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Studie zu Verfehlungen von Spitzenathleten: Warum Scheitern und Betrug dem Sport helfen können

In einer Studie haben erstaunlich viele deutsche Spitzensportler regelmäßiges Doping, Manipulation und Burn-Out zugegeben. Ein Schock? Unser Autor sieht darin eher eine große Chance.

Dürfen wir uns Spitzensportler nicht mehr als glückliche Menschen vorstellen? Ist das gequälte Lächeln der typische Gesichtsausdruck eines Spitzensportlers? Ein paar Zahlen lassen jedenfalls das glänzende Bild des Sports etwas matter aussehen. 6 Prozent der deutschen Athleten dopen regelmäßig, 9 Prozent waren schon einmal an einer Wettkampfmanipulation beteiligt, 11 Prozent leiden unter Burn-Out. Das haben von der Sporthilfe geförderte Athleten gerade in einer Befragung zugegeben, und wie immer gibt es auch hier eine Dunkelziffer. Für bis zu 40 Prozent der Befragten lässt sich keine verbindliche Aussage treffen. 58 Prozent der Athleten sehen Existenzängste als Grund für ihr Fehlverhalten, 89 Prozent Erfolgsdruck. „Das zeigt, wie brüchig eigentlich das Fundament der Athleten ist“, sagt Christoph Breuer, Professor für Sportökonomie an der Deutschen Sporthochschule in Köln, der die Studie durchgeführt hat. In jedem Stadion, bei jeder Meisterschaft laufen also Ängste und Qualen und Betrugsabsichten mit.

Dass die Studie überhaupt so viel Aufmerksamkeit erregt, beweist vor allem, wie gut die Marketingmaschine des Sports bislang funktioniert hat. Wie effizient Sportverbände, Industrie und Medien den Spitzensport auf Hochglanz poliert haben. Wer es in eine Nationalmannschaft geschafft hat, kann doch nicht tieftraurig sein. Er gehört doch zu einer körperlichen Elite und darf mitspielen im großen Unterhaltungstheater Sport. Jede Niederlage ist doch nur ein Ansporn, es beim nächsten Mal besser zu machen. Und der nächste Wettkampf kommt bestimmt.

Bei Schwächen und Verfehlungen ist es dem Sportbetrieb noch oft gelungen, die Theorie vom Einzeltäter zu verkaufen. Lange musste Sebastian Deisler das Thema Depression im Sport fast alleine schultern, Robert Hoyzer ist das schwarze Schaf in der ehrenwerten Gesellschaft der Schiedsrichter. Und Oscar Pistorius derjenige, der mit dem Ruhm offenbar nicht zurecht kam. Nur beim Doping haben schon so viele Athleten gestanden, dass die Einzeltätertheorie gleich ins Gegenteil umgeschlagen ist, in den Generalverdacht.

Die Ergebnisse der Studie sollten jedoch nicht erschrecken. Sie sind eher eine große Chance für den Sport. Weil sie den Spitzensport wieder zurück in die Mitte der Gesellschaft holen. Ja, der Leistungssport ist ein Spiel der Extreme, es geht um Talent, Fleiß und Ehrgeiz im Übermaß. Aber die Probleme von Spitzensportlern spiegeln doch nur gesellschaftliche Zustände und Entwicklungen. Der Hochleistungssport wirkt auf einmal wieder menschlicher, wenn Athleten, wenn auch nur in einer anonymen Befragung, zugeben, anfällig zu sein für Manipulation, Doping, depressive Erkrankungen. So außergewöhnlich das ist, was sie mit ihrem Körper alles erreichen können, so gewöhnlich scheint ihr Seelenleben zu sein.

Dass der Spitzensport in der Mitte der Gesellschaft steht und nicht über ihr, können Sportverbände nutzen, um Vorbilder neu zu definieren. Ein Spitzensportler kann eben nicht die Sehnsucht nach dem Superhelden befriedigen, dafür aber ganz praktisch zeigen, wie sich bestimmte Herausforderungen meistern lassen: Wie man mit einer Niederlage umgeht oder wie man dem Erwartungsdruck von außen begegnen kann. Wenn der Sport diese Geschichten erzählt, kann er nur an gesellschaftlichem Wert gewinnen.

Für junge Sportler können die Befunde der Studie eine stille Befreiung sein. Weil sie Existenzängste und Erfolgsdruck nicht als Belastung einzelner Athleten darstellen, sondern als Grundproblem des Profisports. Dieses Problem mit anderen Spitzenathleten zu teilen, dürfte etwas Druck herausnehmen. Die Stiftung Deutsche Sporthilfe, Auftraggeber der Studie, hat auch einen richtigen Schluss aus den Ergebnissen gezogen: Dass Athleten, so stark und schnell und gewandt sie auch auftreten, jede Menge Unterstützung brauchen. Die Sorgen um die Existenz dürften auf jeden Fall geringer werden, wenn Sportlern schon Wege für die Zeit nach der Karriere geebnet werden. Die so genannte duale Karriere, also die Zweigleisigkeit von Sport und Berufsausbildung, ist gerade in den olympischen Sportarten mit überschaubaren Verdienstmöglichkeiten ohne Alternative.

Den Spitzensport als Ganzes stellt die Studie nur für diejenigen infrage, die ihn bisher verzerrt wahrgenommen haben. Entweder als heile Welt, in der gesunde Athletenkörper einen fairen Wettstreit austragen. Oder als korrupte Showveranstaltung, in der immer nur der Gerissenste gewinnt, meist mit unlauteren Mitteln, und niemand die Manipulation gesehen haben will.

Für alle anderen liegen die Erkenntnisse im Detail. Der Sport ist gefährdet, in jedem Spiel, in jedem Turnier, weil die Versuchungen da sind für Doping und Manipulation und die Versagensängste ebenso. Einem Athleten kann schon mal der Boden unter den Füßen wegbrechen. Er bleibt normal und anders zugleich. Genau darin liegen der Reiz und der Wert des Leistungssports.

Friedhard Teuffel

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