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Grün steht ihm. Allerdings nimmt der Sprinter Marcel Kittel in diesem Jahr gar nicht an der Tour de France teil. Panini stört das nicht.
© Lionel Bonaventure/AFP

Radkolumne "Abgefahren": Von Dopingsündern bis Sprintkönigen

Wenn die Tour de France stattfindet, sei das die „schönste Zeit des Jahres“, schreibt unser Kolumnist. Nun hat ihn das Sammelfieber gepackt.

In Frankreich herrscht seit einigen Tagen radsportlicher Ausnahmezustand und das noch die nächsten knapp drei Wochen. Die Tour de France rollt nach ihrem Start in Belgien wieder über die Straßen unseres Nachbarlandes. Doch nicht nur die französischen Fans zieht das Sportereignis in ihren Bann. Auch in Berlin gibt es den einen oder anderen, der vom Tour-Virus infiziert ist. Ich nenne die Zeit, wenn die Tour läuft, gerne immer meine „schönste Zeit des Jahres“. Seit Jahrzehnten läuft der Fernseher in dieser Zeit auf Hochtouren, standesgemäß natürlich der französische Sender. Auf Eurosport schaue ich mir nur das Finale an, weil das HD-Bild besser ist.

Im Hause Wiedersich teilen nicht alle Familienmitglieder diese Leidenschaft. Doch da sich die Berichterstattung im Fernsehen nicht nur auf den Radsport beschränkt, verweilt doch manchmal jemand an meiner Seite und guckt mit. Besonders, wenn es wieder Großaufnahmen der Schlösser an der Loire, der Festungsanlage von Carcassonne, der Schlucht von Verdon oder der Pont d’Arc an der Ardèche zu sehen gibt. Das inspiriert dann auch zu Reisezielen.

Apropos Inspiration. In der Schule war Französisch eines meiner schwächsten Fächer. Aber durch die drei Wochen Tour-Berichterstattung mit Antenne 2 haben sich meine Sprachkenntnisse deutlich verbessert. Als ich einmal als Betreuer eine Radteams Mitte der Neunzigerjahre die Tour de France der Frauen begleitet habe, konnte ich meinen radspezifischen Französisch-Wortschatz sogar beruflich einsetzen.

Auch in sportlicher Hinsicht wirkt die Tour auf mich inspirierend. Seit einigen Jahren absolviere ich während der Tour-Zeit meine private Tour-Challenge. An jedem Tag, an dem eine Etappe läuft, versuche ich Rad zu fahren. Mal mehr, mal weniger Kilometer, maximal zwei Ruhetage während der drei Wochen, aber möglichst jeden Tag auf dem Rad unterwegs sein. Stoppen können mich dann nur Krankheiten und Regen, nass werden will man ja nicht, wenn es nicht sein muss. Hinterher wird dann der Fernseher angeschaltet und zugeschaut, was die großen Jungs auf Frankreichs Straßen so treiben. Wenn das eigene Training sehr anstrengend war und die Etappe eher langweilig, kann man dabei auch prima ein kleines Nickerchen machen, spätestens zum Etappenfinale bin ich jedoch wieder hellwach.

Erstmals Panini-Album zur Tour de France

In diesem Jahr wird meine Tour-Euphorie durch ein weiteres Schmankerl befeuert. Erstmals gibt es ein Panini-Sammelalbum mit allen Tour-Teams. Zwar ist dieses analoge Kleinod nur in Frankreich und Belgien erhältlich, aber es gibt ja glücklicherweise noch das Internet. Da der Redaktionsschluss schon Mitte März war, hält das Album einige Highlights bereit. Überführte und gesperrte Dopingsünder sind dort ebenso zu finden wie das Team Sky, das zwischenzeitlich bekanntlich den Namenssponsor gewechselt hat. Und im Katusha-Alpecin-Trikot lächelt auf einem der Klebebildchen Marcel Kittel. Der deutsche Sprint-Star legt jedoch gerade eine schöpferische Rennpause ein und hat seinen Vertrag längst aufgelöst.

Also in den nächsten fast drei Wochen bin ich in der Zeit zwischen 15 und 18 Uhr auf keinen Fall zu erreichen. Und um es in den Worten des langjährigen französischen Tour-Kommentators Patrick Chêne zu sagen: Vive le Tour.

Michael Wiedersich ist Radsporttrainer und Sportjournalist und schreibt hier wöchentlich seine Radkolumne im Wechsel mit Tagesspiegel-Volontär und Läufer Felix Hackenbruch.

Michael Wiedersich

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