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Russland gerät mit weiteren Doping-Verdächtigungen bei Olympia in Bedrängnis.
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Update

Doping bei Olympia: Wada wirft Russland Staatsdoping vor

Ein Wada-Untersuchungsbericht erhebt schwere Doping-Vorwürfe gegen Russlands Sport. Auch das Sportministerium soll verwickelt sein

Ein kanadischer Juraprofessor hielt in Montreal Gericht über ein ganzes Sportsystem. In drei Vorwürfen bündelte er seinen Befund, und dass er Russlands Sportsystem für schuldig hält, steht außer Frage. Nur über das Strafmaß wollte er nicht befinden, das sei nicht seine Aufgabe, sagte Richard McLaren.

Im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur hatte McLaren die Vergehen des russischen Sports bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi untersucht. Und dabei einen ausgezeichneten Kronzeugen: Grigori Rodschenkow, den langjährigen Leiter des Moskauer Doping-Kontrolllabors. Das russische Sportsystem hat jedoch Doping nicht bekämpft, sondern ermöglicht. „Das Moskauer Labor handelte, um gedopte russische Athleten zu schützen, mit einem staatlich angeordneten System“, ist einer der drei Hauptvorwürfe. Und dieses System sah eben vor, positive Dopingproben verschwinden zu lassen. Und weil es nicht so einfach ist, codierte, registrierte Dopingproben einfach so aus dem Verkehr zu ziehen oder auszutauschen, bediente sich der russische Sport dabei dem Inlandsgeheimdienst FSB.

Das Kontrolllabor in Sotschi wiederum ermöglichte gedopten Athleten, bei den Winterspielen 2014 trotzdem zu starten. Das ist Vorwurf zwei. Und der dritte Treffer zielt direkt ins Herz des russischen Sports, ins Sportministerium Russlands. „Das Sportministerium lenkte, kontrollierte und überwachte die Manipulation von Athletenproben oder ihren Tausch mit der aktiven Beteiligung und Unterstützung des FSB, des CSP (russisches Spitzensportzentrum, d.Red) und den Laboren in Moskau und Sotschi.“

Russlands Präsident Wladimir Putin kündigte bereits Maßnahmen an. „Funktionäre, die in dem Bericht als direkt Beteiligte genannt werden, sollen bis zum Ende der Untersuchungen suspendiert werden“, teilte der Kremlchef mit. Allerdings kritisierte Putin, dass der Bericht auf den Aussagen eines Mannes mit „skandalösem Ruf“ basiere - er meinte den Whistleblower Grigori Rodschenkow. Zudem forderte Putin von der Wada mehr Fakten und kritisierte den Bericht als Rückfall in die 1980er-Jahre, als der Westen die Spiele 1980 in Moskau und die UdSSR die Spiele 1984 in Los Angeles boykottierten. Damals sei der Sport als Geisel genommen worden, sagte Putin. „Jetzt beobachten wir einen gefährlichen Rückfall einer Einmischung der Politik in den Sport.“

McLarens Vorwürfe sind hart und erschüttern dabei nicht nur den russischen Sport, sondern den olympischen Sport insgesamt. Erfahrung hat der kanadische Professor auf jeden Fall in großen Dopingfällen, er war schon am sogenannten „Mitchell-Report“ beteiligt, der 2007 dem Profi-Baseball ein flächendeckendes Dopingproblem bescheinigte.Der 1945 geborene McLaren genießt einen exzellenten Ruf. Seit Jahren ist er auch für den Internationalen Sportgerichtshof CAS tätig. So war er bei zahlreichen Sommer- und Winterspielen in den Ad-hoc-Kommissionen des CAS tätig. Sein Urteil war oft entscheidend – im Fall Russland ist es das nun vielleicht mehr denn je.

643 positive Dopingproben zwischen 2012 und 2015

McLarens knapp 100seitiger Abschlussbericht enthält jedoch nicht nur schwerwiegende politische Vorwürfe, sondern auch viele Zahlen: So sind mindestens 643 positive Dopingproben von russischen Athleten zwischen 2012 und 2015 in den Analyselabors in Moskau und Sotschi „verschwunden“ – und waren dann negativ. Die 643 Fälle seien „nur ein Minimum“, heißt es in dem Report, weil den Ermittlern der Zugang zu allen einschlägigen Berichten unmöglich war. Die gefälschten Analysen betreffen Athleten aus rund 30 Sportarten. An der Spitze stehen die Leichtathleten mit 139 Fällen, danach folgen Gewichtheben (117), der paralympische Sport (35) und Ringen (28).

Gerade weil Sportarten unterschiedlich stark vom Betrug betroffen sind, wird nun mit Spannung erwartet, welche Konsequenzen das Internationale Olympische Komitee (IOC) aus dem Report zieht. Die russischen Leichtathleten wurden bereits vom Internationalen Leichtathletik-Verband ausgeschlossen. Dagegen klagen jedoch die Russen, jetzt muss der Internationale Sportgerichtshof (Cas) darüber entscheiden.

Athletinnen und Athleten, die belegen können, nicht in das Dopingsystem verwickelt zu sein, ließ der Leichtathletikverband jedoch eine Hintertür offen. Ein Ausschluss des gesamten russischen Teams, traditionell eines der größten bei den Olympischen Spielen, ist nun möglich und wird vor allem von Anti-Doping-Agenturen gefordert.

An diesem Dienstag findet nun eine Telefonkonferenz der IOC-Exekutive statt. Dabei könnten schon die ersten Sanktionen erörtert werden. „Die Ergebnisse des Berichts zeigen einen schockierenden und beispiellosen Angriff auf die Integrität des Sports und die Olympischen Spiele. Daher wird das IOC nicht zögern, die härtest möglichen Sanktionen gegen jede beteiligte Person oder Organisation zu ergreifen“, sagte IOC-Präsident Thomas Bach am Montag. Ihn bringt der Report in eine besondere Zwickmühle. Zu seinen großen Unterstützern gehört Putin. Bach kann jetzt jedoch nur einer Partei gegenüber loyal sein: entweder Russland oder dem sauberen Sport. (mit dpa)

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