Viele Verletzte: Wenn der Arzt bei Berlins Spitzenteams zu oft kommt
Basketball, Eishockey und Handball sind extrem verletzungsträchtige Sportarten – die Situation bei mehreren Erstligisten aus der Stadt belegt das.
Profisport ist ungesund. In Deutschland ist abseits des Fußballs in den Mannschaftssportarten Basketball, Eishockey und Handball das Verletzungsrisiko besonders hoch. Das liege in der Natur dieser Sportarten, sagt der Berliner Sportmediziner Thorsten Dolla, der schon Mannschaftsarzt im Fußball und Eishockey war. „Das sind Kontaktsportaten, in denen es auch im Training schon zur Sache geht, weil der Konkurrenzkampf groß ist.“ In den genannten vier Sportarten kommt es pro Spieler und Saison durchschnittlich zu zweieinhalb Verletzungen. Dies geht aus einem Report der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) von 2016 hervor. Laut der Studie der gesetzlichen Unfallversicherung verletzten sich acht von zehn Spielern im bezahlten Profisport pro Saison. Im Schnitt fast einen Monat stand ein Profi in der Saison aufgrund von Verletzungen nicht zur Verfügung. Und: In nur 20 Prozent der Fälle war ein Foulspiel des Gegners Ursache dafür. Vorbeugen lasse sich daher auch nur bis zu einem gewissen Grade, sagt Dolla. „Durch gute Fitness reduziere ich das Risiko muskulärer Verletzung und Bänderverletzungen.“
Tatsächlich lasse sich generell feststellen, dass Mannschaften mit weniger verletzten Spielern besser durch eine Saison kommen. Dass Trainer Misserfolge gern auf den Krankenstand im Team zurückführten, sei nicht so weit hergeholt, sagt Dolla. In Berlin klagen in dieser Saison besonders Alba, die Eisbären und die Füchse über einen hohen Stand verletzter Spieler. Wir analysieren die Situation.
Alba
Die Saison in der Basketball-Bundesliga läuft erst seit anderthalb Monaten, Alba befindet sich verletzungsbedingt aber bereits zum zweiten Mal in einer Notlage. Nachdem die Berliner im Oktober zwischenzeitlich ohne ihre beiden Center Dennis Clifford (Entzündung der Patellasehne) und Johannes Thiemann (Muskelverletzung in Oberschenkel) auskommen mussten und mit Clint Chapman sogar Ersatz verpflichteten, fehlen aktuell gleich drei Guards. Joshiko Saibou hat aufgrund eines hartnäckigen Knochenmarködems nur die ersten beiden Saisonspiele absolviert und in den vergangenen Wochen haben sich Peyton Siva (Rippenbruch) sowie Martin Hermannsson (Bänderriss im Sprunggelenk) im Spiel verletzt. „Wir befinden uns in einer schwierigen Situation und müssen ohne unsere verletzten Guards ein neues Gleichgewicht in der Mannschaft finden“, sagt Trainer Aito Garcia Reneses vor dem Heimspiel im Eurocup gegen Cedevita Zagreb am Mittwoch (20 Uhr, Arena am Ostbahnhof und live bei Telekomsport).
Da in Stefan Peno und Kenneth Ogbe nur noch zwei Guards aus dem Profikader zur Verfügung stehen, könnten die Berliner auch hier nachbessern. Einen passenden Ersatz zu finden, sei jedoch schwierig, da dieser dem Team sofort helfen müsste, sagt Sportdirektor Himar Ojeda. Vor allem sei aber nicht abzusehen, wie lange Saibou und Siva, die momentan individuell trainieren, noch fehlen. „Wir hoffen, dass sie nach der Länderspielpause wieder zurück sind“, sagt Ojeda. „Es ist aber schwer, da eine Prognose zu machen.“
Ebenso kompliziert ist die Ursachenfindung. „So viele Verletzte in so kurzer Zeit habe ich noch nicht erlebt“ sagt Ojeda. „Da kommt viel Negatives, viel Pech zusammen.“ Die Belastung, gerade für die Nationalspieler, sei aber auch sehr hoch. Saibou etwa spielte nach einer sehr langen vergangenen Saison noch in der WM-Qualifikation und hatte dadurch eine relativ kurze Sommerpause. Sportmediziner Dolla verweist auch auf den Wandel der Sportart in den vergangenen Jahren. „Athletische Fähigkeiten sind immer wichtiger geworden“, sagt Dolla. „Zu Verletzungen kann es immer wieder kommen, hauptsächlich am Knie und Sprunggelenk.“
Eisbären
Die Eisbären sind für ihre Ansprüche eher schwach in die Saison gestartet, sie liegen nach 17 Spieltagen auf Rang 6. Aktuell sind acht Stammspieler verletzt: Torwart Marvin Cüpper (Syndesmose-Verletzung), Kai Wissmann (Fingerbruch), Danny Richmond (Augenverletzung), Jonas Müller (Schultereckgelenksprengung), Thomas Oppenheimer (Schlüsselbeinbruch), Sean Backman (Muskelfaserriss im Adduktorenbereich), Mark Olver (Handgelenk) und Jamie MacQueen (Syndesmose-Verletzung). In ihrer Not haben die Berliner auch schon einen Torwart (Kevin Poulin) nachverpflichtet. Der hohe Verletztenstand ist für Trainer Clement Jodoin der Hauptgrund, dass es bislang nicht immer nach Wusch lief. Jodoin sagt: „Wir haben Missgeschick über Missgeschick. Und daher können wir nicht langfristig planen, wir denken nur von Spiel zu Spiel.“ Erschwerend komme hinzu, dass nun viele Spieler „andere Rollen übernehmen“ müssten als geplant.
Dabei erscheint der Verletztenstand der Eisbären erstaunlich hoch, acht Spieler sind im Eishockey schon eine halbe Mannschaft. Die Sportart ist zwar hart, aber durch veränderte Schutzkleidung und Regeländerungen ist das Verletzungsrisiko in den jüngsten Jahren gesunken, sagt Dolla, einst Teamarzt beim Eishockeyklub Berlin Capitals. „Früher mussten wir fast bei jedem Spiel Schnittwunden im oberenen Gesichtsbereich nähen, das gibt seit dem Einführen der Visiere quasi gar nicht mehr.“ Auch sei durch drastische Strafen bei Checks gegen den Kopf das Risiko einer Gehirnerschütterung gesunken. Das Verletzungsrisiko ist weiter unten im Eishockey: Häufig kommt es zu Kapsel – oder Bänderrissen im Kniegelenk oder Verletzungen im oberen Sprunggelenk (Syndesmose) – gleich zwei Eisbärenspieler sind da aktuell verletzt.
Füchse
Für Thorsten Dolla gehört Handball zu der Sportart mit der höchsten Verletzungsanfälligkeit. „Der Körperkontakt ist da besonders intensiv“, sagt der Sportarzt. Bei den Füchsen sprechen sie in dieser Saison aber schon von besonders großem Pech, Körperkontakt hin oder her. Gleich acht Spieler können aktuell nicht mitwirken: neben den Langzeitverletzten Marko Kopljar (Achillessehne), Stipe Mandalinic, Simon Ernst (beide Kreuzband), Paul Drux (Fuß), Kevin Struck, Mattias Zachrisson, Christoph Reißky (alle Bänderriss) und Malte Semisch (Bandscheibe). Nationalspieler Fabian Wiede läuft nach seiner Fußverletzung demnächst wieder auf, das Spiel am Donnerstag gegen Melsungen (19 Uhr, Max-Schmeling-Halle) kommt aber wohl zu früh.
Der Bundesliga-Kader der Berliner wurde zwischenzeitlich mit etlichen Spielern aus dem eigenen Nachwuchs aufgefüllt. Als sich zuletzt auch noch Torhüter Semisch verletzte, holte man die 42 Jahre alte Vereinslegende Petr Stochl aus dem Vorruhestand. Auch Nachverpflichtungen sind aktuell nicht ausgeschlossen, zu diesem Zeitpunkt aber eher ungewöhnlich. Ein Probespieler fiel im Training bereits durch das Raster von Manager Bob Hanning. Jeder Füchse-Spieler, der in Zukunft den Krankenstand verlässt, gilt in dieser Saison aber fast schon als Neuzugang.