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Strandgefühle in Berlin. Auf der Beach61-Anlage am Gleisdreieckpark können Freizeitsportler auf 40 Beachvolleyball-Feldern spielen.
© Mike Wolff

Vor der WM in Hamburg: Warum Berlin die wahre Beachvolleyball-Hauptstadt ist

Am Freitag beginnt in Hamburg die Beachvolleyball-WM. Doch das Herz des Sports schlägt in Berlin. Nirgendwo sonst gibt es so viele Felder und Spieler.

Von Johannes Nedo

Aufmerksamkeit muss sein. Deshalb haben die Veranstalter der Beachvolleyball-Weltmeisterschaften in Hamburg auch mal eben die Elbe zur Spielstätte gemacht. Auf ein großes Ponton wurden 75 Tonnen Sand geschüttet, darauf ein Netz aufgebaut und der schwimmende Court Anfang Juni per Schleppverband vor die Elbphilharmonie gezogen. Auf dem Wasser bestritt Olympiasiegerin und Weltmeisterin Laura Ludwig mit ihrer Teamkollegin Margareta Kozuch dann ein Showmatch gegen ein tschechisches Duo. Die Spielerinnen flogen durch den Sand auf ihrer Mini-Insel und im Hintergrund glitzerte die Fassade der Elbphilharmonie. Schöne Bilder vor imposanter Kulisse waren das, um noch einmal für die am nächsten Freitag in Hamburg beginnende WM zu werben.

Solche besonderen Aktionen brauchen Stephan Eckardt und Christian Köhler in Berlin nicht. Sie bieten Beachvolleyball jeden Tag vor imposanter Kulisse. Eckardt ist Geschäftsführer von Beachmitte am Nordbahnhof, wo man umgeben von der einstigen Berliner Mauer spielt. Köhler ist Chef des Beach61 am Gleisdreieckpark, wo man von Bäumen umsäumt und mit Blick auf die Silhouette des Potsdamer Platzes durch den Sand fliegt.

Und wer dieser Tage Beachmitte und Beach61 betritt, hat quasi jeden Abend WM-Gefühl. Auf den riesigen Anlagen wuseln Hunderte Hobby-Beachvolleyballer umher, pausenlos sausen die Bälle über die Netze – mal kunstvoll und mal unbeholfen geschlagen. Allein das sportliche WM-Niveau fehlt bei dieser besonderen Atmosphäre. Doch das stört die Freizeitsportler nicht, sie genießen die Stadtstrände ohne Wasser und den Sand unter den Füßen.

So wie Hannah Braun. Die Berlinerin spielt seit drei Jahren regelmäßig Beachvolley. Eine Freundin habe sie einfach mal mitgenommen, erzählt sie. „Es ist eine richtig nette und offene Gemeinschaft“, sagt die 34-Jährige. An dem Juni-Abend spielt sie im Beach61 mehrere Mixed-Matches. Ihr gelingen tolle Aktionen, etwa ein Lob, der direkt hinter der Netzkante ins gegnerische Feld herunterfällt. Aber auch wenn mal ein Schlag nicht klappt, hat sie kurz danach sofort wieder ein Lächeln im Gesicht. „Irgendwie sind hier alle immer sehr aufmunternd“, betont Braun.

"Freizeit-Weltmeister im Beachvolleyball"

Hamburg mag während der WM von Freitag bis zum 7. Juli der Beachvolleyball-Mittelpunkt sein, das eigentliche Herz des deutschen Beachvolleyballs schlägt aber in Berlin. Daran gibt es auch für den Deutschen Volleyball-Verband (DVV) keinen Zweifel. „Im Breiten- und Freizeitsport ist Berlin klar unsere Hauptstadt“, sagt Niclas Hildebrand, beim DVV Sportdirektor für Beachvolleyball.

Eckardt und Köhler gehen dabei sogar noch etwas weiter. „Wir sind die Freizeit-Weltmeister im Beachvolleyball“, sagt Eckardt. Und Köhler betont: „Berlin ist die Welthauptstadt des Beachvolleyballs.“ Schließlich existieren in Berlin mit Beachmitte (50 Felder) und Beach61 (40 Felder) die beiden größten Beachvolleyball-Anlagen der Welt. Insgesamt gibt es in der Stadt im Sommer rund 120 Plätze – und sogar im Winter in den fünf Beachvolleyball-Hallen mehr als zwei Dutzend Felder. In Hamburg befindet sich zwar das Hauptleistungszentrum, aber nur eine Anlage mit 18 Plätzen.

„Berlin hat eine sensationelle Infrastruktur“, betont DVV-Sportdirektor Hildebrand. Dementsprechend groß ist die Beachvolleyball-Szene hier. Eckardt und Köhler schätzen, dass es rund 10 000 Menschen gibt, die in Berlin regelmäßig Beachvolleyball spielen.

Alles neu. Die gebürtige Berlinerin Laura Ludwig (rechts) will ihren WM-Titel, den sie 2017 mit Kira Walkenhorst errang, nach dem verletzungsbedingten Karriereende ihrer Partnerin nun mit Margareta Kozuch (links) in Hamburg verteidigen.
Alles neu. Die gebürtige Berlinerin Laura Ludwig (rechts) will ihren WM-Titel, den sie 2017 mit Kira Walkenhorst errang, nach dem verletzungsbedingten Karriereende ihrer Partnerin nun mit Margareta Kozuch (links) in Hamburg verteidigen.
© Beach Majors/SHM

Das liegt am Reiz der Sportart. „Sommer, Sonne und Sand sind einfach attraktiv“, sagt Eckardt. „Um das Spielkonzept im Hallenvolleyball zu lernen, braucht man drei Jahre. Beim Beachvolleyball hat man nach 30 Sekunden Spaß.“ Aber dieses Potenzial bei den Freizeitvolleyballern musste erst einmal geweckt werden, und genau das tun sie bei Beachmitte und bei Beach61. So wurde der Fokus früh etwa mit vielen Kursen auf die Hobbyathleten gelegt – und damit den Anfängern der Einstieg deutlich erleichtert. „Man muss nicht einem Verein angehören, um bei uns zu spielen“, sagt Köhler. Man muss nur ein Feld buchen. „Die Eintrittsschwelle ist extrem gering.“ So gibt es in Berlin die besondere Situation, dass laut Eckardt 80 Prozent derjenigen Hobbysportler, die Beachvolleyball spielen, keine Hallenvolleyballer sind. „Überall sonst in Deutschland ist es andersherum“, betont er. Auch Hannah Braun hat vorher kein Hallenvolleyball gespielt und erlernte den Sport teilweise über Kurse und Beachcamps: „Für Einsteiger ist Beachvolleyball absolut geeignet“, sagt sie.

Außerdem können die beiden großen Berliner Anlagen in dieser relativ jungen Sportart schon auf eine gewisse Tradition zurückblicken. Eckardt gründete Beachmitte mit zwei Mitstreitern bereits 1996 an der Chausseestraße auf dem Gelände des abgerissenen Stadions der Weltjugend. „Das war alles ein großer Zufall damals“, sagt der 48-Jährige. Eckardt, kurze schwarze Haare und Dreitagebart, war zu dieser Zeit Volleyball-Jugendtrainer und erfuhr, dass die Brache für Beachvolleyball genutzt werden konnte. Mit Schaufel und Schubkarre wurden auf der gepachteten Fläche die ersten zwei Felder gebaut, ein Jahr später waren es sieben. Und innerhalb von sieben Jahren wuchs die Anlage auf 36 Felder. 2006 zog Beachmitte an die derzeitige Stätte am Nordbahnhof um – und vergrößerte sich auf 50 Felder.

Kooperationen mit Schulen sind geplant

Köhler kam bei Eckardt auf den Geschmack. Ende der neunziger Jahre spielte der Hallenvolleyballer erstmals in Beachmitte. Als der Kreuzberger dann hörte, dass er das nächste Feld erst in vier Wochen buchen könne, entschloss er sich, im eigenen Kiez etwas Ähnliches aufzubauen. 2005 entstand auf dem Gelände des heutigen Möckernkiez Beach61 mit 18 Feldern. Nach drei Jahren musste die Anlage am Gleisdreieckpark gen Nordwesten auf das aktuelle Areal umziehen – nun gibt es dort 40 Felder.

„Wir vermitteln den Leuten auch ein ganz besonderes Gefühl“, sagt Köhler. „Beachvolleyball spielen in Berlin ist wie ein kleiner Urlaub.“ Der 55-Jährige, drahtig und mit mittellangen schwarzen Haaren, ist überzeugt: „Beachvolleyball ist eine Kraft, die wohl größer wird als das Hallenvolleyball. Denn das Wachstum ist weiter da.“ Köhler merkt es daran, dass die Saisonkarten für Felder stets innerhalb weniger Stunden ausverkauft sind. Und dass es unter der Woche ab 18 Uhr eigentlich unmöglich ist, kurzfristig noch einen Platz zu buchen.

Stephan Eckardt gründete Beachmitte bereits 1996.
Stephan Eckardt gründete Beachmitte bereits 1996.
© BeachMitte

Auch Eckardt sieht eine konstante Entwicklung, aber keinen Boom. „Und das ist gut so“, betont er. „So gibt es keine extremen Schwankungen und eben auch keinen Einbruch, wenn die besten deutschen Beachvolleyball-Teams mal weniger erfolgreich sind.“ Derzeit steht Laura Ludwig, die vielleicht weltbeste Beachvolleyball-Spielerin überhaupt, sinnbildlich für die Entwicklung, die eine Berliner Athletin nehmen kann. Auch wenn die 33-Jährige nicht mehr für Hertha BSC, sondern den Hamburger SV antritt. Doch in Robin Sowa gibt es bereits das nächste hoffnungsvolle Berliner Talent, das sich aus der großen Basis bis zur Spitze vorarbeitet. Der 20-Jährige kam gerade bei der U-21-WM mit seinem Partner Lukas Pfretzschner ins Viertelfinale und war bereits U-18-Europameister. „Das ist der klassische Berliner Weg“, sagt Sportdirektor Hildebrand.

Ein Weg, der ohne die beiden großen Anlagen nicht möglich wäre. „Das ist ein enormes Pfund, das Berlin unbedingt hegen und pflegen sollte“, sagt Köhler. Er will Kooperationen mit Schulen und Kindertrainings intensivieren. Doch allzu weit in die Zukunft kann er nicht planen. Der Pachtvertrag mit dem Senat läuft zunächst noch sicher für fünf Jahre, zudem sucht Köhler einen neuen Standort für seine Beachvolleyballhalle am Südkreuz – was in der derzeitigen Berliner Grundstückssituation äußerst schwierig ist.

Eckardt kann mit Beachmitte noch bis 2047 planen, allerdings wurde die Miete vom Bezirk vor zwei Jahren extrem erhöht. Trotzdem hat er unterschrieben. Er will eine neue Halle bauen sowie eine Traglufthalle errichten – und weiter auch auf die Zusammenarbeit mit dem Hochschulsport setzen. Pläne haben Eckardt und Köhler also zuhauf, dabei geht es aber um mehr als nur kurze Aufmerksamkeit.

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