England nach dem 1:1 gegen Russland: Wie billiger Korn von der Tankstelle
England begeistert phasenweise gegen Russland. Am Ende aber blieb nur Enttäuschung - und Unverständnis über Trainer Roy Hodgson.
Das erste Gruppenspiel hatte die Schlussszenen eines Finales. Die englischen Spieler lagen auf dem Boden, zogen sich die Trikots über den Kopf, während selbst die russischen Ersatzspieler auf den Rasen sprinteten und Jubeltrauben bildeten. Der späte Ausgleich zum 1:1 fühlte sich für sie wie ein Sieg an, England hingegen musste sich mehrmals heftig schütteln.
Eric Dier hielt in den Katakomben die Trophäe des „Man of the match“ in der Hand, als hätte ihm jemand zum Geburtstag eine billige Kornflasche von der Tankstelle mitgebracht. Der Torschütze zum 1:0 appellierte aber trotz aller Niedergeschlagenheit gleich daran, dem Team weiter Vertrauen entgegen zu bringen. „Wir dürfen jetzt nicht auf dem Boden liegen nach so einem Spiel. Wir haben viel richtig gemacht und müssen einfach in der ersten Halbzeit mehr Tore schießen.“
Tatsächlich spielte die englische Elf im ersten Durchgang voller Esprit auf, als würden sie eine neue Stilform der Insel prägen: Pass and rush. Raheem Sterlings Dribblings und Tricks funktionierten auf links, während auf der rechten Seite Außenverteidiger Kyle Walker wie aufgedreht wirbelte. Nach einer halben Stunde hatte England eine Fülle von Torchancen und 63 Prozent Ballbesitz. Und dann war da noch der Auftritt von Wayne Rooney, der als Mann in der Zentrale ein ums andere Mal den Xabi Alonso in sich entdeckte.
In der dreizehnten Minute schallte zum ersten Mal das lange „oooo“ durchs Velodrom. Roo - ney, Roo - ney, riefen die englischen Fans. In der üblichen kämpferischen Anfeuerung steckte aufrichtige Verzückung. Wayne Rooney öffnete das Spiel mit einem langen Diagonalball auf die Außen, er ließ zwei weitere dieser mit der Genauigkeit eines Landvermessers getimten Pässe folgen. Rooney sagte nach der Partie: „Im ersten Durchgang hatten wir das Spiel klar in unserer Hand.“
„Vardy’s on fire – your defence is terrified“
Nach der Halbzeitpause allerdings agierte England passiver. So rückten die Außen nicht mehr weit mit vor, Kyle Walker pumpte Mitte des zweiten Durchgangs sogar mit den Händen in den Hüften. Sterling rannte sich zusehends fest, Stürmer Harry Kane kam häufig den entscheidenden Schritt zu spät. Rooney hatte noch einen Lattentreffer, musste den Platz aber in der Schlussphase verlassen. Er konnte hinterher auch nicht erklären, warum der Trainer Roy Hodgson ihn auswechselte. „Ich weiß es nicht, ein Fitnessproblem hatte ich jedenfalls nicht.“ Ebenso überraschend ließ der Trainer den Durchstarter Jamie Vardy auf der Bank.
Die Führung durch einen durchaus haltbaren Freistoß von Dier schienen die Engländer zunächst über die Zeit zu bringen, bevor sie sich kurz vor Schluss von einem langen Ball in den Strafraum überrumpeln ließen. „Wir sind eine junge Mannschaft, da kommen solche Momente und solche kleinen Fehler vor“, sagte Torschütze Dier entschuldigend. „Wir müssen weitermachen und die Spiele genießen.“ Sein Optimismus war nicht gespielt. Die Youngster von der Insel haben trotz des Punktverlusts Eindruck hinterlassen – ebenso wie Rooney in seiner Rolle als Mittelfeldlenker.
Englands Mannschaft bleibt eine der spannendsten des Turniers. Auch weil sie noch einen Spieler in der Hinterhand hat, den die Fans schon mitten im Spiel lautstark forderten. Sie dichteten einen Gesang der Nordiren um: „Vardy’s on fire – your defence is terrified“. Vardy brennt, eure Abwehr hat Angst. Am Donnerstag erwartet England Wales - und Vardy.