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Hier geht’s auch zum Schwimmen. Aber für Amüsement hat Sebastian Vettel dieser Tage in Monaco natürlich wenig Zeit.
© dpa

Formel 1 in Monaco: Willkommen im Jahr 1993, Sebastian Vettel!

Der vierfache Weltmeister Sebastian Vettel muss mit seiner Rolle als Hinterherfahrer in der Formel 1 erst klarkommen – das bietet allerdings auch eine Chance für das Rennen am Sonntag in Monaco.

Vor ein paar Tagen ist Sebastian Vettel nach seinen ersten Malen befragt worden. Erster Schultag, erster Kuss mit 16, solche Sachen. Auf die Frage nach seinem ersten Wort als kleines Kind antwortete der viermalige Formel-1-Weltmeister: „Pferdestärken!“ An dem Wahrheitsgehalt dieser Version gibt es berechtigte Zweifel, zumal seither mehr als zweieinhalb Jahrzehnte vergangen sind. Doch in der jüngsten Vergangenheit ist das Thema Motorleistung zu einem so beherrschenden im Hause Vettel geworden, dass darunter wohl schon das Erinnerungsvermögen leidet. Angeblich 80 PS fehlen dem Renault-Antrieb seines Red Bull derzeit auf die allzu dominanten Mercedes-Autos. Ein wenig näher an der Wahrheit wäre Vettels Antwort wohl gewesen, wenn die Frage gelautet hätte: Woran haben Sie heute als Erstes gedacht?

Deutlich glaubwürdiger klang in jedem Fall die Geschichte über sein erstes Formel-1-Modellauto, die Vettel kurz vorher im Interview mit dem Tagesspiegel erzählt hat. Es war der McLaren mit der Nummer 8 von 1993, den Ayrton Senna fuhr. Das war kein großer Wurf, kein Überauto, genau genommen war der MP4/8 eher Meterware. Vor allem der Ford-Motor hatte nicht genug Pferdestärken. Und doch hat Vettel gesagt, dass er genau diesen Wagen gern einmal fahren würde. Weil er erst durch seinen Fahrer zum Leben erweckt wurde und es Senna trotz des unterlegenen Materials schaffte, fünf Rennen zu gewinnen.

„Wenn ich heute zurückblicke, dann verstehe ich natürlich erst recht, was es bedeutet hat, mit diesem Auto unter diesen Bedingungen zu gewinnen“, hat Vettel gesagt. Womöglich war es gerade der Kampf mit stumpfer Waffe, den Senna so verbissen führte, der ihn endgültig zur Legende werden ließ. Zu den Sternstunden der Formel 1 gehört Sennas Sieg in Donington, als er bei strömendem Regen in der ersten Runde vier Konkurrenten überholte, darunter seinen Erzfeind Alain Prost im dramatisch überlegenen Williams.

In gewisser Weise wird Sebastian Vettels Traum gerade wahr: In dieser Saison darf er in seinem eigenen McLaren mit der Nummer 8 fahren. Der trägt zwar offiziell die Nummer 1 des Weltmeisters und ist ein Red Bull, doch abseits dieser Petitessen sind die Gemeinsamkeiten mit Sennas 1993er Saison ziemlich auffällig. Die Zeiten der Seriensiege scheinen eine kleine Ewigkeit entfernt, in dieser Saison ist Vettel erstmals seit zwei Jahren in fünf Rennen kein Sieg gelungen. In der WM-Wertung liegt der Heppenheimer schon 55 Punkte hinter dem Führenden Lewis Hamilton.

In dieser Saison hat Vettel die ersten schweren Haken seiner Karriere kassiert

Vettel wird es selbst nicht so sehen, doch eine Saison wie diese ist vermutlich genau das, was er braucht. Ein weiterer Titel in einem überlegenen Auto würde nicht diejenigen überzeugen, die ihn ohnehin für überschätzt halten. Der Weg zu den Legenden ist keine Autobahn, sondern ein verschlungener Pfad.

Bisher ging es in der Karriere des Sebastian Vettel meist ohne große Hindernisse geradeaus. Womöglich ist der jüngste Weltmeister der Formel-1-Geschichte den Menschen auch deswegen noch nicht so nah, wie es Michael Schumacher einst war. Der Rekordweltmeister hat neben seinen unzähligen Siegen auch seine Erfahrungen mit Krisen und Affären gemacht. Und nach jedem Treffer, nach jedem K. o., stand er verbissener als vorher wieder in der Ringecke. Niederschlag und Auferstehung, das will das Publikum sehen.

In dieser Saison hat Vettel die ersten schweren Haken seiner Karriere kassiert. Neben dem nicht siegfähigen und defektanfälligen Auto sieht der 26-Jährige zu allem Überfluss im Stallduell mit dem bisher reputationslosen Australier Daniel Ricciardo nicht gut aus. Nun verfolgt die Szene interessiert, welche Nehmerqualitäten der Champion nach dieser Trefferserie zeigt.

Mit den ersten Reaktionen hat sich Vettel nicht gerade neue Freunde gemacht. Er schimpfte auf das neue Reglement und meckerte an seinem Auto herum, mit dem irgendwas nicht stimme. Als er in China abgeschlagen hinter Ricciardo ins Ziel kam, giftete er: „Das kotzt mich an.“ Wer es nicht gut mit ihm meinte, schimpfte ihn eine Heulsuse.

Doch das vergangene Rennen in Spanien gab ihm zumindest teilweise recht. Nach Vettels Insistieren wurde das Chassis seines RB10 gewechselt, er bekam das alte vom Frühjahrstest wieder. Tatsächlich stellte man im Werk kleine Verwindungen am aussortierten Chassis fest. In Barcelona fuhr Vettel von Startplatz 15 auf Rang vier vor und zeigte dabei jede Menge spektakuläre Überholmanöver. Es war eines seiner besten Rennen, „weltmeisterlich“, befand Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz.

Für Vettel heißt es nun: sich durchbeißen, auch mit weniger PS und ohne WM-Chance

Eine gewisse Genugtuung war Vettel nach diesem Ritt nicht abzusprechen. „Dass ich von heute auf morgen das Fahren verlernt haben soll, fand ich schon sehr lustig“, sagte er. Offenbar hatte ihm die Rückstufung in die hinteren Reihen doch mehr zugesetzt, als er öffentlich zugeben mochte. Dafür spricht auch die ungewöhnlich offene Kritik seines Vorgesetzten. „Sebastian hat sich stark mit der Situation auseinandergesetzt und seine Einstellung überprüft“, sagte Red-Bull- Motorsportberater Helmut Marko bei „Auto Bild Motorsport“. „Er hat viel darüber nachgedacht, was er ändern muss, um seinen Biss zurückzubekommen.“ Der Weltmeister ohne Biss? Das klingt wie eine Ohrfeige für jemanden, der Ayrton Senna verehrt. Niemals in seiner Karriere hat der Brasilianer ein Rennen abgeschenkt.

„Ich hatte am Anfang Schwierigkeiten, mich mit dem jetzigen Format anzufreunden“, gibt Vettel zu. „Ich würde nicht sagen, dass meine Motivation darunter gelitten hat. Ich hatte schon Lust, aber ganz offen gefällt mir nicht, dass die Autos langsamer geworden sind. Ich würde lieber schneller fahren als langsamer.“ Nun müsse er das aber akzeptieren.

Sich durchbeißen, auch mit weniger Pferdestärken und ohne WM-Chance, das ist jetzt Sebastian Vettels eigenes Rennen. Nun kann er zeigen, dass er kein verwöhnter Zögling, sondern ein Kämpfer ist. Wer weiß, vielleicht gelingt ihm ein modernes Donington? Es soll am Sonntag zwar trocken bleiben, doch die Strecke von Monte Carlo ist auch ohne Regen dafür gar nicht ungeeignet. „Man braucht hier etwas weniger Motorenleistung als auf anderen Rennstrecken“, sagt Vettel. „Vielleicht sind wir etwas dichter an Mercedes dran.“ Der langsamste Kurs im Rennkalender nivelliert bis zu einem gewissen Grad Ungleichheiten zwischen den Wagen, der Kampf um jeden Zentimeter zwischen den Leitplanken gilt eher als Nervenprüfung für die Piloten. Die Siegerliste des Klassikers sieht auch deshalb aus wie ein „Best of“ der Motorsport-Ruhmeshalle. Senna hat hier sechs Mal triumphiert, auch mit unterlegenem Material war er kaum zu schlagen.

Sebastian Vettel hat erst einmal in Monaco gewonnen - 2011 - das erwähnen seine Kritiker gern. Jetzt wäre die richtige Zeit für das nächste Mal.

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