungen in Berlin wissen die Profis inzwischen ganz genau, was geht und was nicht.