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Wie war das mit der Vorbildfunktion? In der Bundesliga ist der Umgangston oft rau - wie hier bei Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann.
© Jan Woitas/zb/dpa

Umgang mit Fußball-Schiedsrichtern: Wenn die Profis schlechte Vorbilder sind

Verbale und körperliche Gewalt gegen Schiedsrichter ist nicht erst seit dem Streik in Berlin ein großes Thema. Nicht nur im Amateurfußball fehlt es an Respekt.

Schiedsrichter streiken, werden geschlagen und angebrüllt. Ohne Unparteiische geht es nicht im Fußball, da sind sich alle einig. Der Umgang mit den Schiedsrichtern lässt aber zu wünschen übrig – und das nicht nur im Amateurbereich. Daher steht dieser Tagesordnungspunkt auch ganz weit oben, wenn sich die Obleute und Lehrwarte aus den Landesverbänden am Wochenende bei einer DFB-Tagung in Frankfurt am Main treffen. Was tun gegen die verbalen und körperlichen Attacken, denen die Referees im Amateurfußball zunehmend ausgesetzt sind? Ganz unten ansetzen bei den Kindern und Jugendlichen, rät der Philosoph und Sportwissenschaftler Gunter Gebauer. Und: ganz oben. „Die Bundesliga ist ein schlechtes Vorbild. Man sieht ja öfter, wie Trainer und sogar Nationalspieler die Schiedsrichter anschreien“, sagt der 75-Jährige Berliner.

Der jüngste Fall, als im südhessischen Kreisliga-Spiel FSV Münster - TV Semd der 22-Jährige Unparteiische bewusstlos geschlagen und mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht wurde, hat bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. „Es war nicht nur ein Angriff auf mich als Schiedsrichter. Das war ein Angriff auf unseren Amateurfußball“, sagt das Opfer. In Berlin streikten die Schiedsrichter, weil sie endlich mal ein Zeichen setzen wollten gegen die Verrohung der Sitten.

Profis werden Vorbildfunktion nur selten gerecht

Simon Henninger ist - bei einem Jugendspiel - auch schon mal so verprügelt worden, dass er danach mit einer Gehirnerschütterung in der Klinik lag. Das Schmerzensgeld von 1000 Euro hat er der Schiedsrichtervereinigung Maintaunuskreis gespendet. Der 19-Jährige Student aus Bad Soden pfeift längst wieder, inzwischen in der siebten Liga. Für 30 Euro pro Partie, plus Fahrtgeld. Außerdem engagiert er sich im Kreisschiedsrichter-Ausschuss. Die neue öffentliche Debatte um die Sicherheit der Spielleiter verfolgt er natürlich aufmerksam.

„Mir wird dabei zu wenig lösungsorientiert diskutiert. Es ist megaschade, dass man Spieler, Trainer und Schiedsrichter nicht als eine Fußball-Gesellschaft sieht, dass nicht alle an einem Strang ziehen“, sagt Henninger. Er betrachtet auch das Verhalten der Profis als eine Ursache des Dilemmas. Das ewige Schimpfen und Protestieren, die Schwalben, das Zeitspiel, sich nach harmlosen Remplern am Boden wälzen - all das wird den Kickern aus den unteren Ligen jede Woche im Fernsehen vorgeführt. „Was da passiert, wird nach unten durchgereicht“, sagt Henninger.

Den Verantwortlichen in den oberen Ligen wissen sehr wohl um ihre Rolle, bloß: Es ändert sich nichts. „Da müssen wir alle dran arbeiten, dass wir uns diese Vorbildfunktion viel, viel bewusster machen müssen“, sagt Trainer Dieter Hecking vom Hamburger SV. Doch als zur neuen Saison die Gelben und Roten Karten für Trainer und Betreuer eingeführt wurden, war das Geschrei groß - zuletzt auch bei Rot-Sünder Marco Rose, dem Chefcoach von Borussia Mönchengladbach.

Vom Handball lernen

Hessens Innen- und Sportminister Peter Beuth (CDU) wünscht sich, „dass der Respekt gegenüber unseren Schiedsrichtern auch in der Bundesliga vorgelebt und vom DFB eingefordert wird“. Jung-Schiri Henninger vermisst „eine vernünftige Fehlerkultur“ - bei allen Beteiligten. „Auf dem Platz sehen viele überhaupt nicht ein, dass der andere Fehler machen darf.“ Er sagt aber auch: „Viele Schiedsrichter sehen sich nicht als Spielleiter, sondern als Richter.“

Simon Henninger wurde schon einmal Opfer von Gewalt auf dem Fußballplatz.
Simon Henninger wurde schon einmal Opfer von Gewalt auf dem Fußballplatz.
© Fabian Sommer/dpa

Der junge Unparteiische sieht die Entwicklung zudem im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang - man höre und lese ja, wie mitunter mit Rettungssanitätern oder Polizisten umgegangen wird. „Der Breitensport spiegelt die Gesellschaft wider. Und da geht es leider in die falsche Richtung“, sagt der Grünen-Politiker Cem Özdemir. Funktionäre verweisen gern darauf, dass der Fußball eben nicht besser als sei die Gesellschaft. Für den Philosophen und Sportwissenschaftler Gunter Gebauer ist das „das hilfloseste Argument“.

Im Handball oder im Rugby funktioniere es ja, dass Spieler, Trainer und Betreuer ohne Proteste die Entscheidungen der Schiedsrichter hinnehmen. Bei der DFB-Tagung werden nun die Haupt- und Ehrenamtlichen mit dem Deutschen Handball-Bund über „Synergieeffekte“ sprechen. „Der Fußball hat in meinen Augen ein tief gehendes Disziplinproblem“, sagt Axel Kromer, DHB-Vorstand Sport und Leiter der Schiedsrichter-Kommission. Vom Handball lernen. Wenn der Schiedsrichter pfeift: Ball für den Gegner auf den Boden legen. Weiter geht's! „Grummeln können sie ja trotzdem“, sagt Kromer.

Der DFB tut zu wenig

„Der DFB kommt seiner Verpflichtung zur Erziehung sehr selten nach“, kritisiert Gebauer. Der 75 Jahre alte Berliner verweist auf überehrgeizige Eltern am Spielfeldrand, auf Trainer, die sich wie wild gebärden und auch auf überforderte Referees, die oft nicht einmal Linienrichter haben, die sie unterstützen. Auf ein Publikum, bei dem unangenehme Sprüche zum Umgangston gehören.

Es ist nicht so, dass der DFB nichts dagegen tut - aber offensichtlich zu wenig. Der Verband wirbt um und für seine Spielleiter mit Aktionen wie „Danke Schiri“. Für die ganz Kleinen wurden massig grüne Karten gedruckt, die sie vor dem Anpfiff zeigen können. „Fair bleiben, liebe Eltern“ steht darauf. Auf der Rückseite sind Sprüche zu lesen wie „Danken statt Zanken“, „Loben statt Toben“ und „Vorbild statt fuchsteufelswild“.

Die Spitzenreferees solidarisierten sich in einem Video (Fifa-Spielleiter Felix Brych: „Wir Schiris stehen zusammen“) mit den Amateur-Referees. „Wir lassen Sie nicht allein“, versicherten die Verbandsoberen um DFB-Präsident Fritz Keller in einem Brief an die Unparteiischen landauf, landab. Von den Staatsanwaltschaften und der Polizei wünsche man sich „mitunter einen größeren Ermittlungseifer, wenn es um Straftaten auf dem Fußballplatz geht“.

Für Funktionäre, die an der Basis darum kämpfen, Schiedsrichter bei der Stange zu halten, ist das nicht genug. „Ich erwarte Handlungsempfehlungen und dass es einen Schulterschluss gibt zwischen allen Beteiligten im Fußball“, sagte Andreas Thiemann, Vorsitzender des Schiedsrichterausschusses des Westdeutschen Fußballverbandes. Bei der DFB-Tagung am Freitag (Beginn 11.30 Uhr) soll den Ehrenamtlichen eine Umfrage der AG Fair Play & Gewaltprävention präsentiert werden.

Viele Spiele müssen ohne Schiedsrichter stattfinden

„Man muss auf jeden Fall in der Jugend ansetzen“, sagt auch Thiemann. „Viele sehen den Sportplatz als rechtsfreien Raum“, beklagt der 50-Jährige aus Moers. Die Zahl der Schiedsrichter-Anwärter in seinem Landesverband Niederrhein sei zwar stabil, „aber viele hören sehr schnell wieder auf“. In den unteren Kreisklassen kann er nicht mehr alle Spiele besetzen. „Dann müssen die Vereine einen stellen, der pfeift. Ob da gemeldet wird, was alles passiert, das wage ich zu bezweifeln.“

Dieser Tage sperrte das Sportgericht des Fußball-Kreises Essen für mindestens ein Jahr eine nahezu komplette Mannschaft nach einem tätlichen Angriff - gegen den Schiedsrichter aus dem eigenen Verein. Nicht nur der Hessische Fußball-Verband hat angekündigt, gegen die „Auswüchse an Gewalt“ mit allen Konsequenzen vorzugehen. Bernd Schultz, Präsident des Berliner Fußball-Verbandes (BFV), sieht eine „hohe Verunsicherung“ bei den Unparteiischen. „Das nehme ich sehr ernst“, sagt er. „Es muss nicht erst zum Schlimmsten kommen.“ (dpa)

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