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Steuerlos. Wolfgang Niersbach könnte als DFB-Präsident über die Eigenschaften stürzen, die ihn einst nach oben brachten.
© dpa/Dedert
Update

DFB-Affäre: Warum Wolfgang Niersbach die Kraft für die Zukunft fehlt

Der Deutsche Fußball-Bund hält weiter an seinem Präsidenten Wolfgang Niersbach fest und verbaut sich so die Chance zur Selbstreinigung. Eine Analyse.

Wolfgang Niersbach ringt mit sich. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) wippt von einem Bein auf das andere, seine Schultern zucken ratlos. Dann hält er inne, der Blick wird entschlossen, er hat sich durchgerungen, zu folgender Forderung: „Die Zukunft kann nur gestaltet werden ohne den Präsidenten.“ Gemeint ist Joseph Blatter. Gegen den Fifa-Präsidenten war gerade in der Schweiz ein Strafverfahren eröffnet worden, Staatsanwälte hatten Blatters Büro durchsucht und der Weltverband hatte seinen Chef daraufhin freigestellt.

Einen Monat später würden dieselben Worte wieder passen: auf Niersbach selbst, den deutschen Fußball-Präsidenten, dessen privater Wohnsitz und Verbandszentrale am Dienstag von Steuerfahndern durchforstet worden sind. Einen Rücktritt fordert dennoch niemand im Verband offen. Aber es spricht ja bislang keiner, weder der DFB-Chef noch das Verbandspräsidium. Der deutsche Fußball hat seinen Tiefpunkt erreicht und wirkt führungsloser als die Fifa, obwohl oder gerade weil Niersbach bleibt. Trotz aller Spekulationen verzichtete er am Mittwoch zunächst darauf, zurückzutreten oder sein Amt ruhen zu lassen. Auch die Spitzenfunktionäre entzogen ihm das Vertrauen vorerst nicht.

Das sagt viel aus über die Führung des größten Einzelsportverbandes der Welt, die bislang unfähig ist, die Vorwürfe um die eigene WM 2006 selbst aufzuklären. Der es erst Steuerprüfer braucht und einen verbitterten Whistleblower wie Theo Zwanziger, um sich selbstkritisch zu überprüfen. Und den Präsidenten Niersbach, der nun über genau die Eigenschaften stürzen könnte, die ihn erst nach oben gebracht haben: das Verweigern von klaren Aussagen und die Ergebenheit zu Sportgrößen wie Franz Beckenbauer.

Der Unmut über Niersbachs Krisenmanagement wächst. Ein hoher deutscher Sportfunktionär sagt, Niersbach hätte bei seiner fahrigen Pressekonferenz vor zwei Wochen, die mehr Fragen aufwarf als beantwortete, niemals alleine und frei reden dürfen. Mit dem Stand der Aufklärung könne man „überhaupt nicht zufrieden sein“, sagte Joachim Masuch, Präsident des Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern. Niersbach hätte viel früher beginnen und informieren müssen. Sein hessischer Amtskollege Rolf Hocke forderte eine außerordentliche Vorstandssitzung.

Rainer Koch und Reinhard Rauball könnten Doppelspitze bilden

In dieser Woche könnte Bewegung in die Sache kommen, ist zu hören. Vizepräsident Rainer Koch kam erst am Mittwoch aus dem Ausland zurück, auf ihn wurde gewartet. Koch könnte den DFB in einer Doppelspitze mit Reinhard Rauball führen. Niersbach müsse aber nicht zurücktreten, wenn er sich an der Aufklärung beteilige, sagte Koch.

„Wolfgang Niersbach muss Präsident bleiben“, forderte sogar Karl Rothmund vom Verband Niedersachsens. Niersbach sei im Organisationskomitee für die WM 2006 nur für Medien und Marketing zuständig gewesen. „Die entscheidenden Männer waren doch Theo Zwanziger und Horst R. Schmidt.“ Und OK-Chef Franz Beckenbauer. „Er muss jetzt eine Erklärung abgeben“, forderte Rothmund.

Im Gegensatz zu Niersbach, Zwanziger und Schmidt wird gegen Beckenbauer jedoch nicht ermittelt, wie die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Mittwoch bestätigte. Aber nicht etwa, weil der 70-Jährige in Österreich wohnt. Sondern weil er nichts mit der Steuererklärung zu tun gehabt habe. Die trägt der Süddeutschen Zeitung zufolge nämlich die Unterschrift von Wolfgang Niersbach, der deshalb im Fokus der Steuerfahnder steht.

Es wirkt fast so, als wolle Niersbach seinen Freund Beckenbauer schützen

Und so steht vor allem Niersbach im Zentrum der Kritik. Fast wirkt es, als wolle der DFB-Chef seinen alten Freund Beckenbauer schützen oder als würde er von ihm allein gelassen. Es war jedenfalls verwunderlich, dass Niersbach vor zwei Wochen als Ermittler in eigener Sache nach Salzburg reiste, anstatt Beckenbauer in die DFB-Zentrale zu zitieren oder bei einer Untersuchung aussagen zu lassen.

Anderseits passt dieses Verhalten wiederum zu Niersbach, dessen Aufstieg auch im Windschatten des „Kaisers“ erfolgte. Zunächst als Pressechef des Teamchefs Beckenbauer bei der Nationalmannschaft, dann als sein Vizepräsident und Lehrling beim WM-OK. Das Fußballidol unterstützte im Gegenzug Niersbachs Kandidatur zum DFB-Präsident 2012.

Hielt Niersbach damals wie heute den richtigen Grad an Nähe und kritischer Distanz ein? Wusste er wirklich so wenig und so spät von der Zahlung von 6,7 Millionen Euro an die Fifa? Je nachdem, wie die Antworten lauten, wären ihm Naivität, Inkompetenz oder Vertuschung vorzuwerfen.

Externe Ermittler sind mit Niersbachs Büroleiter verbunden

Im Nachhinein wirkt es zudem fragwürdig, wie oft seine Haltung zur Fifa und zu Blatter wechselte. Doch wird Niersbach das kaum jemand sagen. Der DFB-Präsident umgibt sich mit Beratern, die ihm vor allem wenig widersprechen. Auch in die angeblich unabhängige Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, die der DFB mit der Aufklärung beauftragte, gibt es Verknüpfungen zu Niersbachs Büroleiter. Bisher war Niersbach damit gut gefahren, klare politische Entscheidungen zu vermeiden. Nun wäre eine solche nötig. Sonst wirkt es, als klammere sich jemand an sein Amt, und wenn es nur darum ginge, dass sein Erzfeind Zwanziger ihn nicht daraus vertreiben darf.

Nicht nur die Sportausschuss-Vorsitzende im Bundestag, Dagmar Freitag, wähnt „eine Schlammschlacht“ im Gange, in der „offensichtlich sehr persönliche Gründe eine Rolle spielen“. Gemeint ist Theo Zwanziger, der mit Aussagen gegenüber dem „Spiegel“ die Affäre mit ausgelöst hatte. Am Dienstag gab er sich nicht wie ein Beschuldigter, sondern wie ein Dirigent der Steuerermittlungen. „So ist es besser als mit irgendwelchen Untersuchungen, die abhängig sind“, sagte er.

Nun wäre es ein Armutszeugnis, wenn der DFB einen Streit zwischen seinem Präsidenten und dessen Vorgänger bräuchte, damit ernsthafte Nachforschungen zustande kommen. Aber es würde passen zu einem Verband, der im Gegensatz zur Fifa keine unabhängige Ethikkommission besitzt. Dieses Gremium könnte Niersbach, wie zuvor Blatter, theoretisch auch noch für 90 Tage suspendieren, bevor er oder der DFB sich entscheiden. Das würde die Selbstreinigungskraft des deutschen Spitzenfußballs noch schwächer wirken lassen. Bislang liegt nur eine offizielle Einladung zur nächsten turnusmäßigen Vorstandssitzung vor: Am 3. und 4. Dezember in Düsseldorf zum Jahresabschluss, der DFB-Weihnachtsfeier.

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