Deutscher Gegner in der EM-Quali: Wie der Brexit den Sport in Nordirland beeinflusst
Der Brexit ist das beherrschende Thema in Großbritannien. Davon ist der Sport nicht ausgenommen. Auch nicht Nordirland, wo das DFB-Team heute antritt.
Angela Vaupel will nichts beschönigen. Von Fußball habe sie keine Ahnung, einzig der FC Schalke 04 interessiere sie wirklich, sagt sie. Königsblau trägt Vaupel, 52, weil sie königsblau sozialisiert worden ist. Im Ruhrpott wuchs sie in einer Bergarbeiter-Familie auf, in der es zum guten Ton gehörte, Schalke anzuhängen.
Das Stadion in Gelsenkirchen besucht sie allerdings kaum noch, Vaupel lebt seit 22 Jahren in Nordirland, sie lehrt als Hochschuldozentin und arbeitet zusätzlich noch als deutsche Konsulin in Belfast. Sie weiß daher auch, dass Fußball derzeit eher keine große Rolle im Land spielt. Die von Michael O'Neill trainierten Nordiren führen zwar die Tabelle in ihrer EM-Qualifikationsgruppe an, „aber der Brexit ist hier das alles beherrschende Thema“, sagt Vaupel.
Sollte es nämlich wieder Grenzkontrollen zwischen dem EU-Land Irland und Nordirland geben, könnte dies den Nordirland-Konflikt neu befeuern. „Der Friedensprozess, der 1998 in Gang gesetzt wurde, hat die Gewalt gestoppt – aber die politische Ursache des Konflikts besteht nach wie vor“, sagt Vaupel.
Nach wie vor ist das Leben segregiert, die Städte sind geteilt in protestantische und katholische Wohnviertel. Die Protestanten zählen zum pro-britisch-unionistischen Lager, die Katholiken zum pro-irisch-nationalistischen. Von 1969 bis 1998 hatten sich Katholiken, die Irland und Nordirland gerne wiedervereinigt sähen, und probritische Protestanten verlustreiche Kämpfe geliefert, Tausende ließen ihr Leben. Die Geschichte soll sich nicht wiederholen, aber die Gefahr besteht.
Im April diesen Jahres wurde die Journalistin Lyra McKee bei gewaltsamen Ausschreitungen in der nordirischen Stadt Londonderry getötet. Verantwortlich war die New IRA, die aus der alten Terrororganisation IRA (Irish Republican Army) hervorging und eine Wiedervereinigung mit Irland anstrebt. „Ein Versehen“ sei die Tötung gewesen, teilte die New IRA mit, weil McKee „neben feindlichen Kräften“ gestanden habe.
Nordirland ist generell geteilt, auch im Sport
„Generell tickt die große Mehrheit vernünftig, keiner will in die Steinzeit zurück und nochmal die Gewalt erleben, die früher mal geherrscht hat. Der Wunsch nach Frieden steht über allem“, sagt Vaupel. „Bei der Trauerfeier für Lyra McKee hat der Priester deutliche Worte gewählt. Die Menschen haben konfessionsübergreifend applaudiert.“
Nur trägt das Brexit-Spielchen kaum zu mehr Stabilität bei. Das Vertrauen in die Politik schwindet, die Verdrossenheit steigt. „Den Leuten auf der Straße reicht es. Denen ist der Ausgang mittlerweile fast egal, Hauptsache, das Thema hat sich bald erledigt“, sagt Vaupel. Doch die Lage ist verworren. „Die pro-irischen Bewegungen und die Nationalisten, die Nordirland und Irland gerne wiedervereinigt sehen würden, sind pro EU. Andererseits besteht ein kleiner Funken Hoffnung, dass bei einem Brexit beide irischen Teile wieder zusammenwachsen“, erklärt Vaupel.
Das Land sei generell geteilt, auch im Sport. Die Gälischen Sportarten wie Gaelic Football oder Hurling spielen quasi nur die pro-irisch-nationalistischen Schichten. Fußball spielen zwar alle, allerdings identifizieren sich die katholischen Nordiren mit der Nationalelf Irlands.
„Das nordirische Team wurde ganz lang nur von den Unionisten unterstützt“, sagt Vaupel. Die Bilder der feiernden nordirischen Fans, die bei der EM 2016 den Hit „Will Grigg’s on fire“ sangen, waren auch deshalb so schön und erfrischend, weil es lange wenig zu feiern gab. Weder auf dem Platz, wo außer dem legendären George Best kaum ein nordirischer Fußballer brillierte, noch außerhalb. „Es ging auch beim Fußball um Politik. Katholische Spieler im Team wurden angefeindet“, sagt Vaupel.
Der Brexit hat die Politik wieder in den Sport zurückgebracht. Neben den ethnischen Fragen gibt es auch ganz praktische. Die wichtigsten betreffen die Arbeitserlaubnis für ausländische Fußballprofis und die Regelung für Nachwuchsspieler. Bislang konnten beispielsweise 16- bis 18-Jährige Fußballer mühelos nach Großbritannien wechseln. Das könnte bei einem EU-Austritt deutlich schwieriger werden, weil die von der EU garantierten Rechte und Ausnahmeregelungen für minderjährige Fußballer erstmals wegfielen.
Entsprechend schwierig könnte es für britische Klubs werden, Nachwuchstalente zu verpflichten. „Die Premier League würde kaum noch Nachwuchsspieler aus dem EU-Raum verpflichten können, auch könnte es negative Auswirkungen auf Vermarktung und Sponsoring nach sich ziehen“, sagt St. Paulis Geschäftsführer Andreas Rettig. Zumindest, wenn der Brexit ohne Deal abgewickelt würde, droht dem britischen Fußball ein hartes Los. „Ich denke aber, dass es einen Sonderstatus für den britischen Fußball geben könnte“, sagt Rettig. So genau weiß das im Moment aber keiner.