Behördenwillkür: Unbemerkt enteignet
Das Land Brandenburg hat sich nach Auffassung des Bundesgerichtshof der willkürlichen Enteignung schuldig gemacht. Doch der Streit dauert an.
Es klingt bizarr und dürfte ein Novum in Deutschland sein: In Brandenburg müssen jetzt Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), seine ehemaligen wie aktiven Minister und Staatssekretäre privat saftige Lohnsteuern für die Jahre 2007 bis 2010 nachzahlen, weil die Fahrtenbücher der Regierung durch Versäumnisse des Finanzministeriums nicht penibel genug geführt wurden. Im November bekamen alle im Kabinett gleich weniger Gehalt. Allein Platzeck wird infolge des Vorgehens von Finanzminister Helmuth Markov (Linke) wohl mit rund 30 000 Euro privat zur Kasse gebeten, wohlgemerkt ohne eigenes Verschulden. Und zwar für Privatfahrten mit der gepanzerten Limousine, die er privat gar nicht gefahren ist. Für die im Nachhinein wegen der für ungültig erklärten Fahrtenbücher nun pauschal ein Prozent des Listenpreises von knapp 135 000 Euro pro Monat als geldwerter Bruttovorteil den Finanzämtern nachgemeldet wird. Rückwirkend, bis 2007.
Ja, Schlendrian und Willkür liegen im Behördenalltag dieses Landes nicht selten arg dicht beieinander. Neu ist, dass es die Regierung und ihren Chef selbst trifft, dass sich gar eine Bürgerwehr betroffener Ex-Minister und Staatssekretäre – angeführt von Ex-Staatskanzleichef Clemens Appel – formiert hat und für Schadenersatzprozesse gegen das Land rüstet. Mancher Bürger, der ähnliche Ungerechtigkeiten mit Verwaltungen von Land und Kommunen erlebte, mag da eine gewisse Genugtuung empfinden.
So war es eine schallende Ohrfeige für die Landesregierung, als der Bundesgerichtshof in der Bodenreform-Affäre 2007 ein Urteil fällte, das wegen seiner Deutlichkeit prompt einen Untersuchungsausschuss auslöste. Brandenburg hatte sich um die Jahrtausendwende rechtswidrig in den Besitz zehntausender früherer Bodenreform-Grundstücke gebracht, von denen viele den Erben ehemaliger Neubauern zustanden. Die kannte man nicht, man hatte nicht richtig nach ihnen gesucht, Fristen liefen ab, da verleibte sich das Land kurzerhand alle Immobilien ein. Eine Landnahme, die der Bundesgerichtshof als „sittenwidrig“, eines „Rechtsstaates unwürdig“ geißelte, an die willkürliche „Verwalterpraxis“ der früheren DDR erinnernd. Und siehe da, jetzt plötzlich, wo der neue Finanzminister Markov alles korrigiert, eine professionelle Suche eingeleitet hat, findet man plötzlich auch Besitzer zuhauf.
Ein ausgewiesener Experte für Brandenburgs Behörden und Institutionen ist inzwischen dieser Mann geworden: Peter Niedner, 87 Jahre, Unternehmer aus Bayern, früher VW-Manager. Er wollte Anfang der 90er Jahre in Großräschen/Lausitz eine Baustofffabrik hochziehen. Aber daraus wurde nichts. Das Finanzamt Calau hatte ihm Steine in den Weg gelegt, ihm verwehrt, die Umsatzsteuer abzurechnen. Für das Projekt war es, wie Niedner sagt, der Todesstoß. Seitdem kämpft er um Schadenersatz in Millionenhöhe, der größte Staatshaftungsfall in der brandenburgischen Geschichte. Er hat alles versucht, wohl jeden in der Regierung, im Landtag bestürmt, Petitionen geschrieben, Klage um Klage eingereicht. Eins hat er nicht, was viele andere längst getan hätten: aufgegeben. Im Frühjahr wird das Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) das nächste Urteil sprechen. Auch hier hatte erst der Bundesgerichtshof ein früheres OLG-Urteil kassiert, so dass der Fall in Brandenburg neu aufgerollt wird. Doch in der mündlichen Verhandlung vor zwei Wochen klangen neue Töne an, schrieben die OLG-Richter dem Finanzministerium zumindest ins Stammbuch, was bisher jeder erkennen konnte, der in den Fall eintauchte, dass nämlich die damalige Praxis des Finanzamtes Calau tatsächlich rechtswidrig war. Eine erste Genugtuung für Niedner, der nun bis März nachweisen soll, welche Kredite damals infolge des Calauer Finanzamtfehlers platzten, welche Kunden absprangen. Wer weiß, vielleicht bewegt sich da doch noch was. Für zehntausende, womöglich hunderttausend Immobilienbesitzer im Land – Privatleute, Behörden, Unternehmen – ist Brandenburgs Verfassungsgericht die letzte Hoffung. Sie sollen jetzt, infolge eines Urteils des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg und einer hilflosen Politik, für Abwasseranschlüsse bezahlen, obwohl ihre Grundstücke seit Jahrzehnten an die Kanalisation angeschlossen sind. Die „Altanschließer“ werden nun nachträglich, mit einem Jahrzehnt Verspätung, an den Millionenkosten der in den 90er Jahren in die Mark geklotzten überdimensionierten Großkläranlagen beteiligt. Merkwürdig nur, dass solche Geschichten besonders krass in Brandenburg passieren.
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