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Jeder sollte seine Grenzen kennen. Dann läuft es besser.
© dpa/Kästle

Kolumne: So läuft es: Wer läuft, lernt Gelassenheit

Nur wer akzeptiert, dass der Körper seine eigene Dynamik hat, bei dem entfaltet sich das Gefühl von Gelassenheit. Das hat unser Kolumnist beobachtet.

Es gibt so viele Gründe, die fürs Laufen sprechen. Die meisten sind bekannt. Wer aber richtig läuft, kann sogar Gelassenheit lernen. Wenn der Druck im Alltag steigt, machen die Menschen komische Sachen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Yoga zum Beispiel. Oder sie meditieren. Oder sie legen sich bei einem Therapeuten auf die Couch. Kann man machen, keine Frage. Am besten ist es, den Dingen auf den Grund zu gehen und sich die Frage zu stellen: Was genau fehlt mir eigentlich, um dem Alltagsdruck und Stress zu entfliehen, um damit besser klarzukommen? Die Antwort ist in einem Wort zu finden: Gelassenheit. Es fehlt uns oft an Gelassenheit. Und wir tun oft nahezu alles dafür, für ein bisschen mehr gefühlte Gelassenheit.

Das Laufen verschafft Ihnen dieses Gefühl. Alleine deshalb lohnt es sich, einfach loszulaufen. Und so geht es: Wer regelmäßig läuft, wird feststellen, dass Körper und Geist täglich in anderer Verfassung sind. Laufen Sie einmal dieselbe Strecke an mehreren Tagen hintereinander. Sie werden die Strecke mal langsamer, mal schneller laufen. Mal wird es Ihnen sehr leicht fallen, mal werden Sie bereits nach der Hälfte der Strecke gefühlt Schnappatmung bekommen. Wenn Sie diese Schwankungen einfach zulassen, wenn Sie akzeptieren, dass der Körper seine eigene Dynamik hat, entfaltet sich das Gefühl von Gelassenheit. Dafür ist es wichtig, dass Sie nicht mit Gewalt doch Ihre gesteckten Laufziele verfolgen und erfüllen müssen. Sie lernen, in den Körper hineinzuhören, der Gelassenheit eine Chance zu geben.

Mit Gelassenheit erreicht man oft mehr

Manchmal liegen die Rezepte für mehr Gelassenheit übrigens auch einfach auf der Laufstrecke. Seit einigen Monaten beobachte ich eine ältere Dame, die ihr Enkelkind im Kinderwagen durch Wind und Wetter schiebt. Dabei baumelt stets am Griff des Kinderwagens eine Tüte. Oft ist sie bereits bis zum Überlaufen voller Abfall. Immer wieder schlägt sich die alte Dame in den Wald oder hebt am Wegesrand Dosen, Plastikverpackungen, alte Taschentücher und anderen Unrat mit bloßen Händen auf. Seit längerer Zeit beobachte ich sie dabei. Ich habe sie nie darauf angesprochen, doch jedes Mal gedacht: Respekt! Mit was für einer Konsequenz sie mit einfachen Mitteln etwas für die Umwelt tut. Respekt. Und immer lächelt sie dabei. Und strahlt dabei eines aus: Gelassenheit.

Gestern habe ich sie angesprochen, und ihr gesagt: „Wissen Sie, wir kennen uns nicht. Wir lächeln uns nur oft an. Und ich muss es Ihnen jetzt einmal sagen: Danke! Danke, dass Sie mit unglaublicher Disziplin immer wieder unseren Wald aufräumen. Regt Sie es nicht manchmal auf, dass immer wieder Sachen einfach weggeschmissen werden?“ „Wissen Sie, mit Gelassenheit erreicht man oft mehr. Manchmal muss man den Dingen mit Demut begegnen, das erdet. Aber herzlichen Dank für Ihr Lob. Ich mach das aber gerne“, entgegnete die Dame. Alleine ihre ruhige und gelassene Art habe ich wie ein Schwamm aufgesogen. Und bin mit Gelassenheit in den Morgen gelaufen. Wer läuft, lernt Gelassenheit. Man muss nur genau hinsehen. So läuft es.

- Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt hier an jedem Donnerstag übers Laufen.

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