Gedenken an 1972: Viel Lärm um eine Schweigeminute
Bei Olympia 1972 wurden elf israelischen Sportler von einer palästinensischen Terrororganisation als Geiseln genommen - bis heute ist die Angelegenheit auch sportpolitisch äußerst delikat.
Nun also auch Hillary Clinton. Die US-Außenministerin hat das Internationale Olympische Komitee (IOC) ebenfalls dazu aufgefordert, während der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in einer Schweigeminute der Opfer des Attentats von 1972 in München zu gedenken. Clinton habe IOC-Präsident Jacques Rogge in einem Brief um eine „angemessene Gedenkveranstaltung“ gebeten, erklärte ein Sprecher des Außenministeriums.
Das ist nichts anderes als eine diplomatische Ohrfeige. Denn die Bitte bedeutet, dass Clinton die bisherige Erinnerungspolitik des IOC als unzureichend betrachtet. Rogge hat dies stets mit dem Argument abgelehnt, dass das IOC der elf israelischen Sportler, die 1972 von einer palästinensischen Terrororganisation namens „Schwarzer September“ als Geiseln genommen worden waren, in einer eigenen Veranstaltung gedenke. Die Eröffnungsfeier in London müsse von „Fröhlichkeit und Heiterkeit“ geprägt sein, nicht von Trauer. Rogge hatte zudem in einer „spontanen Aktion“ im olympischen Dorf von London dem Attentat gedacht.
Die Bitte Clintons folgt der wiederholten Forderung von Ankie Spitzer, Witwe des Fecht-Trainers Andre Spitzer. Sie hatte sich schon vor Montreal 1976 beim IOC um eine Schweigeminute während der Eröffnungsfeier bemüht, gemeinsam mit Ilana Romano, der Frau eines getöteten Gewichthebers. Ohne Erfolg. „Aber damals haben sie uns deutlich gemacht: Da sind 21 arabische Delegationen, die die Spiele verlassen würden, wenn wir etwas über die israelischen Athleten sagen würden“, berichtete Spitzer im „Guardian“.
Noch heute ist die Angelegenheit sportpolitisch äußerst delikat für das IOC. Dem israelischen IOC-Mitglied Alex Gilady zufolge kann eine offizielle Trauerminute der olympischen Einheit schaden und „den Boykott einiger Länder begründen“. Und diese Länder aus dem arabischen Raum, etwa Katar, sind heute einflussreicher und finanzkräftiger als noch vor 40 Jahren. „Seit Jahrzehnten sagen sie mir, dass eine Schweigeminute im Protokoll der Eröffnungszeremonie nicht vorgesehen ist“, erzählte Ankie Spitzer kürzlich dem österreichischem Magazin „Profil“. Sie empfinde das als Zynismus. „Es war aber auch nicht im Protokoll vorgesehen, dass mein Mann in einem Sarg heimkommt.“
Dabei wurden Eröffnungsfeiern nach 1972 durchaus schon als politische Bühne genutzt, etwa bei den Winterspielen 2002, nach dem Anschlag auf das World Trade Center, als US-Sportler eine angesengte US-Flagge ins Stadion von Salt Lake City trugen. Und die Zuschauer der Opfer des 11. September gedachten. Ohne Protokolländerung.
Auch Thomas Bach, Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und IOC-Vizepräsident, folgt im Kern Rogges Argumenten. Kürzlich sagte er dem Tagesspiegel: „Das IOC ist in Übereinstimmung mit dem Nationalen Komitee für Israel zum Entschluss gekommen, dass für die Opfer dieses Attentats eine speziell gewidmete Zeremonie die beste, angemessenste und würdigste Form der Anteilnahme ist.“
Erik Eggers