Liverpool-Triumph in Madrid: Wie aus Jürgen Klopp „the Perfect One“ wurde
Der Triumph des FC Liverpool in der Champions League ist eng verbunden mit Jürgen Klopp. Dabei hatte der deutsche Trainer zuletzt nicht nur Fürsprecher.
Das Video, das in der Nacht von Samstag auf Sonntag in Madrid aufgenommen wurde, kam einem bekannt vor. Darauf zu sehen waren unter anderem der Fußballtrainer Jürgen Klopp und der Altpunk Campino. Die beiden sangen und hüpften. Das hatten sie auch vor einem Jahr getan, in Kiew. Aber der Unterschied war: Damals hielten sie nicht diesen riesigen Henkelpott in den Händen, als sie intonierten: „Madrid had all the fucking luck. We swear we keep on being cool. We’ll bring it back to Liverpool.“
Dieses Mal handelte der Song nicht von einem verdammt glücklichen Gegner und auch nicht von der Versprechung, den Pokal nach Liverpool zu holen. Die beiden sangen: „We brought it back to Liverpool. Because we promised we will do.“ Sie hatten also ein Versprechen eingelöst, Jürgen Klopp hatte ein Versprechen eingelöst.
Der 51-Jährige gewann am Samstagabend mit dem FC Liverpool den bedeutendsten Titel, den es im europäischen Klubfußball gibt, die Champions League. Im Finale in Madrid besiegte Liverpool in einem englischen Duell Tottenham Hotspur 2:0 (1:0). „Es fühlt sich richtig gut an, aber ich selbst bin deutlich ruhiger, als ich das von diesem Moment immer erwartet habe“, sagte der gebürtige Schwabe nach seinem größten sportlichen Erfolg. Seine Mannschaft sollte anschließend noch bis 6.15 Uhr feiern. „Ich bin aber ein bisschen früher gegangen“, sagte Klopp.
Schon während des Spiels war Klopp weniger impulsiv aufgetreten, als man das bisweilen von ihm kennt. Gut möglich, dass dies an einem – euphemistisch ausgedrückt – merkwürdigen Spiel lag. Liverpool ging durch ein – weniger euphemistisch ausgedrückt – recht dummes Handspiel in Führung. Nach 23 Sekunden streckte Tottenhams Moussa Sissoko seinen rechten Arm im Stile eines Verkehrspostens aus. Sadio Manés Flanke hatte wenig Möglichkeiten, woanders zu landen als an Sissokos Arm. Nachdem Mohamed Salah den fälligen Elfmeter ins Tor gedroschen hatte, sahen die rund 63 000 Zuschauer im Madrider Metropolitano-Stadion ein ausgesprochen unansehnliches Fußballspiel.
Das mochte daran gelegen haben, dass die beiden Mannschaften drei Wochen kein Pflichtspiel mehr bestritten hatten. Das Einzige, was klappte, war nicht schön anzuschauen: Liverpools beispiellose Art, den Gegner zu attackieren, wenn dieser in Ballbesitz ist. Tottenham war lange Zeit überfordert damit. Erst am Ende des Spiels kamen die Londoner gegen eine enttäuschende Liverpooler Mannschaft zu großen Torchancen, die sie im Gegensatz zum eingewechselten Divock Origi (87. Minute) nicht nutzten.
So passte es nicht richtig zusammen, dass Klopp, dessen Fußball aus Emotion, Attraktivität und einem Schuss Drama besteht, seinen größten Titel in einem derart ereignisarmen Spiel holte. Doch der Eindruck des Finales wird nicht das sein, was bleiben wird von der Saison des FC Liverpool und auch von dem Wirken des Trainers Klopp.
Klopp schlug Missgunst entgegen
Was war nicht alles über ihn geschrieben und gesagt worden in den vergangenen Wochen und Monaten. Klopp hatte noch jede Mannschaft innerhalb weniger Monate sehr schnell nach oben gebracht. Zunächst Mainz 05, dann Borussia Dortmund und schließlich den FC Liverpool. Doch das vorherrschende Thema waren sechs Finalspiele in Folge, die Klopp vor dem Triumph am Samstag verloren hatte. Klopp, ein guter Trainer, aber keiner für die ganz großen Erfolge – das war häufig die Lesart. Woher sie kam? Schwer zu sagen.
Vielleicht war ein Schuss Missgunst dabei. Es gab und gibt ja kaum etwas auszusetzen an ihm. Vielleicht verstört das. Klopp ist erfolgreich, unterhaltsam und unverstellt. Er verhält sich immer noch so wie zu Beginn seiner Trainerlaufbahn in Mainz, als er in der Zweiten Liga gegen Teams aus Duisburg oder Bielefeld antreten musste. Dabei leitet er inzwischen einen der teuersten Spielerkader der Welt an. Klopp hebt nicht ab, wie es zum Beispiel der Portugiese José Mourinho tut. Er kommt nicht pedantisch-nerdig rüber wie seine Trainerkollegen Pep Guardiola oder der Deutsche Thomas Tuchel.
Auch am Samstag machte Klopp beneidenswert vieles richtig. Mit der Einwechslung des Torschützen Origi bewies er ein gutes Händchen. Und als das Spiel vorbei war, fiel sein Jubel wohl auch deshalb moderat aus, weil er weiß, wie sich Niederlagen in großen Spielen anfühlen. Zumal er vermutlich ahnte, dass nach dem Spiel die neunmalklugen Fragen auf den gegnerischen Trainer Mauricio Pochettino zukommen würden, vor allem die eine: Warum brachte dieser den Stürmer Harry Kane von Beginn an? Der englische Nationalspieler hatte zuvor fast zwei Monate wegen einer Knöchelverletzung pausieren müssen. Und das war ihm anzumerken, Kane war ein Fremdkörper auf dem Platz. In der ersten Hälfte hatte er gerade mal elf Ballkontakte, Pochettino wechselte ihn trotzdem nicht aus.
„Meine Entscheidung war sehr analytisch und ich habe sie auf der Basis aller meiner Informationen getroffen. Ich bereue diese Entscheidung nicht“, verteidigte sich Pochettino. Kane habe zwar nicht getroffen. „Aber er war am Ende immer noch frisch.“ Der argentinische Trainer, so war schon vor dem Finalduell spekuliert worden, steht vor einem Vereinswechsel. „Das ist nicht der Moment, um über die Zukunft zu sprechen“, sagte er. Denn wenn er das jetzt täte, würde das wieder nur in alle möglichen Richtungen interpretiert.
Und die Zukunft von Jürgen Klopp? Sie liegt weiter in Liverpool. Das machte er schon kurz nach dem Finale in Madrid deutlich. „Ich hatte gerade Pep Guardiola am Telefon“, erzählte er. „Wir haben uns versprochen, uns auch nächste Saison wieder gegenseitig in den Hintern zu treten.“ Klopp wird das auch in der kommenden Spielzeit mit dem FC Liverpool tun wollen, dem Klub, der nach seinem Champions-League-Sieg im Jahr 2005 mehr und mehr abgehängt wurde von der Konkurrenz – bis er im Jahr 2015 Klopp verpflichtete.
Damals, die Pressekonferenz zählt zu einer der bekanntesten im englischen Fußball, stellte Klopp sich in Anlehnung an den extrovertierten José Mourinho alias „the Special One“ als „the Normal One“ vor. Das Gelächter war groß. Mal wieder hatte Klopp einen rausgehauen. Dabei war das im Grunde eine große Flunkerei. Jürgen Klopp ist kein normaler Trainer, er ist vermutlich der außergewöhnlichste, den es derzeit gibt. Man kann fast sagen: Klopp ist „the Perfect One“. (mit dpa)