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Update

Nervtröten im Stadion: Vuvuzela: Die Stimmung ist gekippt

Die Lärmtröte Vuvuzela könnte jetzt sogar vom südafrikanischen Organisationskomitee verboten werden. Unser Kapstadt-Korrespondent Wolfgang Drechsler plädiert für Einmottung. ARD und ZDF reagieren auf Beschwerden.

Eines gilt als sicher: Mit bis zu 130 Dezibel im Stadion wird die WM in Südafrika die lauteste Fußball-Weltmeisterschaft aller Zeiten. Nur ein Flugzeugtriebwerk beim Start macht noch mehr Krach. Verantwortlich dafür ist jene inzwischen schon legendäre Plastiktröte. "Wir brauchen die Vuvuzelas und ihren enormen Lärm", jubelt etwa Südafrikas Nationaltrainer Carlos Parreira, der die Vuvuzela längst in seine Taktik integriert hat. "Blast sie so laut es geht! Denn sie sind unser 12. Mann."

Natürlich weiß der Brasilianer, dass ein Vuvuzela-Konzert vor allem für die Gäste aus dem Ausland ein Kulturschock erster Güte ist. Mehrfach haben sich ausländische Spieler und Trainer darüber erregt, zuletzt Thailands Nationacoach Bryan Robson, der Südafrika wegen der Vuvuzela einen klaren Wettbewerbsvorteil bescheinigt. Aber auch Soundtechniker sind wütend, weil die Tröte die Atmosphäre auf den Rängen zerstört. Selbst deutsche Fernsehzuschauer haben nun begonnen, die Vuvuzelas zu hassen: Die permanente, einförmige Geräuschkulisse veranlasst inzwischen viele, den Ton ihres Fernsehers einfach abzudrehen, weil das unentwegte Tröten das Nervenkostüm auf Dauer doch mächtig strapaziert. Jedenfalls legen spontane Reaktionen von Tagesspiegel.de-Lesern nach der Übertragung des Eröffnungsspiels das nahe. Sogar eine Facebook-Initiative "Ich hasse Vuvuzela" gibt es bereits. Am ersten WM-Tag brachte sie es auf 50 Fans, jetzt bewegt sich die Zahl der bekennenden Vuvuzuela-Verächtern bereits auf die 2.000 zu. Eine englisch-sprachige Facebook-Petition zum Bann der Tröte kommt gar auf über 36.000 Unterstützer, eine portugiesische Anti-Vuvuzela-Seite hat über 9.000 Fans. Allerdings gibt es auf Facebook auch Fan-Seiten mit ebenfalls mehreren Tausend Freunden. Und bei In Berlin jedenfalls wurde die Vuvuzela vom großen Fanfest am Olympiastadion verbannt.

Nach den Beschwerden zahlreicher Fernsehanstalten und auch von Fußballern schließt das Organisationskomitee (OK) der WM in Südafrika nun auf einmal ein Verbot der Vuvuzelas in den Stadien nicht mehr aus. „Wenn es gute Gründe gibt, dann Ja“, sagte OK-Chef Danny Jordaan. „Wir überprüfen das laufend.“

Das ist eine kapitale Wende, denn lange wurde jedwede Kritik an der Trompete am Kap sofort als eurozentrischer Angriff auf die südafrikanische (Fußball-)Kultur empfunden - und vor allem ausländische Kritiker prompt als Kulturchauvinisten beschimpft, die kein Verständnis für Afrikas Eigenart hätten. Selbst die meisten westlichen Sportreporter stießen noch beim Confed-Cup vor einem Jahr in dieses Horn, weil sich keiner als vermeintlicher Spielverderber outen wollte.

Bei ARD und ZDF gehen mittlerweile jedoch zahlreiche Beschwerden von Menschen ein, die sich durch die lauten Tröten bei der Fußball-WM in Südafrika gestört fühlen. „Wir haben der Produktionsfirma HBS die Proteste unserer Zuschauer mitgeteilt. Auch andere europäische TV-Sender finden das nervig“, sagte am Sonntag ARD/ZDF-Teamchef Dieter Gruschwitz der Nachrichtenagentur dpa. Die ARD reagierte bereits auf die Beschwerden und dreht die Stadionatmosphäre beim Abmischen des Tons „aufs Nötigste herunter“. Das teilte die bei der ARD zuständige Sportredaktion des Südwestrundfunks „Spiegel Online“ mit. Außerdem würden die Kommentatoren mit Lippenmikrofonen ausgestattet, die näher am Mund liegen als die üblichen Headsets - und somit weniger Umgebungsgeräusche einfangen.

Nach Angaben des ZDF-Sportchefs gibt es allerdings keine offizielle Protestnote. Es stehe deutschen Sendern nicht zu, ein Verbot der Vuvuzelas vom Weltverband FIFA und den WM-Gastgebern in Südafrika zu fordern. „Wir sind Gast in einer anderen Kultur und müssen damit leben“, erklärte Gruschwitz.

Auf vielen Fanfesten in Deutschland ist die Vuvuzela nicht zugelassen. In Berlin wurde sie zum Beispiel vom großen Fanfest am Olympiastadion verbannt.

Absurd ist es ohnehin, eine vor ein paar Jahren aus Amerika importierte und erst seit kurzem (vermutlich in China) industriell gefertigte Plastiktröte zum afrikanischen Kulturgut zu verklären - ganz so, als habe der musikalischste aller Kontinent Besuchern aus aller Welt nichts Besseres zu bieten. Nirgendwo in Afrika ist die Tröte verbreitet - und selbst in Südafrikas Stadien war sie bis vor wenigen Jahren allenfalls vereinzelt zu hören.

Inzwischen regt sich zum Glück selbst im Land am Kap immer mehr Widerstand gegen das Instrument. Mondli Makhanya, Chefredakteur der "Sunday Times" und ein leidenschaftlicher Fußballfan, bedauert zum Beispiel, dass der Krachmacher die traditionellen Fangesänge komplett erstickt habe. "Unsere Fußballanhänger komponieren keine neuen Songs mehr. Die Schlachtgesänge, die man in den Fußballkathedralen der Welt hört, sind auf unseren Plätzen längst verstummt."

Stattdessen übertöne der Sound der Tröte gnadenlos alles, was die Stimmung bei einem Fußballspiel ausmacht: Von Schlachtgesängen oder dem bewunderndem Raunen bei einem Kabinettstückchen bis hin zum befreienden Torjubel. So ließ sich Fernsehreporter Gerd Gottlob nach Südafrikas 1:0-Führungstor darüber aus, dass nun die Stimmung im Stadion immer ausgelassener werde. An den Bildschirmen in Deutschland allerdings war nur ein dauerhafter, eintöniger Grundton vernehmbar.

Schon deshalb würde es kaum verwundern, wenn der nervtötende Dauerlärm dem Image Südafrikas in den nächsten vier Wochen mehr Schaden als jeder andere Ausrutscher zufügen würde. Vermutlich ist es jedenfalls nur eine Frage der Zeit, bis die Tröte zum größten Streitpunkt jenseits des Fußballfelds wird.

In einigen deutschen Großstädten ist der Gebrauch von Vuvuzelas bei Public Viewing-Veranstaltungen bereits untersagt. Doch statt das Probleme offen zu debattieren, kehrt es Fifa-Chef Joseph Blatter das Thema aus Angst vor der Rassismuskeule lieber unter den Teppich - und beschwört die Medien, keinen Affront mit dem Gastgeber zu riskieren.

Wie gut, dass inzwischen selbst Südafrikaner wie Makhanya davor warnen, über die Vuvuzela in einen falschen Nationalismus zu verfallen - und ihre Gegner der Arroganz zu bezichtigen, "Lasst uns die Vuvuzela einmotten und zu den Schlachtgesängen alter Tage zurückkehren, rät er. "Denn sie sind der Stoff, aus dem Erinnerungen sind. Nicht das Geröchel einer Ziege auf dem Weg zur Schlachtbank."

Jon Quelane ist ein Kommentator, der alles vermeintlich Afrikanische selbst dann noch verteidigt, wenn es wenig zu verteidigen gibt: etwa den schwarzen Rassismus von Simbabwes Diktator Robert Mugabe oder das harte Vorgehen vieler afrikanischer Regime gegen Schwule. Doch bei der Vuvuzela, einer lärmenden Plastiktröte, die nach Ansicht ihrer vielen Fans zum afrikanischen Kulturgut zählt, hat selbst sein Verständnis ein Ende. „Ich schaue Fußballspiele nur noch zu Hause – und zwar auf niedriger Lautstärke“ sagt er. „Denn die Vuvuzela ist ein Instrument aus der Hölle.“

Der Rugbyspieler Bandise Maku, der vergangenen Monat wegen der Verlegung zweier Rugbyspiele in ein Townshipstadion dort erstmals vor den beim Rugby eigentlich verbotenen Vuvuzelas spielte, äußerte Verständnis für die zunehmende Kritik an der Tröte aus dem Ausland: „Ich kann mir vorstellen, dass Spieler, die noch nie in einer solchen Atmosphäre gespielt haben, es sehr schwer haben. Man braucht einfach Zeit, um sich an den enormen Geräuschpegel zu gewöhnen.“

Selbst der südafrikanische Fußballverband Safa scheint zunehmend um das Image des Landes besorgt zu sein. „Es gibt die Sorge, dass Notruf-Durchsagen übertönt werden könnten“, räumte Joordan ein. In Kapstadt hat man die Lautsprecheranlage wegen des enormen Krachs bereits lauter gedreht.

Erst zu Jahresbeginn hatte sich die Kapstädter Stadtverwaltung nach dem Bekanntwerden der extrem hohen Dezibelzahlen beim Vuvuzelablasen mit Verbotsgedanken getragen, ihn dann aber offenbar verworfen, um bei der WM nicht als Spielverderber zu gelten.

Einige Nationalteams haben von sich aus bereits auf die Vuvuzela reagiert: Dänemark will nur Zuschauer ohne Vuvuzela den Besuch des Probetrainings gestatten. Auch andere Länder, darunter Spanien, wollen diesem Beispiel in Zukunft folgen.

Auch in den Leserbriefspalten der südafrikanischen Zeitungen tobt inzwischen eine Debatte über das Für und Wider der Tröte. „Vuvuzelas können unmöglich eine Tradition haben, weil es sie allenfalls zehn Jahre gibt. Eine Tradition bedeutet jedoch die Weitergabe eines Glaubens oder einer Sitte von einer Generation zur nächsten“, gibt ein Dr. P. Mtimkulu zu bedenken. Andere warnen davor, den Kulturbegriff zu strapazieren, indem ein Stück Plastik aus chinesischer Produktion zum afrikanischen Kulturgut erhoben wird.

Dass der Lärm nicht nur im Ausland als störend empfunden wird, zeigt der landesweite Ansturm auf Ohrstöpsel. In einer Apotheke in Kapstadts historischer Long Street gingen binnen weniger Stunden mehr als 300 Paare über den Tresen, dann waren die Bestände ausverkauft. Aber auch anderswo haben sich die Pfropfen als der bislang mit Abstand größte Verkaufsrenner der WM entpuppt. Auch auf der anderen Seite der Tröte ist übrigens nicht alles gut. Viele Vuvuzelanutzer klagen über Blasen an den Lippen, spröde und gereizte Haut und Halsschmerzen – alles Folgen des intensiven Pustens. (mit dpa)

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