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Torhüter Marc-André ter Stegen beim Spiel zwischen Borussia Mönchengladbach und Schalke 04.
© Imago

WM 2014: Warum Torhüter ter Stegen mit nach Brasilien sollte

Am Donnerstag benennt Joachim Löw seinen vorläufigen Kader für die WM in Brasilien. Torhüter Marc-André ter Stegen von Borussia Mönchengladbach ist wohl nicht dabei. Ein Fehler, findet unser Autor.

Nach allem, was man weiß, ist Marc-André ter Stegen in den letzten Tagen nicht beim Arzt gewesen, um sich eine Spritze in den Oberarm setzen zu lassen. Eine Empfehlung, sich gegen Gelbfieber impfen zu lassen, hat der Torhüter von Borussia Mönchengladbach nicht erhalten. Im Unterschied zu den anderen deutschen Nationalspielern, die für das WM-Aufgebot von Bundestrainer Joachim Löw in Frage kommen. Daraus zu schließen, dass ter Stegen in einem Monat wohl nicht mit nach Brasilien reisen wird, ist vermutlich nicht verkehrt. Nach allem, was man weiß, spielt ter Stegen in den Planungen des Bundestrainers für das Turnier keine Rolle.
Am Donnerstagmittag wird Löw ein vorläufiges WM-Aufgebot benennen, das er bis zum 2. Juni noch auf die Sollstärke von 23 Spieler reduzieren muss. Mit Manuel Neuer, Roman Weidenfeller, René Adler und Ron-Robert Zieler hat der Bundestrainer auf der Torhüterposition schon vor längerer Zeit eine Vorauswahl getroffen, an der er wohl auch weiterhin festhält. Marc- André ter Stegen scheint nicht für Brasilien vorgesehen zu sehen. Das ist - man muss es einfach so klar sagen - ein Fehler.

Eigentlich spielt er so, wie Löw es will

Den interessierten Sportschau-Zuschauer mag diese Einschätzung etwas verwundern, weil ihm aus der aktuellen Bundesliga-Saison vor allem eine Szene von ter Stegen in Erinnerung geblieben ist: wie ihm beim Spiel in Braunschweig der Rückpass eines Kollegen über den Spann ins Tor rutschte. Die Szene passt ins Bild, das sich das Publikum von dem 22-Jährigen gemacht hat und zu dem auch seine Auftritte in der Nationalmannschaft beigetragen haben. Es läuft nicht so richtig gut für den jungen Mann.

Drei Freundschaftsländerspiele hat ter Stegen bestritten - dass er dabei gegen Argentinien einen Elfmeter von Lionel Messi gehalten hat, war die einzig positive Erfahrung für ihn. Alle drei Spiele mit ihm im Tor gingen verloren, im Schnitt hat der Gladbacher vier Treffer kassiert und vor einem Jahr gegen die USA sogar ein Eigentor erzielt, das exakt so aussah wie das in Braunschweig.

Sogar in ter Stegens Verein wurde damals die bange Frage gestellt, wie er mit dieser Situation umgehen werde, ob er auf Dauer dem Druck standhalte, den er sich vor allem selbst macht. Ter Stegen reicht es nicht, ein sehr guter Torwart zu sein - er will der beste werden. Dazu gehört auch ein seriöser Umgang mit den eigenen Schwächen. "Solche Sachen werfen mich nicht aus der Bahn", hat ter Stegen jetzt dem "Kicker" gesagt. "Ich habe danach immer stabil gespielt und meine Leistung gebracht." Das Eigentor in Braunschweig war in der Tat sein einziger schwerer Fehler in dieser Saison.

Davon können René Adler und Ron-Robert Zieler nur träumen, und selbst der Dortmunder Roman Weidenfeller, der Liebling des Fußballvolkes, hat am vergangenen Wochenende nicht besonders vorteilhaft ausgesehen, als ihm ein Schuss aus 30 Meter Entfernung durch die Beine flutschte. Trotzdem liegen alle drei in der Gunst des Bundestrainers offensichtlich vor ter Stegen.

Was die Torhüter-Wahl über den Bundestrainer aussagt

Im Grunde ist es egal, wer für Deutschland als dritter Torhüter mit zur WM fährt. Aber die Entscheidung sagt einiges über die Haltung des Bundestrainers. Allzu große Überraschungen sind in seinem Aufgebot nicht zu erwarten. Selbst wenn er den Hoffenheimer Kevin Volland berufen sollte, würde er damit nur den innigen Wunsch des Publikums erfüllen. Ter Stegen zu nominieren wäre für Löw hingegen eine gute, da weitgehend risikofreie Möglichkeit, um zu zeigen, dass er doch mutig sein kann. Offensichtlich aber tendiert der Bundestrainer eher zur Sicherheitsvariante. Sonst hätte er sich nicht Ende vorigen Jahres - ohne Not eigentlich - den 33 Jahre alten Roman Weidenfeller in seinen Kader singen lassen.

Die Qualitäten des jungen Torhüters

Marc-André ter Stegen steht für das offensive Torhüterspiel, das der Bundestrainer sehen will und das auch von Manuel Neuer gepflegt wird. Er postiert sich weit vor dem eigenen Tor, um als eine Art Libero zu fungieren, er antizipiert gut, ist sicher bei hohen Bällen, beidfüßig und seinen Konkurrenten fußballerisch, genau wie Neuer, weit überlegen. Kein anderer Bundestligatorhüter hat in dieser Saison so viele Ballkontakte gehabt wie ter Stegen. Seine Passquote (73 Prozent) ist besser als die von Weidenfeller (67), Adler (64) und Zieler (63). Nur Manuel Neuer (88) übertrifft ihn.

Dass ter Stegen auch glänzende Reflexe in seinem Repertoire führt, hat er am vergangenen Wochenende gezeigt, als er einen Schuss des Mainzers Elkin Soto aus Nahdistanz parierte. Generell aber fliegt der Gladbacher mit seinem Stil unter dem allgemeinen Aufmerksamkeitsradar hinweg. Seine Qualitäten erschließen sich eben nicht auf den ersten Blick. Dass ter Stegen gerade aus dem eigenen Verein Lob erfährt, spricht deshalb nicht gegen ihn. „Wir brauchen nicht darüber zu reden, dass Marc ein sensationeller Torwart ist“, sagt Max Eberl, der Manager von Borussia Mönchengladbach. „Meiner Meinung nach darf es keine Diskussionen geben, ob er zur WM muss oder nicht. Er muss zur WM!"

Doch in Deutschland werden Torhüter wie Weidenfeller, die stark auf der Linie sind und spektakulär durch die Lüfte fliegen, eher geschätzt als die nüchternen und vorausschauenden Vertreter ihres Fachs. Jemand wie ter Stegen ist hingegen auch für ausländische Klubs interessant. In der kommenden Saison wird er für den FC Barcelona spielen, eine der angesehensten Adressen des Weltfußballs. Pep Guardiola, der Trainer der Bayern, sagt, er könne seinem Ex-Klub zu dieser Entscheidung nur gratulieren: "Ter Stegen ist einer der besten Torhüter der Welt." In Deutschland muss sich diese Erkenntnis erst noch durchsetzen.

Stefan Hermanns

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