Spitzenspiel bei Borussia Dortmund: Viele gute Gründe für Gladbachs starke Saison
Warum Borussia Mönchengladbach im Spitzenspiel gegen Meisterschaftsfavorit Dortmund heute gute Chancen hat. Eine Taktik-Analyse.
Dieter Hecking spricht derzeit gerne über den nächsten Gegner – aus taktischen Gründen. Der Trainer von Borussia Mönchengladbach sagt dann: „Der BVB ist das Maß aller Dinge, der absolute Meisterschaftsfavorit.“ Denn Hecking ist einfach froh, dass er sich mit seiner Mannschaft in der Außenseiterrolle laben kann. Schließlich haben die Mönchengladbacher ebenfalls eine überragende Hinrunde gespielt. Deshalb kommt es an diesem Freitag (20.30 Uhr/live im ZDF) in Dortmund zum absoluten Spitzenspiel der Fußball-Bundesliga: Erster gegen Zweiter.
Mit dem BVB war an der Spitzenposition der Tabelle noch zu rechnen, dass Mönchengladbach jedoch nur sechs Punkte dahinter Rang zwei einnimmt, kommt überraschend daher. Gründe gibt es dafür jedenfalls einige. Der erste ist Heckings Taktik. Der 54-Jährige hat sich ein altes Fußballmotto zu eigen gemacht: flach spielen, hoch gewinnen. Seine Mannschaft tritt meist in einem 4-3-3-System an. Über das spielstarke Mittelfeld soll der Gegner auseinander kombiniert werden. Gladbach hat durchschnittlich den dritthöchsten Ballbesitz der Liga (nach Bayern und Dortmund) und spielt die viertmeisten Pässe (hinter Werder Bremen).
Somit gelingt es Gladbach auch, gegen individuell schwächere Teams Chancen zu kreieren. Etwa gegen Nürnberg am vergangenen Dienstag: Die Gäste warteten in der eigenen Hälfte in einer kompakten 4-1-4-1-Ordnung. Doch Gladbach blieb geduldig und spielte auch nach der Pause flach und zielgerichtet. Diese spielerische Qualität ist eine Stärke, die sich im Verlauf der Saison in Punkten niederschlägt: Mit Ausnahme der Spiele gegen Augsburg gewannen sie gegen alle Abstiegskandidaten souverän. Ihr Torverhältnis in den Partien gegen Nürnberg, Hannover, Düsseldorf und Stuttgart beträgt insgesamt 12:1.
Dank solch torreicher Spiele sind Offensivspieler wie Alassane Plea und Thorgen Hazard natürlich auch der Konkurrenz aufgefallen. Mit jeweils neun Saisontoren haben sie einen großen Anteil an Gladbachs Erfolg. Sie können ihre Torjäger-Qualitäten jedoch nur deshalb einbringen, weil die Spieler hinter ihnen auftrumpfen. Das Stamm-Mittelfeld aus Jonas Hofmann, Florian Neuhaus und Tobias Strobl dürfte das meistunterschätzte Mittelfeld der Bundesliga sein. Hofmann (fünf Tore) und Neuhaus (neun Vorlagen) brillieren nicht nur auf technischer Ebene. Sie gehören außerdem zu den laufstärksten Spielern der Liga. Sie spielen am gegnerischen Strafraum entscheidende Pässe, nur um sofort wieder in die eigene Ordnung zurückzukehren.
Tobias Strobl ist im defensiven Mittelfeld unverzichtbar
Wirklich unverzichtbar ist jedoch ein anderer: Sechser Strobl sichert für seine Kollegen enorm ab. Er antizipiert Zuspiele und steht zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Zudem ist er körperlich robust, kann also auch im Kopfballspiel punkten. Mit diesem Mittelfeld kann Gladbach nahezu jeden Gegner dominieren. Selbst wenn ein Spieler ausfällt, so wie derzeit Hofmann: Mit Denis Zakaria und Michael Cuisance hat Hecking weitere Alternativen. Sie können zwar nicht mithalten mit dem Stamm-Mittelfeld in der Entscheidungsfindung (Denis Zakaria) oder in den defensiven Qualitäten (Michael Cuisance). Dennoch würden sich die meisten anderen Bundesligisten über solche Spieler freuen. Einzig der Ausfall von Abwehrchef Matthias Ginter schwächt das Team deutlich; gerade mit einem frühen Pressing des Gegners haben die Gladbacher derzeit Probleme.
Im Zweifelsfall kann Hecking aber auch seine Taktik leicht ändern. Seine Gladbacher sind flexibler als in der vergangenen Saison. Beim 0:0 gegen Hoffenheim stellte der Coach beispielsweise nach der Pause auf ein System mit Fünferkette um. Somit ist Gladbach beweglicher, wenn es einmal nicht läuft.
Bei all den Lobliedern auf das Gladbacher Mittelfeld muss auch die Defensive hervorgehoben werden. Bekanntermaßen gewinnt die Abwehr Titel – und diese funktioniert bei den Gladbachern. Mit nur 16 Gegentoren stellen sie die zweitbeste Defensivreihe (nach Leipzig).
Die Borussia gehört zwar nicht zu den Teams, die ein aggressives Pressing spielen. Sie stören den Gegner lieber im Mittelfeld. Das beherrschen sie allerdings außergewöhnlich gut: Sie verschieben kompakt in einem 4-5-1-Block und schließen die Räume im Zentrum. An Gladbachs Viererketten haben sich schon die Bayern die Zähne ausgebissen. Auch auf den BVB wird viel Arbeit zukommen.
Es ist also nicht vermessen, wenn Hecking mit Blick auf die erste Saisonniederlage des BVB am Dienstag fragt: „Fortuna Düsseldorf hat es geschafft, warum sollen wir nicht auch die absolute Krönung der Hinrunde schaffen?“ Dann wären die Gladbacher nur noch drei Punkte hinter Dortmund. Doch über das Thema Meisterschaft möchte keiner der Verantwortlichen des Vereins reden. Das große Ziel heißt Qualifikation für Europa. Auf diese warten die Gladbacher seit zwei Jahren vergeblich. Genau das könnte ein Vorteil sein: Während auf den BVB und die Bayern im Frühjahr Auftritte in der Champions League warten, können sich die Gladbacher ganz auf den einen Titel in der Bundesliga konzentrieren, denn auch im Pokal sind sie schon raus.
Tobias Escher