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Hauptsache gewinnen. Recep Tayyip Erdogan kickt bei der Stadioneröffnung von Istanbul Basaksehir vor drei Jahren.
© dpa

Recep Tayyip Erdogan: Wie Erdogan Fußball für seine Politik vereinnahmt

Der türkische Präsident sieht in dem Volksport vor allem ein Vehikel für seine politische Agenda und gesteht Gegnern nicht einmal Fußballhelden zu.

Von Johannes Nedo

Bedrohliche Bilder dominieren den türkischen Fußball vor der am Freitag beginnenden neuen Saison der Süper Lig. Während des Supercups zwischen Meister Besiktas Istanbul und Pokalsieger Konyaspor kam es am vergangenen Sonntagabend in Samsun zu schweren Ausschreitungen. Ein offenes Klappmesser flog von den Rängen in Richtung des Besiktas-Spielers Ricardo Quaresma, weitere Gegenstände wurden auf den Platz geworfen, nach dem Abpfiff stürmten Fans das Spielfeld – und Anhänger gingen aufeinander los.

Auslöser der Krawalle sind die großen politischen Differenzen in der Türkei. Die Stadt Konya ist eine Hochburg der Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Die meisten Besiktas-Fans, die als linksgerichtet gelten, stehen Erdogan dagegen äußerst kritisch gegenüber. Sie hatten sich auch 2013 an den Protesten gegen ihn im Gezi-Park beteiligt. Während des Spiels riefen nun beide Fanlager politische Botschaften. Konyaspors Anhänger skandierten: „PKK raus.“ Besiktas’ Fans entgegneten: „IS raus.“

Als Erdogan danach auf Twitter Konyaspor und deren Fans zum überraschenden 2:1-Sieg gratulierte, ging er auf die Krawalle nicht mit einem Wort ein. Dass die Mehrheit der Zuschauer auf den Stadionrängen seine Doktrin lauthals unterstützte, dürfte ihm sehr gefallen haben.

Schließlich sagte der 63-Jährige erst im März bei einer Rede: „Ich glaube, dass Fußball und Politik viel gemeinsam haben. Der Wettkampf ist der Kern von beiden, Fußball und Politik. Mein Trainer sagte mir früher immer: Junge, du musst den Ball fressen.“ Erdogan nutzt den Fußball nur allzu gerne für seine politischen Zwecke aus – er vereinnahmt ihn gar für seine Agenda.

Erdogan ordnete an, die Stadien dürften nicht mehr Arena heißen

Mit großem Tamtam tat er dies zuletzt Ende Mai. Da verfügte Erdogan, türkische Stadien dürften nicht mehr Arena heißen, sondern Stadion. „Ich bin gegen Arenen“, sagte er. „In unserer Sprache gibt es so etwas nicht.“ Erdogan begründete seinen Vorstoß damit, dass in Arenen im alten Rom Menschen um ihr Leben kämpfen mussten und „zerfleischt“ wurden.

Anstatt sich über diese Art der Einmischung aus der Politik zu beschweren, kamen Klubs wie Rekordmeister Galatasaray Istanbul der Anordnung unverzüglich nach. Aus der Türk Telekom Arena wurde das Türk Telekom Stadyumu. Und Göksel Gümüsdag, Präsident der Klubvereinigung sowie des Vizemeisters Istanbul Basaksehir, sagte: „Wir denken, dass es richtig ist, dass unsere Stadien mit türkischen Wörtern in Verbindung gebracht werden.“

Doch warum tut Erdogan das? „Weil er immer ein Auge auf den Fußball hat“, sagt Baris Tut. „Erdogan mag Fußball sehr und er weiß: die Verbindung zum Fußball bringt in der Türkei Wähler.“ Der türkische Schriftsteller Tut, der einige Bücher über den Fußball und dessen Bedeutung in der Türkei verfasst hat, sieht in Erdogans plötzlicher Ablehnung der Bezeichnung Arena ein perfektes Beispiel für dessen Politik. „Er verfolgt den ideologischen Ansatz einer neuen osmanischen Kultur. Und um dieses neue Regime zu konstruieren, braucht er neue Symbole – wie die Stadionnamen. Schließlich ist das Wort Arena lateinischen Ursprungs“, sagt der 46-Jährige. Das Wort Stadion kommt ursprünglich aus dem Altgriechischen.

„Erdogan verfolgt die Debatten im türkischen Fußball genau. Und er nutzt eigentlich seltsam anmutende Vorstöße wie die Stadionnamen, um öffentliche Diskussionen anzufeuern – und von anderen Themen abzulenken“, betont Tut. Zumal Erdogan sicher sein könne: ihm werden alle folgen. Auch bei der Arena-Anordnung musste er keinen Druck auf die Vereine ausüben.

Die Nähe zum Fußball sucht Erdogan immer wieder. Erst vor einer Woche, als sich sein Lieblingsklub Basaksehir in der dritten Runde der Champions-League-Qualifikation gegen den FC Brügge durchgesetzt hatte, ging er danach in die Kabine und beglückwünschte die Mannschaft. Natürlich wurden die Jubelfotos davon schleunigst verbreitet.

Doch Erdogan ist bei Weitem nicht der erste türkische Politiker, der den Fußball für sich nutzt. „Das gibt es bei uns schon seit vielen, vielen Jahren“, sagt Tut. „Im Wahlkampf tragen die Politiker eigentlich in jeder Stadt den Schal des örtlichen Vereins. Das funktioniert.“ Und die Einflussnahme der Regierung auf den Fußball war schon deutlich größer als unter Erdogan. So blieben nach der Saison 1987/88 die eigentlichen Absteiger Bursaspor und Kocaelispor in der Ersten Liga, weil es der damalige Premierminister Turgut Özal so verfügte.

Erdogans Lieblingsklub kann die Champions League erreichen

Dass türkische Politiker wie nun Erdogan den Fußball überhaupt so instrumentalisieren können, hat für Tut tiefgreifende gesellschaftliche Gründe. „Vielen Türken fehlt eine echte Identität in ihrem Leben – das Fan-Sein gibt ihnen eine Identität“, betont er. „Viele Türken arbeiten 45 Stunden pro Woche und haben dennoch nur ein geringes Einkommen. Da verleiht der Fußball ihrem Leben eine Bedeutung.“

So ist der Fußball die Ablenkung Nummer eins für die Türken. „Es wird ja hier auch immer schwerer, ein anderes kulturelles Leben zu finden“, sagt Tut. Diese absolute Fixierung auf den Fußball für viele Türken bringt aus seiner Sicht noch mehr Probleme mit sich. „Es gibt keine echte Fußballkultur in der Türkei. Unter den Fans existiert eigentlich kein Respekt für den Gegner. Es geht fast nur um Konfrontation“, betont Tut.

Diese Konfrontation wird umso hitziger, wenn sich Fußball und Politik vermischen. Als sich Arda Turan, türkischer Star vom FC Barcelona, vor dem Verfassungsreferendum im April für ein Ja aussprach und damit Erdogan unterstützte, erhielt der 30 Jahre alte Mittelfeldspieler einerseits riesige Zustimmung, andererseits erntete er dafür auch harsche Kritik. „Das zeigt, wie gespalten unsere Gesellschaft ist“, sagt Tut. „Die eine Hälfte liebt Arda umso mehr, die andere verteufelt ihn.“

Seinen politischen Gegnern will Erdogan daher bloß keine Fußballhelden zugestehen – wie den früheren Stürmerstar Hakan Sükür. Der 45-Jährige unterstützt die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, dem Erdogan den Putschversuch vor gut einem Jahr vorwirft. Sükür, Klublegende von Galatasaray und mittlerweile im Exil in den USA – auch weil in der Türkei ein Haftbefehl gegen ihn vorliegt –, sollte darum im März obendrein die Vereinsmitgliedschaft entzogen werden. Doch die Mehrheit der Mitglieder lehnte einen Antrag darauf ab. Der Galatasaray-Vorstand folgte allerdings nicht den Fans, sondern Erdogan. Mit der Begründung, Sükür habe seit mindestens sechs Jahren keine Vereinsbeiträge mehr gezahlt, wurden er und andere Mitglieder ausgeschlossen.

Erdogan reiht also im Fußball einen Sieg an den nächsten. Er muss gewinnen, immer weiter gewinnen. Er weiß das genau, sagt Tut. „Denn die Liebe im türkischen Fußball ist immer verknüpft mit Erfolg.“

An der Recherche für diesen Artikel beteiligte sich auch Correctiv.

Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels stand eine falsche Jahreszahl für die Saison, in der Bursa und Kocaeli trotz Abstiegs in der Ersten Liga bleiben durften.

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