Neuer Co-Trainer bei Hertha BSC: Wie Alexander Nouri das kurzlebige Fußballgeschäft erlebt
Dass sich das Trainerkarussell schnell dreht, musste Herthas neuer Co-Trainer Alexander Nouri selbst hautnah erleben. Wie fühlt sich das an?
Seit Mittwoch ist Alexander Nouri Co-Trainer unter Jürgen Klinsmann bei Hertha BSC. Im Januar haben wir Nouri getroffen – kurz nach seiner Entlassung beim FC Ingolstadt.
Leroy Rosenior hält einen traurigen Rekord. Der Engländer ist der Trainer mit der kürzesten Amtszeit Europas. Zehn Minuten stand er beim Fünftligisten Torquay United unter Vertrag. Während seiner ersten und einzigen Pressekonferenz verkaufte der Besitzer den Verein, die neuen Chefs entließen Rosenior sofort.
Nouri wurde nach 64 Tagen entlassen
Ganz so kurz war die Zeit von Alexander Nouri beim FC Ingolstadt nicht. Am 24. September 2018 stellte ihn der Zweitligist als neuen Cheftrainer vor. Doch schon 64 Tage später, am 26. November, wurde der 39-Jährige nach acht sieglosen Spielen beurlaubt. Ingolstadt war zu dem Zeitpunkt Tabellenletzter. Nouri zählt damit zu den Trainern mit der kürzesten Verweildauer in Deutschland.
„Gefühlt hatte ich gerade erst angefangen – und dann war es schon vorbei”, sagt Nouri heute. An einem Januartag sitzt er in der Lobby eines Hotels am Bremer Hauptbahnhof. Wenige Tage zuvor wurde André Breitenreiter bei Hannover freigestellt, Thomas Doll übernahm. In Bremen schneit es, Nouri bestellt einen Espresso. Trotz seines breiten Lächelns wirkt der Deutsch-Iraner nachdenklich. Es scheint, als habe er die Enttäuschung über die Entlassung verarbeitet.
Mit der Zusage unterschreibt man auch die Entlassung
Nouri, in Buxtehude geboren, ist zurück in Norddeutschland, lebt mit seiner Frau und zwei Kindern 20 Autominuten außerhalb von Bremen. Bei Werder hat er lange in der Nachwuchsabteilung gearbeitet. 2016 wurde er Cheftrainer und führte den Verein fast in die Europa League. Das Online-Portal „Transfermarkt.de“ kürte ihn zum Trainer der Saison. Nouri kann die Statistik der Rückrunde noch heute auswendig aufsagen: Elfmal ungeschlagen, neun Siege, zwei Unentschieden.
Die nächste Saison begann schwach und nach zehn sieglosen Spielen zu Saisonbeginn entließ ihn Werder im Oktober 2017. „Jeder Trainer wird sagen: Das gehört zum Geschäft dazu”, sagt Nouri.
Es wird ihnen auch früh beigebracht. An der Hennes-Weisweiler-Akademie, wo der DFB die Elite der Fußball-Lehrer ausbildet, hat Nouri 2016 mit Julian Nagelsmann (Hoffenheim) und Domenico Tedesco (Schalke) erfolgreich die Prüfung absolviert. „In unserem Jahrgang wurde der Satz geprägt: Wenn du deinen Vertrag unterschreibst, unterschreibst du mit der Zusage auch gleichzeitig deine Entlassung”, erzählt Nouri.
"Irgendwie haben alle das Prozedere akzeptiert"
Daniel Niedzkowski ist seit einem Jahr Leiter der Trainer-Akademie. Der 42-Jährige erklärt: „In ganz wenigen Fällen bleibt der Trainer sehr lange, in ebenso wenigen Fällen geht er aus eigenen Stücken. Die Regel ist: Ein Trainer nimmt einen Job an und wird irgendwann entlassen. Das ist das gängige Prozedere und irgendwie haben es alle akzeptiert.“
Sogar die Wettanbieter machen mit: „Bet3000“ bietet an, Geld auf die Entlassungen der Trainer zu setzen. „Profitiere jetzt vom schnelllebigen Geschäft im Oberhaus des deutschen Fußballs und sichere dir fantastische Quoten auf die exklusive Trainerwette“, wirbt das Unternehmen.
Statistisch sind Trainerwechsel sinnlos
Dabei kamen verschiedene Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass Trainerwechsel für den Erfolg einer Mannschaft statistisch wirkungslos sind: Sowohl in der Premier League, der Bundesliga und der Primera Division änderte sich, mit wenigen Ausnahmen, langfristig nichts an der Punkteausbeute.
Trotzdem kann Niedzkowski die Vereine, für die ein Abstieg eine große wirtschaftliche Bedrohung darstellen kann, auch verstehen: „Für sie steht sehr viel auf dem Spiel. Da passiert das häufig reflexartig: Die Mannschaft wechseln können wir nicht, dann wechseln wir eben den Trainer. Weil aber oft von Beginn an die echte Überzeugung fehlt, sind schnelle Trennungen nur die traurige, aber logische Konsequenz.“ Da nehmen es die Vereine sogar in Kauf, sowohl für den entlassenen als auch für den neuen Trainer das Gehalt zu bezahlen. Beim Hamburger SV standen im Herbst 2018 zeitweise vier Trainer unter Vertrag und bekamen Gehalt.
Mutig gegen den Tabellenersten
Immerhin kann es in den ersten Wochen zu einer höheren Einsatzbereitschaft der Spieler kommen, weil sich alle neu beweisen müssen – „so lange, bis das erste Mal die Namen für die Aufstellung auf der Flipchart stehen“, sagt Niedzkowski. Dieser sogenannte „Trainer-Effekt“ zahlte sich bei Nouri nicht in Punkten aus. Er verlor die drei Spiele zu Beginn alle mit 1:2. Das war bei den ersten beiden Gegnern fast zu erwarten: Der 1. FC Köln war Tabellenerster, der 1. FC Union Tabellenzweiter.
Nouri entschied sich gegen die Herangehensweise manch anderer Trainer, solche Spiele vom Interimstrainer leiten zu lassen, um nicht mit einem Negativerlebnis zu starten. „Meine Überzeugung war: Wenn ich das annehme, dann springe ich sofort rein und will Mut vorleben“, sagt er.
Zweite Liga mit erstklassigem Druck
Ein Trainer steht nach einem Wechsel schon beim ersten Spiel unter Erfolgsdruck. „Es werden sofort Resultate erwartet, obwohl die längst nicht immer realistisch sind“, sagt Niedzkowski. Besonders in der Zweiten Liga muss es schnell gehen. Während in der Bundesliga aktuell neun von 18 Trainern schon länger als anderthalb Jahre im Amt sind, sind es eine Liga darunter nur noch drei. Ob dieser Klassenunterschied an der Qualität der jeweiligen Entscheidungsträger oder einer ligaspezifischen Eigendynamik liegt, ist unklar.
„Natürlich wird das Geschäft immer schnelllebiger”, sagt Alexander Nouri. Schnelle Trainerentlassungen hat es zwar immer gegeben, Robert Körner flog 1968 nach 18 Tagen bei Nürnberg raus. Doch der allgemeine Trend gibt Nouri recht. Die aktuelle Verweildauer eines Trainers in der Bundesliga liegt bei durchschnittlich etwa 1,2 Jahren. 2000 waren es noch drei Jahre, wie der „kicker“ berechnete.
Schnelle Gesellschaft, schnelle Wechsel
Vieles spricht dafür, dass die schnelleren Zyklen Teil einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung sind. Nicht nur im Fußball fehlt häufig die Geduld. Auch in anderen Bereichen wirkt es, als würden Entscheidungen, begünstigt durch den digitalen Fortschritt, immer schneller getroffen. Von einer „Beschleunigung des sozialen Wandels“ spricht der Soziologe Hartmut Rosa. „Es ist ein strukturelles, gesellschaftliches Problem“, sagt er in einem „Zeit“-Interview, „wir fühlen uns dadurch ständig gehetzt.“
Nouri kennt es aus seinem Alltag: „Wir mussten früher eine Woche warten, bis eine neue Folge von Colt Seavers rauskam. Heute ist zu jeder Zeit alles verfügbar. So soll das auch mit Erfolgen im Fußball sein.“ Er sieht dadurch eine stärkere Entwicklung zur „extremen Ergebnisorientierung“ und vermisst bei Vereinen die Geduld und Überzeugung, „etwas reifen zu lassen“. Gerne hätte er länger als die neuneinhalb Wochen in Ingolstadt gearbeitet.
Aber der Verein glaubte nicht mehr an ihn. „Nach den ausbleibenden Erfolgserlebnissen sahen wir uns zum Handeln gezwungen“, sagte Geschäftsführer Harald Gärtner im November 2018. Jens Keller wurde neuer Trainer. Fünf Spieltage später ist Ingolstadt noch immer Tabellenletzter.
"Troubleshooting mit viel Hoffnung als Lösung aus Überzeugung"
Trainer-Ausbilder Niedzkowski, der auch Co-Trainer der deutschen U 21 ist, weist bei solch schnellen Entlassungen auf die Verantwortung des Vereins hin: „Wenn ein Entscheidungsträger in einem Verein nach acht Wochen sagt, dieser Trainer ist nicht der Richtige, dann muss er sich eingestehen, dass er eine falsche Entscheidung getroffen hat.“
Die langfristige Leistung eines Trainers lasse sich nicht nach acht Wochen beurteilen, die kurzen Amtszeiten sieht er kritisch: „Ich habe den Eindruck, dass es oft mehr ein Troubleshooting mit viel Hoffnung ist als eine Lösung aus Überzeugung.“
Nouri ist bereit für die nächste Chance
Nouri ist einer der Leidtragenden des schnellen Geschäfts. Weil ein Umdenken bei den Vereinen aber nicht abzusehen ist, könnte er davon sogar wieder profitieren – wenn ein anderer Trainer entlassen wird und Nouri wieder gefragt ist. Er sagt zwar: „Natürlich war die schnelle Entlassung kein Bewerbungsschreiben für eine Reputation.“ Doch er habe viele Erfahrungen sammeln können: „Das Leben schreibt ja die Geschichten, dass du aus so was manchmal mehr lernst, als wenn du Pokale gewinnst.“
Der Trainer will bereit sein, wenn sich eine neue Chance bietet. „Ich weiß, dass ich jederzeit einen Bundesliga- oder Zweitliga-Verein trainieren kann, weil ich es schon gezeigt habe.“ Die freie Zeit nutzt er, um sich fortzubilden, er hospitierte zum Beispiel bei Athletic Bilbao Vor Kurzem leitete er eine DFB-Akademie für Kinder in den USA.
Ein anderes Berufsfeld kann er sich zurzeit nicht vorstellen. „Diese Emotionalität wirst du in keinem Bürojob bekommen“, sagt Nouri, „ein Café aufmachen, das könnte ich nicht.“ Vom Bremer Hauptbahnhof fährt er direkt zurück zu seiner Familie. Für die hat er gerade auch mehr Zeit.