Alle Sportlerinnen gelten als Amateure: Wie der italienische Sport Frauen diskriminiert
Ein fast 40 Jahre altes Gesetz und die männlich dominierten Verbände hindern Frauen in Italien daran, als Berufssportlerinnen anerkannt zu werden.
Amateur, der. Jemand, der eine Tätigkeit nicht beruflich, sondern als Liebhaberei, als Hobby betreibt; Gegensatz: Profi.
Die Erklärung im Brockhaus ist ziemlich eindeutig, würde in Italien allerdings für viel Verwirrung sorgen. Denn im dortigen Sport gelten ganz eigene Definitionen von Amateur und Profi. Grund ist das Gesetz Nummer 91 aus dem Jahr 1981 sowie dessen Anwendung. Die drastischste Konsequenz: In Italien gibt es offiziell keine einzige Profisportlerin.
Es ist eine absurde Situation, die im italienischen Sport jahrelang tabuisiert wurde und der Öffentlichkeit kaum bekannt war. Denn trotz aller Probleme gewinnt das Land bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen regelmäßig Medaillen. Federica Pellegrini gehört zu den besten Schwimmerinnen der Welt, Valentina Vezzali hat das Fechten ab Mitte der Neunziger Jahre für fast zwei Jahrzehnte dominiert, und bei der Fußball-WM der Frauen im Sommer waren die Italienerinnen eine der größten Überraschungen. Was sie in den Augen des Staates alle eint, ist ihr Amateurstatus.
In Italien gibt es keine einzige Profisportlerin
Das Gesetz 91, das das Verhältnis zwischen Sportlern und Vereinen regelt, verhindert nicht explizit, dass Frauen als Berufssportlerinnen anerkannt werden, überlässt es aber dem Italienischen Olympischen Komitee (Coni) sowie den Fachverbänden, Disziplinen für das Profitum zu öffnen. Dies ist allerdings nur für sechs Sportarten passiert: Fußball, Basketball, Radsport, Golf, Boxen und Motorsport. Die letzten beiden haben das Profitum bereits wieder aufgegeben.
So waren und sind auch viele männliche Spitzenathleten wie Ski-Legende Alberto Tomba oder Schwimm-Olympiasieger Gregorio Paltrinieri offiziell Amateure. Die Regelung diskriminiert viele Sportarten, de facto aber vor allem ein ganzes Geschlecht. Denn auch im Fußball, Basketball, Radsport und Golf können den Verbandsrichtlinien zufolge nur Männer Profis werden. „Das ist eine ungeheuerliche Ungerechtigkeit“, sagt Luisa Rizzitelli.
Die 50-Jährige hat 2000 mit einigen Mitstreiterinnen die Athletinnenvereinigung Assist gegründet und setzt sich seitdem gegen die Diskriminierung im Sport ein. „Jahrelang haben wir diesen Kampf fast alleine bestritten, erst in den letzten Jahren ist das Problem im Bewusstsein der Öffentlichkeit angekommen“, sagt Rizzitelli und kritisiert die Untätigkeit der Sportinstitutionen. Seit Jahren habe sich kaum etwas verbessert: „Die Verbände wollen den Status quo bewahren und viele Sportarten, die weniger Geld haben als der Fußball, haben große Angst vor dem Profitum.“
Denn in der Praxis geht es nicht nur darum, ob sich Sportlerinnen und Sportler offiziell als Profis bezeichnen dürfen, sondern um Absicherung, um Vorsorge, um Rechtssicherheit – und letztlich um viel Geld. Während Athletinnen mit Amateurstatus zwar ebenfalls Aufwandsentschädigungen von ihren Vereinen bekommen können und wie im Fall von Stars wie Federica Pellegrini durch Sponsoreneinnahmen, Preisgelder sowie staatliche Förderung sogar sehr reich werden, müssen für sie keine Sozialabgaben gezahlt werden.
Was für die wenigen Berühmtheiten an der Spitze kein allzu großes Problem ist, kann für viele andere existenzbedrohend werden. „Heute gibt es viele Athleten, die ihren Sport bis zum Alter von 35 oder 40 Jahren ausüben – und das ohne jede Altersvorsorge. Wir müssen uns darüber klar sein, dass das in Zukunft zu einem sozialen Problem werden kann“, sagte die in Nordrhein-Westfalen geborene und 1992 in Italien eingebürgerte frühere Kanutin Josefa Idem der „Huffington Post“.
Rizzitelli, als Volleyballerin lange in der Serie B aktiv, hat von ihrem Sport gelebt. Reich ist sie nicht geworden, aber ihr Verein zahlte ihr ein ordentliches Gehalt. Es war für mehr als ein Jahrzehnt ihr einziger Beruf – auch wenn sie offiziell Amateurin war. „Wir haben morgens und nachmittags je drei Stunden trainiert, da kannst du nicht noch nebenbei arbeiten gehen. Das ist unmöglich“, sagt Rizzitelli. Und so wurde jahrelang nicht in die Rentenkasse eingezahlt, sie war nicht abgesichert gegen Arbeitslosigkeit oder Arbeitsunfähigkeit.
Viele Athletinnen sind beim Militär angestellt
Eine besondere Schwierigkeit stellt für viele Athletinnen die Schwangerschaft dar. „Dann bekommst du von deinem Verein keinen Cent mehr“, sagt Rizzitelli. Zwar gibt es mittlerweile den Anspruch auf 1000 Euro für zehn Monate aus einem Staatsfonds, ausreichend ist dies aber nicht. Denn die sportliche Zwangspause dauert natürlich länger als zehn Monate und in einer Stadt wie Mailand oder Rom kommt man mit 1000 Euro nicht sonderlich weit.
Dass Italien in vielen Individualsportarten überhaupt noch konkurrenzfähig ist, liegt auch an den Sportgruppen von Militär und Polizei. Wie in Deutschland sind dort viele Athleten angestellt, werden aber für Training und Wettkämpfe freigestellt. „Die Militärgruppen haben den Elitesport in Italien gerettet, aber wir sehen das kritisch“, sagt Rizzitelli. Denn die meisten Sportler würden nur zur Armee gehen, weil ihnen dort die Rechte gewährt werden, die sie im zivilen Sport nicht bekommen: einen langfristigen Arbeitsvertrag, Krankenversicherung, Pensionsanspruch. „Wir haben in Italien den militarisiertesten Sport der Welt“, sagt Rizzitelli.
Ein Gesetzentwurf macht Hoffnung
Mittlerweile gibt es jedoch Hoffnung auf eine baldige Besserung der Rahmenbedingungen. Mitte Dezember hat der Haushaltsausschuss eine Steuererleichterung für Vereine beschlossen, die ihren Sportlerinnen oder Sportlern Profiverträge geben. Für die nächsten drei Jahre sind dafür 20 Millionen Euro vorgesehen. In der Presse wurde dies teilweise als historischer Schritt gefeiert, so weit ist es allerdings noch nicht. Denn solange die Sportverbände ihre Disziplinen nicht für das Profitum öffnen, können die Klubs auch keine entsprechenden Verträge abschließen. „In Italien sind wir leider nicht daran gewöhnt, das Kleingedruckte zu lesen – ein Ende der Diskriminierung ist mit dieser Maßnahme definitiv nicht erreicht“, sagt Rizzitelli.
Das größte Problem sei, dass es auch weiterhin keine objektiven Kriterien für den Profistatus gebe. Die Entscheidung liege momentan ausschließlich in den Händen von Verbänden und Vereinen. „Wir brauchen ein Gesetz, auf das sich die Sportlerinnen und Sportler berufen können und das ihnen ein Recht auf einen Profivertrag einräumt, wenn sie die Voraussetzungen dafür erfüllen“, sagt Rizzitelli.
Im Januar oder Februar soll im Parlament über einen Gesetzentwurf diskutiert werden, von dem sich Rizzitelli entsprechende Anpassung verspricht. „Wenn die Regierung bis dahin hält – und das ist in Italien schon eine schwierige Angelegenheit – stehen die Chancen nicht schlecht, dass sich endlich etwas ändert.“