Lang Lang im Interview: "Wir Chinesen müssen schuften"
Star-Pianist Lang Lang über Sport, die Klassikliebe der Asiaten - und warum sie ihre Kinder drillen. Ein Interview, in dem ausnahmsweise der Interviewte die erste Frage stellt.
Was ist denn das?
Mein Aufnahmegerät.
Machen Sie eine Videoaufnahme?
Nein, das ist für den Ton, wir machen ein Interview für die Zeitung.
Solche Geräte sind sonst viel kleiner.
Das ist ein altmodisches analoges Gerät, mit einer Tonkassette.
Aha. So etwas habe ich noch nie gesehen.
Mr. Lang, Sie leben seit Jahren auch außerhalb von China, in Amerika und Europa. Wie viel an Ihnen ist noch chinesisch?
Immer noch 100 Prozent. Mein Blut, mein Denken, das ist alles chinesisch.
Der Westen hat Sie nicht verändert?
Viele Chinesen sind längst westlicher als die Leute in Europa oder Amerika. Und ich fühle mich in New York, wo ich etwa drei Monate im Jahr bin, genauso heimisch wie in den zwei Monaten, die ich in Peking verbringe. Diesmal sind es mehr, wegen der Olympischen Spiele.
Und in Berlin?
Ich bin gerne hier, etwa einen Monat im Jahr. Aber ich habe keine Wohnung mehr in Berlin, es wurde einfach zu viel. Am liebsten würde ich auch in Rom, London, Wien und St. Petersburg wohnen, diese Städte inspirieren mich sehr. Aber das kann ich mir nicht leisten. Das Apartment, das ich in New York gekauft habe, der einzigen nicht historischen Stadt, die ich liebe, liegt ganz in der Nähe der Carnegie Hall. Es ist nicht gerade billig.
Vermissen Sie bestimmte chinesische Dinge außerhalb Chinas?
Das Essen. Niemand kocht besser als meine Mutter. Aber ich gehe auch in Berlin chinesisch essen. Und wenn ich dem Koch genau sage, was ich will, kann es richtig gut sein.
Aber die Zutaten? Wir Deutschen lassen uns unser Brot ins Ausland schicken.
Stimmt, das deutsche Brot ist hervorragend. In New York, London oder Paris kaufe ich in Chinatown ein. In Berlin gibt es immerhin brauchbare Asien-Supermärkte.
China ist ein riesiges Land. Wie viel davon kennen Sie?
Inzwischen vielleicht die Hälfte. Als Kulturbotschafter der Olympischen Spiele war ich letztes Jahr für einen Filmdreh viel unterwegs. Ich habe an allen berühmten Orten Klavier gespielt, an der Mauer, in der Verbotenen Stadt, an den großen Seen, in den Bergen und am Gelben Fluss. Fast überall war ich zum ersten Mal, und ich hatte das große Privileg, direkt vor dem Himmelstempel oder einem riesigen Wasserfall spielen zu dürfen.
Vor einem Wasserfall? Da hört man doch gar nichts!
Ach, man schließt die Augen und vergisst das Wasser. Es floss übrigens direkt durch den Flügel hindurch. Der war einer dreimonatigen Spezialbehandlung unterzogen worden und deshalb wasserdicht. Es klang vielleicht nicht ganz so schön wie in der Carnegie Hall, aber trotzdem ist es ein hochwertiges Klavier.
China verändert sich rasend schnell. Wie erleben Sie das?
Ich kam mit meinem Vater von Shenyang nach Peking, als ich neun war, und blieb dort, bis ich mit 14 nach Amerika ging. Damals mochte ich Peking überhaupt nicht, wir teilten uns ein Zimmer in einer Neubauruine, die mittlerweile zum Glück abgerissen ist. Es gab keine Heizung, die Bewohner waren arm, sieben Familien benutzten zusammen ein Bad, es war grauenvoll. Peking war sehr provinziell, Fremde waren nicht willkommen. Heute ist es eine aufregende Metropole mit der neuesten Architektur, guten Konzerthäusern, einem neuen Opernhaus und einem der tollsten Stadien der Welt. Die Hälfte der Bewohner kommt aus anderen Regionen, und weil auch Amerikaner, Briten oder Deutsche dort leben, sind die Pekinger freundlich und weltoffen geworden. Und das Tempo hat sich verlangsamt. Vor fünf Jahren änderten sich über Nacht ganze Straßenzüge.
Weil die alten Stadtteile, die Hutongs, abgerissen wurden?
Inzwischen restauriert man die Hutongs wieder, weil sie unser Kulturerbe sind. Dabei ist es schrecklich, dort zu wohnen, ohne solides Mauerwerk und mit stinkenden Toiletten. Eigentlich müsste man sie neu erfinden, und viele Chinesen tun das ja auch: Sie kaufen Land und bauen neue Hutongs, mit Heizung und Klimaanlage.
Sie sind ständig unterwegs. Wie verfolgen Sie, was politisch in China geschieht?
Ich versuche, mich über die Medien zu informieren, aber es ist schwer, sich ein genaues Bild zu machen.
Haben die Bilder aus Tibet Sie beunruhigt?
Ich bin kein Politiker. Ich unterstütze mit ganzem Herzen die Olympischen Spiele, sie sind großartig für China und wichtig für die Welt, aber ich bitte um Verständnis dafür, wenn ich mich als Musiker zu politischen Fragen nicht äußern kann.
Wenn Sie mal Zeit haben, die Olympischen Spiele zu verfolgen, welche Disziplinen werden Sie sich anschauen?
Gymnastik und Tischtennis. Ja, es ist wahr, alle Chinesen mögen Pingpong. Ich spiele es auch. In Amerika bin ich gut, denn die Amerikaner spielen im Grunde alle nur Tennis, viel zu langsam. In China verliere ich immer.
Und wie halten Sie sich fit fürs Klavier?
Ich laufe. Ich muss kräftige Schultern haben und bestimmte Muskeln an den Armen trainieren, andere Stellen als ein Gewichtheber. Und richtiges Atmen ist wichtig, deshalb ist Joggen gut.
Als ich letztes Jahr in Korea war, ertönte aus den Lautsprechern der Flughafentoilette in Seoul eine Messe von Mozart. Warum lieben Asiaten die Klassik so sehr?
Die Koreaner sind die Weltmeister, sie sind noch verrückter nach Klassik als die Chinesen. Wir haben vor allem ein große Leidenschaft für das Klavier. 36 Millionen Chinesen nehmen Klavierunterricht.
Alle Ihretwegen?
Nein, vor mir waren es 20 Millionen, auf mein Konto gehen nur die restlichen 16 Millionen (lacht). Die Leute sehen mich und denken: Oh, es ist gut, Klavier zu können, dann kann man Konzerte geben und Kulturbotschafter sein. 80 Prozent der Klaviermusik ist klassische Musik. Also spielen die Chinesen Mozart. Nicht, weil sie Mozart lieben – sie lieben das Klavier, weil es international ist. China öffnet sich der Welt, da passt das.
Mit einem traditionellen Instrument wie dem Erhu, dem zweisaitigen Streichinstrument, das Ihr Vater spielte, ginge es nicht?
Oh, wir Chinesen hören traditionelle Musik mindestens so gerne wie Mozart.
In unseren Ohren klingt sie sehr befremdlich. Ist es genau so, wenn ein Chinese zum ersten Mal Mozart hört?
Gute Musik ist nie befremdlich. Mozart war mir schon als Kind vertraut. Schlechte Interpreten können für Befremden sorgen, ein schlecht gespieltes Mozart-Streichquartett zum Beispiel. Viele Kinder mögen keine Klassik, weil sie zur falschen Zeit mit schlechter Musik konfrontiert worden sind. Wer als Erstes Karajan mit den Berliner Philharmonikern oder Kleiber mit den Wiener Philharmonikern hört, wird Mozart mögen. Das erste Mal ist entscheidend.
Als Dreijähriger sahen Sie einen Cartoon mit Tom & Jerry am Klavier und wollten sofort Klavier lernen.
Meine Eltern hatten mir allerdings schon vorher ein Klavier gekauft. Am Anfang machte es mir großen Spaß. Aber das Klavier ist nicht leichter als andere Instrumente, jedenfalls nicht dann, wenn man ein großer Musiker werden will. Das kostet dich deine Kindheit. Noch heute bin ich immer in Eile. Wenn ich früher mit meinen kleinen Robotern spielte, musste ich spätestens nach einer halben Stunde wieder aufhören.
Auch auf dem Konzertpodium wirken Sie ungeduldig.
Brahms ist ungeduldig, die Musik ist manchmal ungeduldig, ich selbst bin geduldig. Man muss als Musiker geduldig sein, beim Üben geht es nicht anders.
Viele Chinesen drillen ihre Kinder, damit sie ein Instrument lernen. Sie haben diesen Ehrgeiz am eigenen Leib erlebt.
Gerade ist meine Autobiografie erschienen. Darin schreibe ich über meine Eltern, die während der Kulturrevolution keine Chance hatten, etwas anderes als chinesische Bücher zu lesen oder ein Instrument zu lernen. Westliche Musik war sowieso verboten. Es ging ums nackte Überleben, China war extrem arm, jeder hatte sechs, sieben Geschwister, viele hungerten. Da ist es kein Wunder, das diese Generation ihr ganzes Streben auf die nächste überträgt. Hinzu kommt: Ich bin ein Einzelkind, ein typisches Produkt der Ein-Kind-Politik. Und schon Ende der Siebziger begann China, sich zum Westen zu öffnen. All das erklärt, warum Leute wie meine Eltern so große Hoffnung in ihr Kind setzen und die zweite Hälfte ihres Lebens vollkommen dessen Karriere widmen. Mein Vater hat für meine Ausbildung seinen Beruf aufgegeben. Es gibt viele solcher Väter in China.
China ist Disziplin und eine boomende Wirtschaft: Bloß ein westliches Vorurteil?
Das mit der Disziplin ist schon wahr. Wir Chinesen müssen schuften, weil wir noch nicht alles haben. Die Amerikaner, die Europäer haben längst alles. In zehn Jahren arbeiten wir vielleicht auch nicht mehr so viel, und der Fortschritt verlangsamt sich. Es ist ein natürlicher Prozess. Auch in Deutschland nach dem Krieg waren alle schrecklich fleißig. Ob Chinesen, Japaner oder Koreaner – es gibt eine fernöstliche Kultur der harten Arbeit, ja, einen Glauben daran. Ich verurteile niemanden dafür, ich tue es ja auch.
Wird China in zehn Jahren die Supermacht Amerika abgelöst haben?
Nein, wir sind dann wohl wichtiger, aber nur eine große Nation neben anderen.
Das Gespräch führte Christiane Peitz.
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