Barrierefreiheit durch Olympische Spiele: Verena Bentele: "Berlins Bewerbung wäre einzigartig"
Verena Bentele, die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über Pläne für Olympia und Paralympics und den Fall Markus Rehm.
Frau Bentele, die Berliner Olympiaplaner wollten die Paralympics erstmals vor den Olympischen Spielen stattfinden lassen, wenn sie den Zuschlag bekommen. Das stieß auf Widerspruch. Halten Sie es dennoch für eine gute Idee?
Ich habe ernsthaft darüber nachgedacht und tue es bis heute. Ich finde die Idee spannend und kreativ. Daher sollte diese nicht so schnell abgelehnt werden. Nur weil Dinge sich eingependelt haben, heißt das nicht, dass man sie die nächsten hundert Jahre auch so weitermachen muss. Ich finde den Vorschlag auch gut, weil er eine Abgrenzung von anderen Bewerbern bedeutet.
Ein Argument des Internationalen Paralympischen Komitees gegen eine vertauschte Reihenfolge ist, dass es leichter sei, Sportanlagen zurückzubauen als aufzurüsten. Außerdem sei dann bei den Paralympics alles eingespielt, was sich vorher bei Olympia erst noch finden muss.
Das halte ich für fadenscheinig. Bei Olympia wird doch auch alles rechtzeitig fertig. Warum sollte man es also nicht hinkriegen, vorher mit der Veranstaltung für weniger Sportler fertigzuwerden? Die Arbeiten sind doch dieselben. Auch die mediale Präsenz ist kein Gegenargument.
Was meinen Sie damit?
Ich glaube nicht, dass bei den Paralympics noch kein Journalist wäre, wenn sie vor Olympia stattfinden. Vielleicht hätten die Journalisten, auch aufgrund der Neugierde auf die Sportanlagen, dann sogar mehr Lust auf paralympische Wettkämpfe. Ich möchte nicht der Richter darüber sein, aber ich fände es schade, nicht über andere Möglichkeiten nachzudenken.
Könnte hinter der Debatte auch ein Interessenskonflikt zwischen Internationalem Olympischen und Paralympischen Komitee stecken? Dass das IOC die Kontrolle über alles behalten will?
Da sind wir glaube ich beim eigentlichen Thema. Die baulichen und technischen Dinge halte ich eher für vorgeschoben. Dass die Paralympics als Sportereignis noch an Bedeutung gewinnen, ist nicht unbedingt nur gewollt.
Jeder Olympiabewerber will seine Bewerbung inhaltlich aufladen. Berlin versucht das auch über die Paralympics und Barrierefreiheit. Ist das eine Chance für die Paralympics, die Veranstaltung aufzuwerten?
Ich finde es einzigartig, dass Berlin den Fokus nicht nur darauf richtet, wie am besten neue Sportstätten gebaut werden können, sondern auch darauf, wie die Stadt für die Sportlerinnen und Sportler und die vielen Zuschauer barrierefreien Wohnraum bieten kann. So werden von den Investitionen langfristig nicht nur Sportfans profitieren, sondern alle Bewohnerinnen und Bewohner.
Ist das wirklich einzigartig an den Berliner Plänen oder berücksichtigt das nicht jeder Bewerber?
Die Bewerbung der Berliner hätte mit diesem Schwerpunkt definitiv ein besonderes Alleinstellungsmerkmal. Natürlich bewirbt sich jede Stadt seit vielen Jahren automatisch auch für Paralympics. Aber damit zu werben, dass wirklich jeder Mensch willkommen ist und sich ohne Barrieren frei bewegen und informieren kann, das hat noch keine Stadt so von Anfang an umgesetzt. Auch bei unserer Münchner Bewerbung hatten die Paralympics ihren Platz, ich denke jedoch, dass wir die Besonderheit von barrierefreien Spielen zu wenig hervorgehoben haben.
Wie kann Berlin seinen Paralympics-Schwerpunkt noch inhaltlich füllen außer durch barrierenfreien Nahverkehr und ein barrierefreies Olympisches Dorf?
Sie wollen mich ja ein bisschen für Berlin bequatschen (lacht). Nein, im Ernst, zumal ich ohnehin neutral bin zwischen Berlin und Hamburg: Man könnte beispielsweise auch den Sport besser transportieren, möglich wäre das durch Reporter im Stadion, die für blinde Fans die Wettkämpfe erklären. Im Fußball gibt es das ja schon, aber in der Leichtathletik und im Schwimmen wäre das sicher auch spannend. Also wie kann man die Wettkämpfe für alle transportieren, auch bei den Olympischen Spielen? Wie kann man die Sportanlagen so gestalten, dass wirklich alle dort hinterher trainieren können? Man könnte das sehr weit denken. Von den baulichen Barrieren über Information und Kommunikation. Man kann die Spiele nutzen, um von Anfang an für eine vielfältige Gesellschaft zu planen.
Wie behindertengerecht oder -ungerecht ist denn Berlin?
Es gibt in Berlin bestimmt noch viele Dinge, die man verbessern kann. Manche Trams haben drei Einstiegsstufen. Da kommt ein Rollstuhlnutzer niemals hinein. Für viele Menschen, auch für Eltern mit Kinderwagen, müssten die Bahnsteige immer auf gleicher Höhe sein wie der Einstieg in den Zug. Möglich und wünschenswert wäre auch, dass alle Angebote im Internet, alle Informationen für Bürgerinnen und Bürger und auch Schilder in leichter Sprache vorhanden sind. Großstädte wie Berlin haben aber auch große Vorteile: Es gibt schöne barrierefreie Veranstaltungsräume.
Die Debatte um Inklusion im Sport wurde dieses Jahr exemplarisch am Weitspringer Markus Rehm und seiner Prothese geführt. Es ging um sein Startrecht bei den Nicht-Behinderten. Was denken Sie darüber?
Ich finde es klasse, dass jetzt von einer breiten Öffentlichkeit die Facetten der Inklusion diskutiert werden. Inwieweit sind Leistungen vergleichbar, inwieweit sind technische Hilfsmittel erlaubt, inwieweit sind Regeln wichtig? Gestört hat mich an der Geschichte vor allem, dass es keine klaren Regeln gab. Erst einmal durfte Markus starten, dann wurde er trotz guter Leistung und trotz des Titels nicht nominiert. Das hat sich jetzt geändert: Im nächsten Jahr können Sportler mit Behinderung an Leichtathletikwettkämpfen der olympischen Sportler teilnehmen, jedoch werden sie getrennt gewertet. Mit dieser Regelung können alle gut planen und wissen, worauf sie sich einlassen.
Halten Sie andere gemeinsame Wettkämpfe für sinnvoll?
Ich finde nicht, dass gleich die Olympischen und Paralympischen Spiele zusammengelegt werden sollten. Für mich kommt es beispielsweise nicht infrage, gegen Miriam Gössner im Biathlon zu starten, da werde ich ohne einen Zeitausgleich nicht gewinnen können. Wichtig wäre mir, dass wir die gleichen Sportstrukturen für olympischen und paralympischen Sport nutzen. Zum Beispiel: Wir haben den Biathlon-Weltcup in Ruhpolding und danach oder währenddessen den paralympischen Weltcup – und machen daraus eine gemeinschaftliche Veranstaltung.
In Berlin startete Rehm beim Istaf, seine Sprünge wurden aber getrennt gewertet. Ist das ein Weg?
Ich finde das super. Das bringt sowohl Markus Rehm als auch dem Sport viel Aufmerksamkeit. Markus hat eine beeindruckende Kulisse, vor der er springen kann. Und viele Fans sehen tolle Leistungen von paralympischen und olympischen Athleten. Bei einem gemeinsamen Wettkampf mit getrennter Wertung hätte ich auch in Ruhpolding in dem großen, vollen Stadion an den Start gehen können. Viele Zuschauer hätten mich dann anfeuern können, wenn ich einmal mehr wegen meiner vielen Fehlschüsse meine Kreise in der Strafrunde gezogen hätte.
Das Gespräch führten Friedhard Teuffel und Annette Kögel.