SG Flensburg-Handewitt - THW Kiel 30:28: Wie im Märchen
Die SG Flensburg-Handewitt gewinnt als Außenseiter das deutsch-deutsche Champions-League-Finale gegen den THW Kiel 30:28 (14:16) - und revanchiert sich für viele Niederlagen in den letzten Jahren.
Holger Glandorf sackte zusammen, als hätte jemand seinen ganz persönlichen Stecker gezogen. Während seine Kollegen nach der Schlusssirene wie angestochen aufs Feld stürmten, entwich die Spannung beim Rückraumspieler der SG Flensburg-Handewitt aus allen Körperteilen, plötzlich lag er einfach nur noch am Boden. 20 Minuten später sah Glandorf noch immer reichlich mitgenommen aus. „Niemand hatte uns auf dem Zettel, niemand hat uns auch nur den Finaleinzug zugetraut“, sagte der 31-Jährige, „aber wir haben immer an uns geglaubt, und genau so haben wir auch gespielt. Ich bin total erledigt.“
Größter Erfolg der Vereinsgeschichte
Allerdings konnte sich der Lohn für ein entbehrungsreiches Wochenende auch sehen lassen. Nachdem Flensburgs Handballer bereits im Halbfinale am Samstag sensationell den Topfavoriten FC Barcelona besiegt hatten, sorgten sie im Champions-League-Endspiel am Sonntag für eine beinahe surreale Fortsetzung der Geschichte. Vor 20.000 Zuschauern in der Köln-Arena besiegte die SG den THW Kiel im deutsch-deutschen Finale mit 30:28 (14:16) und gewann zum ersten Mal den wichtigsten Titel des Vereinshandballs. „Ein echtes Märchen“, sagte Trainer Ljubomir. „Der größte Erfolg unserer Vereinsgeschichte“, jubilierte Geschäftsführer Dierk Schmäschke. Kiels Trainer Alfred Gislason bewies Größe in der Niederlage und analysierte: „Uns hat am Ende einfach die Kraft gefehlt. Deshalb geht das so auch vollkommen in Ordnung.“
Zumal die Flensburger im schleswig-holsteinischen Duell auch endlich mal an der Reihe waren. In den vergangenen Jahren hatten sie schließlich so viele große Spiele gegen den Dauerrivalen aus dem gerade einmal 80 Kilometer entfernten Kiel verloren, unter anderem die DHB-Pokalfinals 2011, 2012 und 2013 sowie – vor etwas längerer Zeit – das Champions-League-Finale 2007. „Das ist eine unheimliche Genugtuung, wir haben den perfekten Tag, ach was sage ich, das perfekte Wochenende getroffen“, sagte Anders Eggert, der mit sieben Treffern beste Flensburger Torschütze.
Kiel nach der Pause kraftlos
Dabei deutete eine Halbzeit lang rein gar nichts auf einen Sieg des Bundesliga-Dritten über den vor einer Woche frisch gekürten Deutschen Meister hin. Die Kieler dominierten ihren Gegner auf der Grundlage einer massiven und exzellent strukturierten Defensive, aus der immer wieder einfache Kontertore entstanden. Über die Stationen 3:1, 8:4 und 12:6 baute der THW seinen Vorsprung kontinuierlich aus. Dummerweise fiel den Kielern irgendwann ein, SG-Keeper Mattias Andersson warmzuwerfen, was in etwa eine so gute Idee ist wie die Provokation von Graciano Rocchigiani. „Er hat uns ins Spiel zurückgebracht, hat uns den Glauben gegeben“, sagte Glandorf über Andersson. Zur Pause entsprach das Resultat dann auch einem Endspiel: 16:14 führten die Kieler.
Nach dem Seitenwechsel gingen überraschenderweise dem THW die Kräfte aus, obwohl Flensburg am Tag zuvor erst nach Verlängerung und Siebenmeterwerfen eingezogen war. „Wir haben uns in einen Rauschzustand gespielt und den Samstag einfach ausgeklammert“, sagte Trainer Vranjes. Spätestens mit dem ersten Führungstor zum 20:19 waren die Kieler nicht nur physisch, sondern auch psychologisch erledigt. Rechtsaußen Lasse Svan Hansen passte auf Linksaußen Anders Eggert, der den Ball artistisch in der Luft fing und im Tor unterbrachte. Kempa-Trick heißt das im Handballsprech, und wird normalerweise zum Abschluss einer Trainingseinheit praktiziert oder bei großem Vorsprung – und nicht beim Stand von 19:19 in einem Europapokalfinale. Normal war an diesem Wochenende in der Köln-Arena allerdings ohnehin nicht viel.