Schnellster Mann der Welt: Usain Bolt: Der Running Gag
Usain Bolt rennt Grenzen ein. Die zwischen Wettkampf und Show. Die zwischen sich und seinen Konkurrenten. Und auch die zwischen sauberem und schmutzigem Sport.
Weil alles so schnell ging, noch einmal von vorne. Zum Beginn der Vorstellung, als es noch leise Zweifel gab, ob Usain Bolt das weltschnellste Laufen nicht vielleicht doch verlernt haben könnte. Am Start stand Bolt also und fuhr sich durch die Haare. Er wedelte mit Zeigefinger und Mittelfinger, und die letzte Frage am Ende des Abends sollte sich auf diese Sekunden vor dem Start beziehen, was Bolt denn da alles mache und warum. „Ich mache das, worum mich meine Freunde vorher bitten. Das mit den Haaren für einen Freund, der mir die Haare rasiert. Das mit den Hasenohren für einen anderen Freund.“ Es sind Grüße an seine Kumpel, so erzählte es Bolt – und diese letzte Antwort des Abends über eine Nebensächlichkeit zeigte etwas: Dass vieles bei ihm eben doch mehr ist als spontaner und sinnfreier Klamauk.
Die Welt hat Bolt anschließend mit einem neuen olympischen Rekord gegrüßt, 9,63 Sekunden, der zweitschnellsten je gelaufenen Zeit.
Usain Bolts Gold-Lauf in Bildern:
Kein Weltrekord – macht nichts, völlig unwichtig, der 25 Jahre alte Jamaikaner hat mit seinem Lauf in London weit mehr erreicht als einen neuen Eintrag in eine Liste, die ohnehin nur noch bei Statistiksüchtigen als Rauschmittel wirkt. Bolt rennt Grenzen ein. Die zwischen Sport und Show. Die zwischen sich und seinen Konkurrenten. Und auch die zwischen sauberem und schmutzigem Sport.
Usain Bolt beginnt seinen Auftritt mit einer Show, aber er weiß genau, wann er aufhören muss. Wenn der Starter ins Mikrofon ruft „On your marks“, auf die Plätze. Dann ist Schluss mit Improvisieren, Zeit fürs Kerngeschäft, für die immer gleichen Abläufe, das Bekreuzigen, den Fingerzeig zum Himmel, das andächtige Hineinknien in den Startblock. Und dann für 100 Meter Laufen.
Er weiß auch besser als noch vor vier Jahren in Peking, wann er wieder anfangen darf mit dem Unterhaltungsprogramm. In Peking hatte sich Bolt noch vor der Ziellinie nach seinen Konkurrenten umgesehen, sich beim Überschreiten der Ziellinie prahlerisch auf die Brust geklopft. Sodass ihn selbst der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees Jacques Rogge an den Respekt vor seinen Gegnern erinnern musste.
In London trudelte Usain Bolt nicht überheblich über die Ziellinie. Er zog durch. Justin Gatlin aus den USA, der hinter Bolt und Yohan Blake als Dritter ankam, sagte: „Ist es arrogant, was er macht? Ich glaube nicht.“ Stolz sei er, dass er dabei sein durfte, sagte Gatlin.
Dass Bolt aber mehr bietet als Laufen, dafür bezahlen Menschen viel Geld. Für 1500 Pfund wurden die Eintrittskarten am Ende angeboten. „Die Leute wollen Show sehen, also gebe ich ihnen das“, sagte Bolt, aber am Sonntagabend habe er auch viel zurückbekommen. „Als ich vorgestellt wurde und die Leute gejubelt habe, war ich bereit.“ Da seien auch alle Zweifel im Lärm erdrückt worden, die er noch in sich trug nach seinem Fehlstart im vergangenen Jahr bei der WM.
Zum Kerngeschäft. „Execute“ so nennt Bolt das, was er tut. Er führt aus. Und wie er das in London tat, fasste er so zusammen: „I just ran“. Das ist sein Satz, man darf ihn eigentlich nicht übersetzen, auf Deutsch wird er ein paar Buchstaben länger und damit zu lang für einen, der so schnell im Ziel ist.
Der organisierten Leichtathletik hätte nichts besseres passieren können als Bolt
"I just ran" bedeutet noch mehr. Es ist so einfach, so natürlich, wie Bolt läuft. Seine Bewegungen wirken eben nicht antrainiert, nicht verkrampft, sondern so rund und geschmeidig, dass der Leipziger Trainingswissenschaftler Frank Lehmann einmal gesagt hat: „So muss Laufen aussehen, so läuft ein Strauß in Südafrika.“ Weil Bolt als kleiner Junge so zappelig gewesen sei, hätte sich auch keine falsche Technik verfestigen können. Bolt setzt seine Beine fast gerade unter dem Oberkörper auf, so bremst er weniger ab.
Die Konkurrenten wirken dagegen etwas bemüht mir ihrer Art zu laufen. Dass einer vorwegläuft, haben sie inzwischen akzeptiert, Bolt hat es geschafft, das testosteronbefeuerte Imponiergehabe seiner Gegner abzurüsten. Blake, der 22 Jahre alte Weltmeister, scheint seinen zwischenzeitlichen Erfolg nur als Interregnum zu sehen. Er schließt sich dem neuen und alten Sprintkönig Bolt gerne auf der Ehrenrunde an. Die Erfolge der anderen sind gerade vor allem ein Auslöser für Bolt. „Als mich Blake zweimal bei den Trials geschlagen hat, war das wie, wenn jemand an meine Tür geklopft hätte: Bist du bereit? Es ist das Jahr der Spiele.“ So erzählte er es, als neben ihm auf dem Podium zu später Stunde im Bauch des Stratford Stadiums Blake und Gatlin saßen. Gut möglich, dass Blake einmal zu Bolt aufschließen kann, zumindest was das Ergebnis beim Laufen angeht, nicht aber das Erlebnis dabei. Blake, der sich das „Biest“ nennt, zeigte vor dem Start seine Krallen, aber neben Bolt saß er am Ende des Abends nur wie ein liebes Kätzchen.
Bildergalerie: Die großartige Karriere von Usain Bolt:
Auch Gatlin erklärte sanft, es sei einzigartig, was Bolt leiste. Der US-Amerikaner ist die Brücke in die Vergangenheit, er kommt aus der Zeit, als jeder Sieg in einem großen Sprintfinale noch eine Dopingdebatte nach sich zog. Gatlin, Olympiasieger 2004 in Athen, hat seine Sperre abgesessen.
Doch die Zeit der großen D-Frage ist vorbei, die Frage, ob Bolt nun gedopt ist oder nicht, sie hat an Bedeutung verloren. Weil es eben nicht Bolts Muskelkraft allein ist, die ihn so schnell laufen lässt, sondern seine einmalige Technik, Laufen als Naturereignis. Weil fast außer Frage steht, dass Bolt auf jeden Fall Weltklasse wäre, welche Mittel er auch immer nehmen sollte, ob erlaubte oder verbotene. Weil Doping inzwischen eingepreist ist. Ein positiver Dopingtest wäre nur noch eine kleine Enttäuschung, kein Skandal mehr. Der organisierten Leichtathletik hätte daher nichts Besseres passieren können als Bolt. Einer, der bewundert werden kann, ohne dass das mangelhafte Kontrollsystem gleich als Grund dafür genannt wird, warum er so schnell läuft.
Seinen Status hat Bolt mit seinem Sieg verteidigt, aber da, wo er hinwill, ist er noch nicht, im Rang einer Legende. „Das war erst der erste Schritt. Die 200 Meter sind der nächste.“ Doch wie viel oder wenig auch immer noch kommen mag – man wird sich an ihn erinnern. Usain Bolt, das war der Mann, der das Laufen auf zwei Beine stellte, auf ein Spielbein und auf ein Schwungbein. Schwer vorstellbar, dass jemals ein Showmaster noch einmal so schnell wird rennen können.
„I just ran“ – das ist der richtige Satz für einen, der so schnell im Ziel ist