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IOC-Präsident Thomas Bach (zweiter von links) mit Vladimir Putin und Ban Ki-Moon in Sotschi.
© dpa

Russland darf zu Olympia, Stepanowa nicht: Von allen Seiten Kritik an der IOC-Entscheidung

Sport- und Anti-Doping-Verbände sind entsetzt über die IOC-Entscheidung. Die Verantwortung werde auf Fachverbände abgewälzt, potentielle Whistleblower bekämen "verheerendes Signal" durch den Umgang mit Stepanowa.

Nach der Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), russische Sportler trotz eindeutiger Beweislage zu Doping-Vorwürfen nicht komplett von den Spielen in Rio auszuschließen, trifft weltweit auf scharfe Kritik.

Der IOC habe die Entscheidung und die Verantwortung so auf die Fachverbände abgewälzt, ärgert sich der deutsche Präsident des Tischtennis-Weltverbandes ITTF, Thomas Weikert: „Die Situation ist misslich. Wir müssen innerhalb kürzester Zeit darüber befinden, ob die drei für Rio qualifizierten russischen Tischtennis-Spieler sauber sind. Das ist auch für die Sportler eine schwierige Situation. Sie sitzen auf heißen Kohlen“.

Der Rechtsanwalt aus Limburg hat eine aus sechs Personen bestehende Kommission gebildet, die über das Startrecht von Polina Michailowa, Maria Dolgich und Alexander Schibajew im olympischen Einzelturnier urteilen soll. Für die Team-Wettbewerbe hat sich Russland nicht qualifiziert. Die Kommission mit jeweils drei hauptamtlichen und ehrenamtlichen ITTF-Mitarbeitern hielt am Montag eine erste Telefonkonferenz ab.

Whistleblowerin Julia Stepanowa darf nicht mit nach Rio

Auch Matthias Kamber, oberster Schweizer Doping-Fahnder, ist enttäuscht von der Entscheidung des IOC: „Russland hat mit seinem staatlich unterstützten Dopingsystem über Jahre gegen jegliche internationalen Abkommen und Verpflichtungen zur Dopingbekämpfung verstoßen“, zitierte die Schweizer Nachrichtenagentur sda den Direktor von Antidoping Schweiz am Montag. „Der Entscheid des IOC ist ein großer Rückschritt für saubere Athletinnen und Athleten wie auch für Whistleblower“, sagte Kamber weiter. Diese müssten sich betrogen vorkommen.
Die russische Läuferin Julia Stepanowa hatte maßgeblich zur Aufdeckung des systematischen Dopings in der Leichtathletik ihres Landes beigetragen. Trotz ihrer Mithilfe darf Stepanowa bei den Spielen in Rio nicht starten. Der Antrag der Leichtathletin, im August als „neutrale“ Athletin unter Olympischer Flagge antreten zu dürfen, lehnte das IOC ab. Sie erfülle angesichts ihrer Doping-Vergangenheit trotz der Verdienste um die Aufklärung nicht die „ethischen Anforderungen“.

Diese Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees wird selbst von Sportfunktionären als verheerendes Signal mit möglicherweise fatalen Folgen für den Anti-Doping-Kampf gewertet. „Die WADA ist sehr besorgt über die Botschaft, die damit für die Zukunft an Whistleblower wie sie gesendet wird“, sagte Olivier Niggli, der Generaldirektor der Welt-Anti-Doping-Agentur. Diese Botschaft des IOC kann nur so aufgefasst werden: Wer über Doping-Praktiken auspackt, wird bestraft und nicht geschützt. „Hier hat das IOC die Chance verpasst, ein Zeichen zu setzen“, sagte auch Clemens Prokop, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, gegenüber dem TV-Sender „Sky Sport News HD“.

Prokop: IOC-Entscheidung zu Stepanowa ist rechtswidrig

Prokop hält die IOC-Entscheidung, ehemalige russische Doping-Sünder generell nicht bei den Rio-Spielen starten zu lassen, zudem für rechtswidrig. „Die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees, frühere Doper aus Russland nicht an den Sommerspielen teilnehmen zu lassen, ist eine Verletzung der Rechtsprechung des CAS und des Gleichheitsprinzips“, sagte er am Montag der dpa unter Bezug auf das sogenannte Osaka-Urteil.
Der Internationale Sport-Gerichtshof CAS hatte vor fünf Jahren die 2008 vom IOC eingeführte Osaka-Regel, der zufolge Athleten nach einer mehr als sechsmonatigen Doping-Sperre nicht an den darauffolgenden Olympischen Spielen teilnehmen dürfen, für ungültig erklärt. „Im Falle der russischen Doping-Sünder wäre es eine zusätzliche und nachträgliche Bestrafung“, erklärte Prokop. Außerdem widerspreche dieser IOC-Beschluss dem Gleichheitsgrundsatz. „Ehemalige Doper aus anderen Ländern wie der US-Sprinter Justin Gatlin dürfen in Rio munter mitmachen.“ Das IOC hatte am Sonntag keinen kompletten Ausschluss Russlands von den Spielen, sondern strikte Auflagen für einen Start russischer Sportler in Rio beschlossen.

Massive Kritik auch vom Deutschen Behindertensportverband

Im Gegensatz zum Deutschen Olympischen Sportbund hat der Deutsche Behindertensportverband die Zulassung russischer Sportler bei den Olympischen Spielen in Rio massiv kritisiert. „Das ist ein deutlicher Rückschritt in der Dopingbekämpfung und ein trauriger Tag für den gesamten Sport“, sagte DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher am Montag. „Das IOC hätte mit einer klaren Entscheidung die Chance gehabt, Fair-Play als Kerngedanken der Olympischen Spiele wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Doping ist Betrug und kann auch nicht durch einen Teilerlass behoben werden.“

Beucher begrüßte ausdrücklich, dass Russland aufgrund seines staatlich gelenkten Doping-Programms weiterhin der Ausschluss von den Paralympischen Spielen im September in Rio de Janeiro droht. Das Internationale Paralympics Komitee (IPC) hatte erst am Freitag die Eröffnung eines entsprechenden Verfahrens beschlossen. „Damit setzt der Paralympische Sport ein klares Zeichen und zeigt, dass im Gegensatz zum IOC die Null-Toleranz-Politik in der Dopingbekämpfung des Paralympischen Sports keine leere Worthülse ist“, heißt es in einer Erklärung des Deutschen Behindertensportverbands.

(tsp/dpa)

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