zum Hauptinhalt
Marie Tietze nimmt die Kontrollen gerne auf sich, um den Sport sauber zu halten.
© IMAGO / Beautiful Sports

Kolumne - Mein Weg nach Tokio: Wenn früh morgens die Dopingkontrolleurin klingelt

Unsere Kolumnistin Maria Tietze öffnet gern die Tür zur Dopingkontrolle – auch um 6.20 Uhr.

Am 24. August sollen die Paralympischen Spiele in Tokio beginnen. Mit am Start wird die Berlinerin Maria Tietze sein. Die inzwischen 31-Jährige begann einst mit dem Fußball als Sportlerin und ist nach einem Unfall und einer Amputation am linken Unterschenkel nun Paralympionikin. An dieser Stelle erzählt die Sprinterin und Weitspringerin monatlich über unterschiedliche Wege nach Tokio.

Ding dong. Ich schrecke hoch. Völlig verschlafen frage ich mich, welcher Paketdienst halb in der Nacht ausliefert. Was kann denn so wichtig sein, dass man Kunden weckt. Ding dong. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass es 6.20 Uhr ist. Nein, das kann kein Paket voller Schuhe oder Kleidung sein. So langsam fährt mein Gehirn hoch. Ich habe kürzlich auch gar nichts bestellt.

Ding dong. Jetzt klingelt es auch bei mir. Ich springe aus dem Bett und nehme mir nicht mal mehr die Zeit meine Prothese anzuziehen. Schnell hüpfe ich zur Wohnungstür und murmle ein „Ja?“ in die Gegensprechanlage. Mein später Verdacht bestätigt sich: Dopingkontrolle.

Ich warte also an der Wohnungstür auf die Kontrolleurin der Nada, der Nationalen Anti Doping Agentur. Sie ist, im Gegensatz zu mir, gewohnt in aller Herrgottsfrühe zu arbeiten, flötet mir ihren Namen entgegen und weist sich aus. „Sind Sie mit einer Dopingkontrolle einverstanden?“ Natürlich bin ich das. Von nun an, wird jeder meiner Handgriffe beobachtet.

Zum Glück ist die Wohnung so klein, dass sie nicht mal direkt neben mir gehen muss, um alles zu sehen. Bevor wir den nötigen Papierkram machen, hole ich meine Prothese und befreie die Nachbarn unter uns von meinem Gehüpfe. Ob sie wohl nun auch unfreiwillig wach geworden sind? Dieser Besuch ist Teil des Doping-Kontroll-Systems. Hierbei geht es um Kontrolle, aber mehr noch um Prävention und Aufklärung.

[Mehr guten Sport aus lokaler Sicht finden Sie – wie auch Politik und Kultur – in unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken. Hier kostenlos zu bestellen: leute.tagesspiegel.de]

„Es ist Donnerstag der 13. Juli 1967. Die Fahrer der Tour de France müssen einen dieser berüchtigten Berge überwinden. Darunter einer der Favoriten: Tom Simpson aus England. Bei über 40 Grad im Schatten kämpft er am Mont Ventoux nicht nur gegen seine Gegner, gegen 1600 Meter Höhenunterschied und bis zu elf Prozent Steigung: Auch ein Cocktail aus Alkohol und Amphetaminen in seinem Körper macht ihm zu schaffen.

Auf den letzten Kilometern kann er sich kaum noch im Sattel halten. Anderthalb Kilometer vor dem Gipfel fällt er wie in Zeitlupe mit seinem Rad um. Als das Ärzteteam bei ihm eintrifft, ist es zu spät. Herzmassage und Mund-zu-Mund-Beatmung können Simpson nicht mehr retten.

Das Internationale Olympische Komitee musste handeln. Nach dieser Tragödie wurde eine Kommission gegründet, die überprüfen sollte, ob Sportlerinnen und Sportler verbotene Substanzen zu sich nehmen – das Ergebnis lautete leider zu häufig: Ja. 1968 wurden deshalb die ersten Dopingkontrollen bei Olympischen Spielen durchgeführt.“ (www.gemeinsam-gegen-doping.de)

Das System wurde seither stetig weiter entwickelt und mittlerweile werden also auch rezeptfreie Hausbesuche angeboten. Bei mir steht an diesem Morgen eine Urinprobe an. Das Prozedere schreibt vor, dass die zu testende Person dabei nicht allein bleibt. Zum Glück bin ich eben erst aufgestanden und werde wohl auf Toilette gehen können.

Ist dem nicht so, kann man sich im Extremfall auf ein paar lauschige Stunden mit der Kontrolleurin einstellen. Denn der Urin muss auch eine bestimmte Dichte aufweisen. Nun einfach literweise Tee in sich rein zu schütten, ist also leider auch nicht förderlich. Und wirklich, wenn ich nicht unsanft geweckt werde, dauert auch die Sache mit der Probenabgabe eher lang.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können]

Ich verstehe die Leute einfach nicht, die quasi auf Kommando Wasser lassen können. Ja, als kleines Kind waren eine Freundin und ich auch oft gemeinsam auf Toilette. So musste man das Spiel ja nicht unterbrechen. Aber irgendwann hörte das auf. Auch bei Feiern kann ich gar nicht mehr verstehen, warum Frauen so oft im Doppelpack zum stillen Örtchen pilgern. Wirklich, warum? Sobald jemand vor der Tür auf mich wartet, geht einfach nichts mehr.

Ziemlich ungünstig, wenn diese Person nicht nur vor sondern in der Tür steht. Man gewöhnt sich an alles, oder? Irgendwann, hoffentlich. Wenn die Becher der A- und B-Probe voll genug sind, werden sie versiegelt und im Labor untersucht. Ab dem Moment, in dem die Kontrolleurin mit den beiden Bechern meine Wohnung verlässt, höre ich nichts mehr davon. Denn nur im Falle eines Dopingnachweises meldet die NADA sich zurück. Schweigen ist also Gold.

Es macht nicht alles Spaß, aber so eine Dopingkontrolle dient dazu den Sport sauber und fair zu halten, deshalb bin ich gern dabei.

Maria Tietze

Zur Startseite