Zu viel Plastik auf Kunstrasenplätzen: Wie ein Vorstoß der EU für Unruhe im Amateurfußball sorgt
Die EU könnte Granulat auf Kunstrasenplätzen bald verbieten. Viele Sportvereine würde das hart treffen. Horst Seehofer setzt sich für eine Übergangsfrist ein.
Der SC Staaken hat zwei Kunstrasenplätze mit Granulat. Einen in der Eichholzbahn und einen in der Spandauer Straße. Das war bis vor wenigen Wochen noch keine Nachricht wert. Dann aber hatte die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) bei der Kommission der Europäischen Union (EU) einen Vorschlag hinterlegt, wonach die Verwendung von Kunststoffgranulat deutlich eingeschränkt werden soll. So fordert die ECHA, Granulat auf Kunstrasenplätzen bereits ab 2021 zu verbieten.
„Das wäre eine mittlere Katastrophe für den Spielbetrieb“, sagt Bernd Schultz, der Präsident des Berliner Fußball-Verbandes (BFV). Und Klaus-Dieter Krebs, der Vorsitzende des SC Staaken, geht noch eine Stufe weiter. Er spricht von einer „Katastrophe“. Staakens erste Männer-Mannschaft ist in der Oberliga das höchstklassigste Berliner Team, das auf Kunstrasen spielt.
Zwar ist der SC nur Nutzer und nicht Eigentümer der Plätze. Sehr wohl ist der Klub aber auf den Kunstrasen angewiesen. „Wir haben ja keine Alternativplätze“, sagt Krebs. Mit dem zuständigen Bezirk Spandau, der für die Finanzierung verantwortlich wäre, hat Krebs noch nicht gesprochen. Auch mit BFV-Chef Schultz noch nicht. Er wolle erst abwarten, bis die zuständigen Verbände endlich konkrete Aussagen dazu treffen, was in Zukunft zu befürchten sei, betont Krebs.
Eine Arbeitsgruppe bestehend aus Vertretern des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), des Deutschen Fußball-Bundes und der Wissenschaft beschäftigt sich seit Anfang Mai mit dem Thema. Für sie ist klar: Machbar sei die Umsetzung des Verbots nur mit einer Übergangsfrist „von mindestens sechs Jahren“. Alles andere sei unverhältnismäßig. Denn die Sanierungen der Kunstrasenplätze müssten während des Sportbetriebs passieren. Zudem soll die Übergangsfrist genutzt werden, um genügend alternative Füllstoffe zu Kunststoffgranulat zu bekommen – etwa Sand oder Kork.
Auch CSU-Politiker Horst Seehofer sorgt sich um den Fortbestand der Kunstrasenplätze. Der auch für den Sport zuständige Bundesinnenminister will sich für eine Übergangsfrist von sechs Jahren für bestehende Kunstrasenplätze einsetzen, sollte es ab 2022 ein Verbot geben. In einem Interview der „Welt am Sonntag“ warb er „für einen vernünftigen Ausgleich zwischen Umweltschutz und den berechtigten Interessen des Sports. Viele Tausend Sportanlagen in deutschen Kommunen wären sonst von der Schließung bedroht“. „Ob die EU-Kommission ein Verbot von Plastik-Einstreumaterial für Kunstrasensportplätze vorschlagen wird, steht noch längst nicht fest“, teilte indes ein Sprecher von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) am Montag mit.
Granulat nicht biologisch abbaubar
Erste Zahlen, wie viele Sportplätze in Deutschland von einem möglichen Verbot betroffen wären, erwartet die EU von der Arbeitsgruppe schon in dieser Woche. Eine genaue Quantifizierung sei derzeit allerdings gar nicht möglich, teilt der DOSB mit, weil eine belastbare Datengrundlage fehle. Denn die meisten Sportstätten sind in kommunalem Besitz, so hat der DOSB gar keinen Zugriff auf die Daten. Die aktuellsten Zahlen datieren von 2002. Es sollen derzeit mehr als 6000 Sportplätze sein. Rund 300 werden zudem jedes Jahr neu gebaut. Auch diese müssten dann mit alternativen Füllstoffen ausgestattet werden.
Ob es allerdings soweit kommt, ist fraglich. Denn das ECHA stützt sich bisher nur auf eine Studie des Fraunhofer-Instituts „Umsicht“ in Oberhausen. Dieses sieht das Granulat deshalb als so gefährlich an, da es biologisch nicht abbaubar ist und durch Verwehungen leicht ins Grundwasser gelangt. Laut des Instituts sind „Verwehungen von Sport- und Spielplätzen“ in Deutschland die drittrelevanteste Quelle für Mikroplastik, zu der Kunststoffgranulat gezählt wird.
Torsten Weber, Projektingenieur am Fraunhofer-Institut, bestätigt allerdings, dass die Studie ein „Worst-Case-Szenario“ abbilde. Ein weiteres Problem ist laut Weber, dass momentan nur Schätzungen möglich seien. Der Stand der Forschung sei noch nicht weit genug, um ein realistisches Bild abzugeben. „Die langfristigen Schadwirkungen von Mikroplastik auf die Umwelt sind noch nicht hinreichend erforscht“, sagt Weber. Trotzdem sei die Studie gerechtfertigt – und so auch das damit einhergehende Echo.
Das Fraunhofer-Institut agiert nach dem Vorsorgeprinzip. „Wir wollen präventiv tätig werden, da es eine berechtigte Relevanz hat“, sagt Weber. Das Ziel sei aber, wegzukommen von Worst-Case-Ansätzen hin zu realen Szenarien. Etwas realistischer dürfte dafür schon eine neue Fraunhofer-Studie Ende August mit aktualisierten Zahlen sein. Die Tendenz ist, dass diese weniger alarmierend ausfällt.
Hersteller sehen Zahlen als realitätsfern an
Auf große Kritik stößt die Studie bei Polytan, dem laut eigener Aussage führenden Hersteller von Sportbelägen in Deutschland. Dessen Geschäftsgrundlage ist die Herstellung von Füllstoffen. Legt man das Worst-Case-Szenario des Fraunhofer-Instituts zugrunde, so müssten jedes Jahr von jedem Platz mehr als drei Tonnen Granulat abgetragen werden, teilt Polytan mit. Die Realität liege zwischen 150 und 300 Kilogramm.
Große Sorgen macht sich das Unternehmen aus dem bayrischen Burgheim deshalb nicht. Beim Auftragseingang merke man außerdem noch keinen Rückgang, heißt es. Allerdings verschiebe sich das Bestellvolumen von Gummigranulat in Richtung Kork und Sand. Die alternativen Füllstoffe können jedoch vermutlich nur eine Entlastung sein, davon geht auch das Fraunhofer-Institut aus. „Quarzsand und Kork sind wohl nicht in der Menge verfügbar, die es bräuchte, um Granulat zu ersetzen“, sagt Weber.
Weil es bis zum Jahr 2021 also nicht genug Sand und Kork für Kunstrasen geben wird, geht auch BFV-Präsident Schultz davon aus, dass bei der EU mindestens ein zeitlicher Aufschub erwirkt werden kann – und die Katastrophe für Vereine wie den SC Staaken also noch abgewendet werden kann.