Kolumne: So läuft es: Warum Laufen nicht mit Hetzerei verwechselt werden sollte
Das Laufen macht vor allem dann Freude, wenn man es mit dem Wettkampf gegen sich und andere nicht übertreibt - findet unser Kolumist.
Es geht nicht darum, all denen ans Bein zu treten, die sich gerne mit sich selbst messen. Und es geht auch nicht darum, zu suggerieren, dass Wettkämpfe nicht angesagt sind. Weder die Veranstaltungen noch der Wettkampf mit sich selbst. Ich finde es auch anstrengend, die grundsätzliche Suchtfrage zu beantworten, quasi Schublade auf, nach dem Motto: „Jeder der täglich zwei Stunden läuft und immer schneller laufen will, ist süchtig.“ Verknüpft mit dem Erfolgsrezept: „Laufsuchtentzug in 30 Tagen – so geht’s.“
Lass sie laufen, denk ich mehr und mehr. Lass sie einfach laufen. Denn eines Tages wird sich etwas verändern. Dann, wenn man den Schweißgeruch in der Luft im Zielbereich des Marathons nicht mehr ertragen kann, vielleicht auch erst dann, wenn man vor lauter Stress und Aufregung im Vorfeld eines Laufwettkampfes nicht mehr von der Toilette runterkommt und den Start verpasst.
Ich kenne Läuferinnen und Läufer, die seit Jahren so gerne zu den Hetzern gehören würden. Aber nicht im Ansatz in die Nähe von guten Zeiten kommen. Vielen bereiten die Erfolgszeiten, die andere in den sozialen Netzwerken posten, Frust. Und fürchterlich traurig ist: Einige geben das Laufen durch diesen Frust sogar auf.Ich lege mich fest: Es gibt Millionen von Glücksläufern
Ich lege mich fest: Es gibt Millionen von Glücksläufern
Für meine ehemalige Radiokollegin Anja von Hübbenet (SWR3) ist das Laufen der perfekte Ausgleich zu ihrem stressigen Job als Nachrichtenredakteurin. Anja läuft langsam. Und Anja läuft lang und weit. Nicht, weil sie sich schämt. Sondern weil sie gerne unter Läufern sein wollte, die nicht ständig ihre Bestzeiten posten. Sie gründete die geheime Facebook-Gruppe „Die Glücksläufer“. „Ich gehöre zwar definitiv zu denen, die gerne ,Hetzer‘ wären und nicht können. Aber Sport soll mich gesund und vor allen Dingen glücklich machen! Den Berlin-Marathon werde ich in diesem Leben eh nicht mehr gewinnen“, schreibt mir Anja.
Ich lege mich fest: Es gibt Millionen von Glücksläufern, die das Hetzen der anderen zwar irgendwie bewundern, es aber auch Quatsch finden. Doch es gibt nur wenige Hetzer, die das auch zugeben würden. Sie sind meist im Stillen irgendwo.
Ich selbst war lange Hetzer. Und ich gestehe: Ich werde bestimmt immer mal wieder einer sein. Aber gerade die letzten Wettkämpfe bin ich für meine Verhältnisse einfach durchgejoggt. Und im Gegensatz zu den Hetzern, die bei 34 Grad schlapp gemacht haben, bin ich recht lässig ins Ziel gekommen. Außerdem verrückt: Ich habe etwas von der Natur gesehen, habe mich nett unterhalten, und trotzdem an drei Tagen 10 000 Kalorien verbraucht. Vielleicht werde ich Anjas geheime Gruppe einfach mal besuchen. Und als Oase genießen. Denn dort geht es nicht um Zeiten, auch nicht um das Posten von Höchstleistungen, es geht um das Glücksgefühl beim Laufen. Und wenn sich andere längst kaputtgehetzt haben, laufen die Glücksläufer noch immer. Langsam, aber sie laufen. Wie Forrest Gump, wie Anja. So läuft es.
Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt hier an jedem Donnerstag übers Laufen.
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