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Premier League: „Wir haben ein Rassismus-Problem“

Der englische Fußball streitet über einen verweigerten Handschlag, eine aberkannte Kapitänsbinde und das Wort „Negro“. Kern des Problems ist eine Rassismusdebatte in der Premier League.

Am Freitag meldete sich der erste Diener der Republica Oriental Del Uruguay zu Wort. „Luis Suarez ist kein Rassist“, sprach Staatspräsident José Mujica, „er war keiner und wird nie einer sein!“ In den Straßen von Montevideo ist der Fußballspieler Luis Suarez, 25, ein Held. Im vergangenen Jahr war er erfolgreichster Torschütze beim Gewinn der Südamerikameisterschaft, im Jahr 2010 eine der herausragenden Persönlichkeiten, als Uruguay bei der WM in Südafrika sensationell auf Platz vier stürmte. Für die englischen Fans ist er ein unverbesserlicher Provokateur. Einer, der sich nicht zu benehmen weiß und dem Image der heiligen Premier League schweren Schaden zugefügt hat. Für Zwischentöne ist wenig Platz in der aufgeheizten Atmosphäre.

Tatsache ist, dass Luis Suarez keineswegs unschuldig ist an den um ihn tosenden Stürmen. Ende des vergangenen Jahres sperrte ihn die Disziplinarkommission des englischen Fußballverbandes (FA) für acht Spiele, nachdem er Manchester Uniteds französischen Verteidiger Patrice Evra in einer lautstarken Auseinandersetzung „Negro“ genannt hatte. Als endlich grüner Rasen über die Affäre gewachsen war und die beiden sich am vergangenen Wochenende im Old Trafford zu Manchester wiedersahen, kam es zum nächsten Eklat. Demonstrativ verweigerte Suarez Evra den Handschlag und brachte damit auch Sir Alex Ferguson gegen sich auf. Manchesters Trainer wütete, Suarez sei „eine Schande für Liverpool“ und dürfe nie mehr für den Klub spielen.

Beim Thema Rassismus verstehen die Engländer keinen Spaß. Ein Blick zurück auf die vergangenen Wochen und Monate: Chelseas John Terry hat das Kapitänsamt der englischen Nationalmannschaft aufgeben müssen wegen einer nicht druckreifen Tirade gegen Anton Ferdinand, den kleinen Bruder von Rio Ferdinand, mit dem er bei der EM in Polen und der Ukraine eigentlich die Innenverteidigung bilden soll. Schwer vorstellbar, denn Rio Ferdinand reagiert bei diesem Thema sehr sensibel. Via Twitter stritt der Kapitän von Manchester United mit Fifa-Präsident Sepp Blatter, weil dieser in der ihm eigenen Bestimmtheit verfügt hatte, das mit dem Rassismus auf dem Fußballplatz sei eine zu vernachlässigende Randerscheinung. Micah Richards von Manchester City hingegen mag nicht mehr twittern, weil auf seinem Account alle paar Tage rassistische Beleidigungen eingingen.

Das zusammenfassende Urteil für die Zustände auf den Fußballplätzen des Vereinigten Königreichs sprach die große Politik in Gestalt von Premierminister David Cameron: „Wir haben immer noch ein Rassismus-Problem!“

Das ist bemerkenswert für ein Land, das als eines der ersten den Tatbestand der rassistischen Beleidigung als Strafgesetz aufgenommen hat und dessen Fußballinstitutionen entsprechende Vergehen im Stadion so konsequent verfolgen wie nirgendwo sonst auf der Welt. In englischen Stadien rassistische Parolen zu grölen, führt genauso schnell in die Arrestzelle wie das Ausspucken eines Kaugummis in Singapur.

Zwischen Luis Suarez und der Premier League lief es von Anfang an nicht auf eine beiderseitige Liebesbeziehung hinaus. Als er vor einem Jahr aus Amsterdam nach Liverpool wechselte, war sein Image längst da. Der Stürmerkollege Asamoah Gyan vom AFC Sunderland empfing ihn mit dem Hinweis, er möge sich doch bitte nicht in Afrika blicken lassen, „bei uns zu Hause ist er der meistgehasste Mensch der ganzen Welt“.

Wie so oft gibt es auch im Fall Luis Suarez eine Geschichte vor der Geschichte. Sie reicht zurück in den Sommer 2010, in die Soccer City von Johannesburg, wo Ghana und Uruguay um den Einzug in das WM-Halbfinale stritten. Es lief schon die Nachspielzeit, als nach Tumulten im uruguayischen Strafraum der Ball Richtung Tor flog, wo ihn Suarez mit ausgestrecktem Arm zurückschmetterte wie ein Volleyballer. Suarez flog vom Platz, aber den Elfmeter drosch Asamoah Gyan nicht ins Tor, sondern an die Latte. Das anschließende Elfmeterschießen gewann Uruguay, Ghana war raus, und als Suarez sein Schurkenstück tanzend im Kabinengang feierte, wäre es beinahe zu einer Prügelei gekommen. Anlehnend an Diego Maradona behauptete der Uruguayer später auch noch: „Ich habe auch eine Hand Gottes. Meine ist sogar die wahre Hand Gottes!“ Seitdem steht sein Name in afrikanischen Konsularabteilungen auf dem Index.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum Luis Suarez in England nie eine richtige Chance hatte.

Wahrscheinlich hatte Luis Suarez nie eine richtige Chance in England. Seit seiner Ankunft sieht das Publikum in ihm einen notorischen Betrüger und brüllt ihn mit „Cheat!“-Rufen nieder und bezichtigt ihn auch dann der Schauspielerei, wenn er brutal und für jedermann sichtbar gefoult wird. Die englischen Zeitungen breiten mit schöner Regelmäßigkeit frühere Verfehlungen aus. Dass er schon in seinem ersten Länderspiel vom Platz flog. Dass er in Amsterdam mal einem Gegenspieler in die Schulter biss. Und natürlich die Sache mit Ghana. Südamerikaner sind in England traditionell nicht sonderlich beliebt, aber diese Form des Rassismus spielt in der öffentlichen Wahrnehmung eine untergeordnete Rolle.

Das fügt sich in die Auseinandersetzung zwischen Luis Suarez und Evra. Es gibt für diese Begegnung keine Ohrenzeugen. Nur die Anklage des Franzosen und die Verteidigungsrede des Südamerikaners. Alles begann mit einem Foul von Suarez an Evra. In dem anschließenden Wortgefecht soll mehrfach das Wort „Negro“ gefallen sein. Nach Vermittlung durch den Schiedsrichter wagte Suarez den Versuch einer Entschuldigung und streckte die Hand aus, worauf Evra ihn anfuhr: „Fass mich nicht an, Südamerikaner!“ Auch das war gewiss nicht liebevoll gemeint. Suarez entgegnete: „Was ist los, Negro?“

Dazu muss man wissen, dass Negro in Uruguay keineswegs die rassistische Konnotation hat wie in Nordamerika oder Europa. Uruguay war die erste Nation, die zu einem großen Turnier schwarze Spieler schickte – unter anderem José Leandro Andrade, erster Weltstar des Fußballs. Bei den Olympischen Spielen 1924 in Paris trat er parallel zum Fußballturnier als Musiker und Tänzer mit Josephine Baker auf.

Liverpools Trainer Kenny Dalglish führte zu Suarez’ Entlastung an: „Seine Frau nennt ihn Negro, und die will ihn wahrscheinlich nicht verunglimpfen.“ Der englische Verband aber argumentierte, Suarez habe lange genug in Europa gespielt, um den beleidigenden Charakter seiner Äußerung zu erkennen. Gegen die Suspendierung für acht Spiele protestierte der FC Liverpool auf denkbar umstrittene Weise: Beim Aufwärmen vor einem Premier-League-Spiel trugen sämtliche Spieler und Trainer Dalglish unschuldig-weiße Hemden mit einem jubelnden Suarez auf der Brust.

Mit dem verweigerten Handschlag aber hat der Uruguayer sich wohl auch in Liverpool alle Sympathien verscherzt. Suarez entschuldigte sich eher halbherzig auf der Homepage seines Klubs, aber seine Zeit an der Anfield Road nähert sich dem Ende. Der von Suarez vor den Kopf gestoßene Trainer Dalglish mag sich nicht mehr öffentlich äußern. „Wir sind sehr enttäuscht von Luis Suarez“, sagt Sportdirektor Ian Ayre. „Er hatte uns versprochen, Evra die Hand zu geben. Es war falsch, uns anzulügen.“

Die Zeichen stehen auf Trennung von dem Mann, der in 20 Spielen sechsmal für Liverpool getroffen hat. Als neuer Arbeitgeber ist ausgerechnet ein französischer Klub im Gespräch: der von einer Investorengruppe aus Katar gesponserte FC Paris Saint-Germain. Suarez’ Auseinandersetzung mit dem Franzosen Evra ist dabei offensichtlich kein Hindernis. „Du musst ein ganzer Kerl sein, um zu tun, was Luis getan hat“, sagt Suarez’ Landsmann Diego Lugano, der PSG als Kapitän anführt. „Wir leben in einer Demokratie. Wenn du jemanden nicht magst, musst du ihm auch nicht die Hand geben.“

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